Eine Oster-Oper zu Ostern — den unvermeidlichen Opernzwilling hat
man aufgrund einer attraktiven Doppel-Tenor-Besetzung auch gerne
akzeptiert —sollte eigentlich eine einfache, bündig erzählte Sache
sein. Doch am Theater heute gibt es keine Einfachheit mehr.
Philipp Stölzl hat vielfache Interessen und viele Sparten
künstlerischer Tätigkeit durchgearbeitet: Bühnenbild, Film, Video,
Werbung und nicht zuletzt Regie. Daher sind ihm die beiden simpel
gestrickten und demzufolge recht geradlinig durchzuführenden
Kurzopern des „Verismo" und ihre „Wahrheiten" zu einfach und zu
schlicht.
Die Komponisten Pietro Mascagni und Ruggero
Leoncavallo haben sich mit ihren Einaktern zwar ohnedies in die
Musikgeschichte eingegraben, aber die Verlockungen der
Breitwandbühne waren wohl allzu groß, um etwas „noch nicht
Dagewesenes" zu produzieren.
Was geschah also? Auf die
gesamten 30 m Bühnenbreite baute Stölzl ein Gerüst von 6 Containern
in 2 Etagen, in denen er die einzelnen Szenen verteilte. Doch damit
nicht genug: Er tauchte die Optik bei „ Cavalleria" in eine
Kombination aus Film noir, holzschnittartigen Flächen und die
Atmosphäre italienischer Nachkriegsfilme (Kostüme: Ursula Kudrna),
was anfangs verblüffte und amüsant anzusehen war, aber bald an
Platznot und Bewegungsmangel zu erkranken begann, weil ja überhaupt
keine längeren Abläufe möglich waren. (Dass sich das Feuilleton
vielleicht diesmal ausnahmsweise nicht fadisiert hat, wie sonst in
der Oper, ist nicht das Problem der anwesenden Musikfreunde.)
Auch die brutale Ausdruckskraft des italienischen Verismo litt
unter der künstlichen Welt, die sich da in Süditalien breit gemacht
hat. Wenn Santuzza und Turiddu ihr Streitduett in einem winzigen
Dachkämmerlein austragen müssen, verläuft die Szene keineswegs so
brisant, wie wenn sie mitten im Dorf auf den Stufen der Kirche
stattgefunden hätte. Der unheimliche Fluch („A te la mala Pasqua")
geht somit völlig ins Leere. Der Chor kann sich kaum rühren, obzwar
sich die vorzüglichen Dresdner Choristen sehr darum bemüht haben.
Aber auch einige grobe Fehler sind dem Regisseur passiert. So
hat Santuzza ihre Schwangerschaft längst hinter sich, sie umsorgt
den mittlerweile 12 —14-jährigen „Fehltritt", den sie als Ministrant
(!) einkleidet. Das wäre jetzt wahrscheinlich immer noch nicht
möglich, dass ein „Kind der Sünde" ministrieren geht, auch wenn das
Bauerndorf in Stölzls Sicht zu einem Kaff am Rande einer
Industriebrache gelegen, geworden ist und von der Mafia dominiert
wird. (Die „Pagliacci" boten etwas mehr Farbe und durch Öffnen der
unteren Container wenigstens dem Chor mehr Platz, obzwar er von der
oben spielenden „ Commedia" kaum etwas sehen konnte.) Kurz: Dem
schwarz-weißen Bildertheater fiel das lebendige Bühnenleben zum
Opfer, der Verismo kapitulierte vor einem überzüchteten, fast als
überkandidelt zu bezeichnenden Kopftheater, das freilich technisch
auf hohem Niveau stattfand. Es war nur „einmal etwas Anderes" — und,
was in unseren ohnedies für die 'Theater nicht ungefährlichen Zeiten
auch zu bedenken ist — am falschen Objekt ausprobiert.
