Nürnberger Nachrichten
von Thomas Heinhold
 
Konzert, Nürnberg, Meistersingerhalle, 15. Mai 2023
Fast ein Heimspiel
 
Konzert Jonas Kaufmann zeigt in Nürnberg, wie man stimmlich reift – und seinen Ausdruck sogar noch erweitert.

Auch Heimspiele wollen gewonnen werden. Diese Erkenntnis betrifft sogar Opern-Weltstars wie Jonas Kaufmann, der am Montag in der Meistersingerhalle doppelt zu Hause war. Vom globalen Wirkungskreis dieses bedeutendsten deutschen Tenors aus gesehen, liegt Nürnberg quasi gleich nebenan von seinem Geburtsort München. Und die dargebotenen Verdi- und Verismo Arien sind ebenfalls ein Heimspiel, denn Kaufmann bewegt sich im italienischen Fach wie ein Fisch im Wasser.

Natürlich sind damit sein Können und seine Klasse nicht annähernd abgedeckt; Kaufmann kann auch Operette und Wiener Schmäh; vor allem aber setzt er Maßstäbe in der französischen Oper und im deutschen Fach; für die Interpretation seines Tannhäuser bei den Salzburger Osterfestspielen wurde er erst kürzlich gefeiert. Wie andere Sänger, die Spitzenleistungen erbringen, arbeitet Kaufmann im nun schon gereiften Alter von 53 Jahren ständig am Ausdrucksvermögen seiner Stimme und an der charakterlichen Durchdringung seiner Rollen.

Aus dieser Perspektive ist ein Konzertprogramm mit Arien alles andere als ein leichtes Spiel, denn es besteht nur aus gesanglich-emotionalen und musikalischen Höhepunkten der jeweiligen Werke.Die Intensität solcher Szenen muss von null auf hundert abgerufen werden – und das mehrmals hintereinander.

Gleich mit der Radames-Arie „Celeste Aida“ aus der „Aida“ wird der Abend stimmlich ausgemessen. Kaufmann kann selbstbewusst auftrumpfend tönen, um seinen in der Reife der Jahre noch stärker abgedunkelten Tenor im Kontrast umso wirkungsvoller die lyrische Wärme des Liebenden zu geben. Auch im Orchester steht trompetenhaft Heldisches neben sehnsüchtiger Streicherwohligkeit.

Jochen Rieder und die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz sind bewährte künstlerische Partner Kaufmanns. Sie treffen die charakteristische Emotionalität der jeweiligen Musikstücke zielsicher, ohne zu pauschal zu klingen. Im Spektrum dieser Italianitá hat Kaufmann Luft für die individuellen Moments seines Gesanges. Und die orchestralen Einschübe geben dem Sänger die nötigen Pausen in dieser Tour de Force.

Auch „Oh! Fedenegar“ aus „Luisa Miller“ fordert Kaufmann heldisch, bevor er lyrisch und geschmeidig werden darf – ideal für seinen interessant gereiften und perfekt gepflegten Tenor. Beim Nürnberger Auftritt sitzt stimmlich fast alles; eine gewisse Brüchigkeit in bestimmten Momenten baut Spannung auf, selbst die leisen Töne der Mittellage – manchmal seine „Problemzone“ – wirken unangestrengt.

Im Verismo-Teil des Konzerts nach der Pause sind die vokalen Glanzlichter sehr bewusst gesetzt. Kaufmann demonstriert damit, dass die Reifung seine Stimme keine Einschränkung, sondern eine Erweiterung des Ausdrucksvermögens bringt.

„Sipio?“ aus Leoncavallos „I Pagliacci“ ist eigentlich schon ein baritonales Stück, das die tiefen und dunklen Qualitäten, über die der Startenor verfügt, geradezu einfordert. Man erinnert sich an Mahlers „Lied von der Erde`, als Kaufmann 2019 in Nürnberg allein die Tenor- und die Baritonvarianten dieser sechs Orchesterlieder übernahm.
Nochmals aus „I Pagliacci“ fordert „Vesti la giubba“ eine schon extreme Exzentrik im Ausdruck. Das Drama des Clowns, der sein Publikum belustigen soll, während gerade die Liebe seines Lebens zerbrochen ist, hat Kaufmann früher als drängendes Verzweiflungsstück gesungen – jetzt kreiert er die dramatische Fallhöhe dieses Stückes weniger mit kraftvoll-spektakulärem Ausdruck als mit subtil abgestufter innerer Verzweiflung. Meisterhaft.

In „Mamma! Quelvino“ aus Mascagnis „CavalleriaRusticana“ werden die Freuden des Alkohols in einer Weise gepriesen, die das kommende Unheil bereits heraufbeschwören; Kaufmann kann sich auch hier vollständig auf seine Stimme verlassen, die hochdramatische Power an diesem Abend ebenso leicht abruft wie lyrische Zwischentöne und Mezza voce in „E la solitastoria“ aus Cileas „L´Arlesiana“.

Das Publikum in der Meistersingerhalle jubelt ausgiebig. Auch Heimspiele gewinnt man nicht ohne künstlerisches Herzblut. Kaufmann hatte dieses Mal viel davon – und bedankte sich mit Zugaben wie Leoncavallos „Mattinata“, Cheniers „ComeUn Bel Di DiMaggio“ und den Filmsong „Non toscordar di me“.





 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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