Wie soll man die feinen hohen Töne der Liudmyla Monastyrska
beschreiben? Sie wirken, als ob sie an seidenen Fäden quasi vom
Plafond baumeln, leicht bewegt im Luftstrom, ohne alle Erdschwere.
Man käme überhaupt nicht auf die Idee, dass auch im Halse dieser
Ukrainerin bloß zwei Stimmbänder aneinander schlagen. Eigentlich ist
Liudmyla Monastyrska ein dramatischer Sopran, aber an diesem Abend
durfte sie ihre lyrischen Qualitäten hervorkehren. Auch das „Libera
me Domine“ orgelt sie nicht, sondern trägt es wie eine verhaltene
Bitte vor. Zuletzt fast nur intensiv flüsternd.
Geradezu
sensationell, wie die Stimme der Monastyrska und jene von Anita
Rachvelishvili verschmolzen sind. Das ist fast ein Timbre. Die
Georgierin, ein Mezzosopran, führt ihre Stimme mit exzeptioneller
Klarheit und auffallend vibrato-arm. Auch nicht zu verachten, was
sie an leicht ansprechender Höhe anzubieten hat. Da ward im Duett
nicht nur das Agnus Dei zur lupenreinen Schmeichelei, zu dem das
Corps der Flöten (und dann der Oboen) das Seine beigetragen hat. Es
war einer jener (vielen) Momente dieser Aufführung, in der Christian
Thielemann ein exemplarisch ausgehorchtes Miteinander von Singen und
Spielen verwirklicht hat.
Doch weiter mit den Solisten: Das
Quartett fußte auf der mit der nötigen Bass-Schwärze ausgestatteten,
aber stets geschmeidigen und klar fokussierten Stimme von Ildar
Abdrazakov. Im Einzelnen war es verblüffend, wie wenig Volumen es
braucht, um dem Solisten-Tutti ein tragfähiges Fundament zu geben.
Jonas Kaufmann, theoretisch ein Fremdkörper in dieser
osteuropäischen Gruppe: Er kann seinen Tenor strahlen lassen und
sich zugleich maximal zurücknehmen, er war an dem Abend hoch
präsent, aber nicht der Gesangsstar.
Es müssen nicht
Muttersprachler sein, auch nicht im Fall des Requiems von Giuseppe
Verdi. Gerade diesem Werk haftet (hierzulande, wohlgemerkt!) ja der
Geruch an, eigentlich eine verkappte Oper zu sein. Eine
ur-italienische, versteht sich. Christian Thielemann lässt sich von
solchen Vorurteilen in keiner Weise beeindrucken und schon gar nicht
irre machen. Aus Verdis Partitur liest er, mit im Einzelnen durchaus
überraschenden Ergebnissen, ganz viel vokal/instrumentale
Kammermusik heraus. Es sangen also die Holzbläser der Sächsischen
Staatskapelle Dresden, und die Gesangssolisten haben, ohne ihre
großen Stimmen zu verleugnen, instrumental-wenig interagiert mit den
Kolleginnen und Kollegen im Orchester.
Kaum einmal setzte
Thielemann wirklich auf ein wuchtiges Forte. Reich differenziert
dafür die mittleren Lautstärkewerte, die stets ein durchhörbares
Klima sicherten. Dem von Peter Dijkstra einstudierten Chor des
Bayerischen Rundfunks muss man wohl nicht eigens sagen, wann er sich
zurücknehmen muss: Genaue Diktion hat ihn wieder einmal
ausgezeichnet, selbst in den Dies-irae-Entladungen hat man eben
deswegen so manche Instrumentalstimme plastisch heraushören können.
Geklatsch wurde noch, nachdem sich Chor und Orchester schon vom
Podium zurückgezogen hatten. Man hätte sich – würde nicht ein Handy
gerade in eine der leisesten Stellen des „Dies irae“ hineingebimmelt
haben – tatsächlich im siebenten Himmel fühlen können. Aber
wahrscheinlich ist es heutzutage ja so, dass auch die obersten
Himmelssphären nicht mehr mobiltelefonfreie Zonen sind…