Christian Thielemann hat heuer sein Repertoire ausgeweitet, nicht
nur mit den beiden leidenschaftsbrodelnden Einaktern, sondern auch
im Konzert. In beiden Sparten konnte man feststellen, wie die
Sächsische Staatskapelle Dresden seit seinem Amtsantritt gewonnen
hat, an klanglicher Substanz, an differenziertem Ausdruck und einer
mitreißenden Spielfreude. Thielemann macht auch im italienischen
Fach großes Musiktheater, arbeitet dabei ungemein genau, ausgefeilt
und pointiert und lässt den Klang aufblühen. (Seine vertrauten
Generalpausen und Pianophrasen gab es auch hier, und leider traf
eine davon den Tenorhelden des Abends, in der Siciliana, an einer
besonders heiklen Stelle, mit der er es sich nicht leicht machte.
Die hohen Ansprüche, zwei tenorale Brocken an einem Abend zu
stemmen, hat Jonas Kaufmann in großartiger Weise erfüllt und fein
differenziert. Der lockere Turiddu und der umdüsterte Canio sind
darstellerisch und musikalisch bis in die Fingerspitzen erarbeitet,
in der Körpersprache ganz verschieden und im Ausdruck ungemein
verfeinert — wobei er sich in „Recitar!" förmlich die Seele aus dem
Leib singt. Eine ganz große Leistung. Seine Partnerinnen hatten es
dabei natürlich nicht leicht. Liudmyla Monastyrska (Santuzza)
verfügt über eine große, höhensichere Spinto-Stimme, in der
Mittellage mit einem (durchaus tolerablen) Vibrato, wie es in diesem
Fach nicht unüblich ist, aber mit einer klaren und schlanken höheren
Lage (was ihr im Verdi-Requiem zugute kam), und spielt eine scheue,
demütig duldende Frau. Um ihren Fluch-Knalleffekt hat sie die Regie
gebracht, daher kann man ruhig sagen, es fehlte ein wenig an
sizilianischem Feuer, aber mit einem so eingeschränkten
Bewegungsrepertoire wird es eben nicht mehr. (Kollege Kaufmann ist
damit gut fertig geworden, da funktioniert der körperliche Ausdruck
auch im ruhigen Stehen.)
Stefania Toczyska war, ständig mit
dem Rücken zum Publikum agierend und ihren Abrechnungen hingegeben,
eine merkwürdige kalte Mamma Lucia, aber auch das hat die Regie zu
verantworten. (So kennt man sie nämlich nicht.) Annalisa Stroppa war
die „fesche Lola", als Typ gut, als Memo charakteristischer als die
üblichen Soubretterin. In Ambrogio Maestri, der vollstimmig sang und
im Nadelstreif in einen jeden Mafia-Film gepasst hätte, fand Turiddu
Kaufmann einen echten Widerpart, der wohl den Tonio auch hätte
machen können. Denn Dimitri Platanias sang die Partie allzu
konventionell, war szenisch zu wenig präsent und sang, zum Ingrimm
der Höhenjäger, „Incominciate" nicht hinauf. Tansel Akzeybek war
hingegen ein flinker, einfühlsamer und komödiantischer Beppe. Die
Nedda sang Maria Agresta mit fast schon etwas zu dramatischer
Stimme, aber mit dem richtigen Ausdruck der Sehnsucht, nach Liebe,
nach Freiheit, hatte die nötige Härte im Umgang mit dem — freilich
nicht eben gefährlichen — Tonio und legte mit Alessio Arduini, der
auch schon zu etwas sehr dramatischem
Singen neigte, ein
ziemlich „ausführliches" Liebesduett hin. Arduini war als braver
Stadtmensch verkleidet, blieb dem stürmischen Liebhaber Silvio aber
trotzdem nichts schuldig.
In beiden Opern sang der
stimmgewaltige und spielfreudige Sächsische Opernchor Dresden
vorzüglich, wurde auch noch vom Salzburger Bachchor und dem
Salzburger Theater-Kinderchor verstärkt (die Kinderchöre blühen
allerorten auf!) und boten gemeinsam mit dem schon eingangs
gepriesenen Orchester eine tadellose Gesamtleistung, der Christian
Thielemann mit der ihm eigenen Präsenz vorstand. Das Publikum
jubelte auch in dieser Abschluss-Vorstellung der Osterfestspiele
2015.