Abendzeitung, 4.5.2023
Michael Bastian Weiß
 
Konzert, München, Isarphilharmonie, 3. Mai 2023
Eine Stimme wie dunkle Schokolade
 
Jonas Kaufmann mit italienischen Arien in der Isarphilharmonie

Ein geborener Schauspieler ist Jonas Kaufmann nicht. Das heißt nicht, dass er sich auf der Opernbühne nicht geschmeidig zu bewegen wisse oder man ihm die jeweiligen Figuren nicht abnehmen würde. Doch wenn er im Prolog des Tonio aus dem Einakter „I Pagliacci" von Ruggiero Leoncavallo „schaurige Wahrheit" und „zynisches Gelächter" ankündigt, liest man seinen Gesten höchstens ein mildes Bedauern ab. Und die „göttliche Gestalt" der „himmlischen Aida" schildert er in der Auftrittsarie des Radames aus Giuseppe Verdis „Aida" mit beinahe neutraler Mimik.

Bei Jonas Kaufmann drängen die Inhalte der Texte nicht von sich aus zum dramatischen Ausdruck. So überraschend das sein mag, ist das ein kaum zu überschätzender Vorteil. Denn der gebürtige Münchner legt alle Gestaltungskunst in seinen Gesang. Mit „Celeste Aida" hat Kaufmann eines der meistgefürchteten Glanzstücke seines

Fachs gleich an den Anfang seines Rezitals gestellt. Mühelos gleitet die Stimme in die Höhe, wo die Töne berückend leise angestreichelt werden, das strahlende hohe B wird mit langem Atem erreicht, füllt die lsarphilharmonie voll aus - und findet ein Echo in einem fast unwirklich in makelloser „voix mixte" schwebendem Schlusston.

Für eine solche tenorale Hochkunst findet man auch auf alten Schallplatten kein Gegenstück, zumal kaum einer der historischen Kollegen über eine so attraktiv dunkelschokoladige Mitte und Tiefe verfügen konnte, Den Prolog aus den „Pagliacci" singt wohlgemerkt normalerweise ein Bariton. Kaufmann kann es sich erlauben, in diesem Fach zu wildern, dann aber auch in einem seltenen Stunt das schluchzende „Tu se' Pagliaccio!" („Du bist Bajazzo!") hinterzuschicken, das im Stück der Tenorpartie des Canio gehört —und diesen immensen Stimmumfang in die gleichbleibende violoncelloartig samtene Klanglichkeit zu tauchen.

Die prachtvoll tönende Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unterstützt den Gesang in Streichern und Bläsern mit fließendem Melos, und man merkt, dass der Dirigent Jochen Rieder und Kaufmann aufeinander eingespielt sind. Nur momentweise, gerade im „Pagliacci"-Prolog, lässt sich Rieder vom Belcanto seines Solisten ein wenig einlullen und erstarrt im schieren Schönklang.

Zugegeben: Jonas Kaufmann ist an diesem Abend auch besonders gut drauf. Gleich zu vier Zugaben lässt er sich hinreißen, darunter das elegische „Come un bel di maggio" aus „Andrea Chenier" von Umberto Giordano - Kaufmann hat diese Rolle schon im Nationaltheater verkörpert -, sowie das mit Wärme und Diskretion gesungene Lied „Ombra di nube" von Licinio Refice. Gerade bei solchen leisen Nummern ist Kaufmann ganz bei sich - ohne gestische oder mimische Illustration.






 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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