Die Zeit, 1. April 2015
von Volker Hagedorn
 
Mascagni: Cavalleria rusticana, Leoncavallo: Pagliacci, Salzburg, 28. März 2015
 
Schön auf dem Klangteppich bleiben
Wo Graphic Novel und Postpostmoderne zusammenfinden: Christian Thielemann und Christoph Stölzl versuchen sich in Salzburg an den beiden Kurzopern »Cavalleria rusticana« und »I Pagliacci«

Sie gingen hart ran an die Realität, diese Komponisten. Alltagstypen und Außenseiter holten sie ganz nach vorn, die ohne Happy End auf der Strecke blieben: zuerst eine Zigarettenarbeiterin, die man heute als Carmen verehrt, dann all die Leute, die zeitnah am echten Leben litten und leiden. Man spricht immer noch von verismo, aber nichts altert so schnell wie die Realität, gerade in der Oper. Das Liebesleben italienischer Provinzler um 1890 war schon zwanzig Jahre später ein dankbares Genrebild, und so ging es bald im Doppelpack auf Erfolgskurs in Sachen Eifersucht (von Insidern gern Cav/Pag genannt): Cavalleria rusticana von Pietro Mascagni und I Pagliacci von Ruggero Leoncavallo.

Ehebruch geht immer, und wenn es gut klingt, umso besser. Das ist das Erfolgsgeheimnis der beiden Kurzopern, und nicht irgendeine gesellschaftliche Brisanz, mit der man das Publikum der Salzburger Osterfestspiele wohl nur nerven würde. Up to date möchte man hier trotzdem sein, und da ist ein cinematografisch versierter Endvierziger wie Philipp Stölzl genau der richtige Regisseur. Er hüllt die Cavalleria ins Schwarz-Weiß frühen Kintopps ein und macht die große Bühne des Festspielhauses zum Split Screen. Auf zwei Etagen finden sich sechs Fächer verteilt, darin man Kirche, Kneipe, Kämmerlein sieht oder auch mal in Großaufnahme Lola am Dachfenster bei der Zigarette danach, alles sehr hübsch.

An optischen Querverweisen fehlt es nicht. Die halb plastische, halb gemalte Ausstattung der Fächer verbindet Graphic Novel mit Expressionismus und die Postpostmoderne mit Klamotten von 1900, und durch die Zitatenvirtuosität wird der Plot noch einfacher, als er es ist. Lolas Mann Alfio (grandios: Ambrogio Maestri) ist hier ein so brutaler Halbmafioso, dass er es verdient hat, gehörnt zu werden, und außerdem sieht Jonas Kaufmann als Turiddu viel zu gut aus, als dass ihm nicht die schärfste Braut (Annalisa Stroppa) zustünde. Seiner stimmlichen Entfaltung kommen die Aktionskästchen allerdings nicht so entgegen wie der sitzengelassenen Santuzza: Liudmyla Monastyrska ist wirklich bewegend.

Sonst aber eigentlich nichts. Wo der Scherenschnitt jegliche Psychologie ersetzt, bleiben die Emotionen ebenso im Kästchen wie jeder Gegenwartsbezug (der sich in Cav/Pag durchaus herstellen lässt, wie Calixto Bieito in Hannover bewiesen hat). Die Dresdner Staatskapelle kommt derweil kaum aus dem Klangteppich heraus, den ihr Chef Christian Thielemann im Graben entrollt. Dass Achtel federn könnten wie eine Matratze, dass Synkopen die Wut des Gehörnten antreiben können, das hat man schon im unverklemmten Dresden des 18. Jahrhunderts besser gewusst. Viel näher als Mascagnis Partitur ist den Musikern die Sprache Leoncavallos, näher an Wagner, artifizieller auch, subtiler. Da wird Thielemann spannend und verbindlich. Und Jonas Kaufmann, eben noch als Turiddu abgestochen, ist nun Canio, der selbst ein sündiges Paar schlachtet. Neben seinem dringlichen, dunkel timbrierten Tenor beeindruckt Kaufmanns darstellerische Intensität. Diesem Bajazzo, der auf einer Jahrmarktsbühne einen Gehörnten spielen muss und selbst einer ist, glaubt man die Not. Auch alle anderen sind glänzend besetzt; vom kristallklar singenden Harlekin (Tansel Akzeybek) bis zur freiheitssuchenden Ehebrecherin (Maria Agresta) beantworten sie ein paar Fragen, die der Regisseur den Figuren gar nicht erst stellt. Denn Stölzl steckt nun fest in seinem Split Screen, und statt der schwarz-weißen Graphic Novel kommt das knallbunte Ausstattungstheater der 1960er Jahre zum Vorschein.

Die Absicht hinter dekorativ fröhlichen Chorauftritten und einem Gestenvokabular aus der Mottenkiste lässt sich nicht ergründen, vielleicht gibt es einfach keine. Gerade dieser Regisseur, vertraut mit hybrider Multimedialität, hätte I Pagliacci daraufhin abklopfen können, was sie uns über die Verschmelzung von individuellen und virtuellen Emotionen zu sagen haben. Nur weil die Gegenwart übermorgen schon wieder Patina angesetzt haben wird, braucht man noch lange nicht an ihr vorbeizugehen. Man muss sicher nicht gleich ein Facebook-Drama basteln, aber doch fragen: Was geht uns das alles an, von Sex und Liebe einmal abgesehen? Auch dafür, dass diese Frage an diesem Abend nicht gestellt wurde, hat sich das Festspielpublikum begeistert bedankt.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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