Auch Operette zu singen bedeutet für einen Startenor Arbeit. So
leicht sind Franz Lehár & Co. nicht zu singen. Und den finalen
Hochtönen, die Jonas Kaufmann treffsicher in den tosenden Applaus
und in die Bravorufe seiner Fangemeinde hineinstemmt, hört man ihren
Schwierigkeitsgrad durchaus an. Glitzerblitzersilbrigblank strahlen
sie am Sonntagabend nicht.
Ansonsten aber gibt sich der
Mittvierziger, dessen derzeitiger Marktwert sich auch in der
aufdringlichen Drum-herum-Show eines bekannten Autoherstellers
widerspiegelt, gut gelaunt und entspannt. Er ist gerade in
Deutschland auf Operettentournee und machte jetzt auch Station im
ausverkauften Stuttgarter Beethovensaal.
Im Publikum
dominieren eindeutig die Ü-50-Damen. Mit Opernfernglas fixieren
einige den smarten Wuschelkopf bei der Arbeit, der mal wieder
Dreitagebart trägt. Ein paar von ihnen singen die Operetten-Hits
stumm mit, sie kennen wohl Kaufmanns aktuelle CD „Du bist die Welt
für mich“ in- und auswendig.
Brillante Instrumentierung,
musikalischer Witz, plötzliche Tempowechsel
Zum Glück hat
Kaufmann ein exzellentes Operettenorchester bei sich, das Münchner
Rundfunkorchester, das sich mit der leichten Muse sehr gut auskennt.
Hier und da driften die Instrumentengruppen ein bisschen
auseinander. Aber ansonsten funktioniert die Zusammenarbeit mit
Gastdirigent Jochen Rieder sehr gut: Die brillante Instrumentierung,
der musikalische Witz, die plötzlichen Stimmungs-, Tempo- und
Metrumwechsel: All dies kommt bestens zur Geltung.
Ja, das
Orchester muss geschmeidig, flexibel, sensibel sein, um diese Musik
zu ihrem Recht kommen zu lassen. Vor allem in den
Instrumentalnummern – also ohne Kaufmann – geben die Münchner dem
Affen Zucker: In Lehárs „Ballsirenen“-Walzer aus der „Lustigen
Witwe“ etwa oder in der wirklich wunderbar gespielten Ouvertüre zum
„Land des Lächelns“ – da reißt das Münchner Rundfunkorchester mit,
protzt mit Klangfarben und schönem, sehr durchsichtigem
Zusammenspiel.
Keine Frage: Es ist Frühling in Wien, zu hören
an den zwitschernden Flöten, schmetterlingshaften Harfenkaskaden,
sanft summenden Trommelwirbeln, sinnlich-schmachtenden Trompeten und
einem Streichersound wie frischer, luftiger Schlagobers.
Hier
wird kein Gefühlskitsch (re-)produziert
Was den Abend wachsen
lässt, ist die Tatsache, dass hier kein Gefühlskitsch
(re-)produziert wird – was ja einfach wäre bei Nummern wie „Gern
hab’ ich die Frau’n geküsst“ aus Lehárs „Paganini“ oder „Dein ist
mein ganzes Herz“.
Jonas Kaufmann – intelligent, reflektiert
– stellt sein dunkles, volles, baritonales Timbre und dessen
sinnlichen Schmelz in den Dienst der Gestaltung, verleiht selbst
Emmerich Kálmáns „Grüß mir mein Wien“ aus der „Gräfin Mariza“ ein
tiefsinnig-melancholisches Flair: „Wenn der Geige Lied von der
Puszta klingt, sitz’ ich oft allein hier bei dem Glaserl Wein“
klingt so gar nicht herzig-verbrämt, bräsig-provinziell, sondern
eben wirklich nach fieser Einsamkeit.
Ein Highlight ist
schließlich „Schatz, ich bitt’ dich“ aus Lehárs „Frasquita“: „Hab
ein blaues Himmelbett, drinnen träumt es sich so nett! Aber nicht
allein, geh, sag nicht nein!“ Kaufmann singt’s durchaus kokett, aber
eben auch so, dass ein Trauerflor darüberliegt: Das bittere Ende
dieser Affäre ist so sicher wie das Amen in der Kirche.