Die Osterfestspiele Salzburg strecken sich dieses Jahr weit in den
Süden und holen eine nur scheinbar ferne Vergangenheit aus Sizilien
auf die Bühne des Großen Festspielhauses. Dort gab es am zum Auftakt
die Doppelpremiere „Cavalleria rusticana“ von Pietro Mascagni und
„Pagliacci“ (Der Bajazzo) von Ruggero Leoncavallo. Zu schade, dass
es hier Usus ist, alle Produktionen und Konzerte nur zweimal
aufzuführen. Das Operndoppel hätte das Zeug zum Publikumsrenner. In
Salzburg ist es auch für den Ostermontag restlos ausverkauft.
So international wie das erlesene Publikum sind die Mitwirkenden
der beiden Verismo-Opern. Da haben die Festspiele ganze Arbeit
geleistet und Sänger-Darsteller gefunden, die wirklich beides
können: singen und schauspielern. Für die Arbeit des Theater- und
Filmregisseurs Philipp Stölzl scheint das besonders wichtig, sind
sogar unabdingbare Voraussetzungen, denn er vertraut zwar ganz der
Musik und leitet daraus die Aktionen ab, setzt aber zudem auf das
Sichtbarmachen innerer Vorgänge. Dazu hat er sich hier auf eine
Gleichzeitigkeit eingelassen, die eigentlich nur mit filmischer
Schnitttechnik möglich ist. Stölzl, von der Pike auf gelernter
Bühnenbildner, realisiert das auch im Theater und stellt sechs große
Setzkästen auf die gewaltige Breite des Portals. So erleben wir
zusätzlich zum geradlinigen Verlauf der beiden mörderischen
Opernkrimis immer wieder situative Rückblenden, bekommen den Blick
auf Dorfplatz und in Seelenlandschaften zugleich. Als Oper in sechs
Bildern war bislang weder „Cavalleria“ noch „Pagliacci“ bekannt. Das
hat Stölzl nun mit dem unter der Hand als „Cavalliacci“ bezeichneten
Doppel gründlich geändert und sich dabei selbst als
Gesamtkunstwerker erwiesen.
Doppeltes Rollendebüt von
Jonas Kaufmann
Zwei Figuren sind es, die an Grenzen
von Liebe und Leben herangeführt werden, in beiden gibt Jonas
Kaufmann sein Rollendebüt. Als Turiddu der „Cavalleria“ zerreißt es
ihn zwischen familiärer Pflicht und geiler Gier, kann er von der
geliebten Lola nicht lassen, stürzt die betrogene Santuzza und den
gemeinsamen Sohn damit ins Unglück. Letztlich sich selbst, denn Lola
ist mit dem Obermafiosi des Ortes verheiratet – und der nimmt
blutige Rache.
Wie in einem Schwarz-Weiß-Comic singt
Kaufmann-Turiddu in seiner Dachkammer schmelzend vor Sehnsucht,
draufgängerisch in der Menge, Liudmyla Monastyrska als Santuzza
peilt zwischen lautstarkem Schmerz und feintönigem Leid immer wieder
ins Herz, Annalisa Stroppa als bild- und stimmschöne Lola macht den
Konflikt verführerisch nachvollziehbar. Als Ehemann Alfio setzt
Ambrogio Maestri dem ein Ende, als Doppelbild: Während er vor der
Kirche das Blut von seinem Messer wischt, stürzt der Erstochene im
Inneren schon zusammen.
Diese Raffinesse von Handlung als
Totale und Einblick via großer Blende vermittelt nicht nur das
besondere Sentiment dieser heillosen Situation, sondern auch ein
Gefühl für die bleierne Zeit irgendwann zu Beginn des 20.
Jahrhunderts irgendwo im italienischen Süden. Und doch ist das so
inszeniert, dass es uns Heutige etwas angeht und sowohl visuell als
auch emotional begeistert.
Für „Pagliacci“ behält die Regie
dieses Konzept bei, wechselt nun aber ins Zeitalter der Farbe. Bei
der Komödiantenwelt des Bajazzo fraglos ein Muss. Auch hier geht es
ja um verratene Liebe, will Silvio mit der schönen Nedda fliehen,
die aber ist mit Canio liiert und wird von Tonio begehrt. Als sie
diesen abweist und der die heimliche Liaison entdeckt, verrät er sie
dem betrogenen Canio. Und auch der greift zum Messer …
Kaufmann ist hier noch eine Spur präsenter, mimt nicht nur den
banalen Rächer, sondern den zutiefst enttäuschten Liebenden. Wieder
ist es eine Großaufnahme, die dies deutlich macht. Und wieder sind
es Gegenaufnahmen, die ein solches Finale aus unterschiedlicher
Sicht spiegeln.
Ohne den Star hervorzukehren, spielt der
Tenor das „Pagliacci“-Ensemble nahezu an die Wand, obwohl Maria
Agresta eine faszinierende Nedda ist, Dimitri Platanias einen
brutalen Tonio gibt und Alessio Arduini einen hinreißenden Liebhaber
Silvio.
Unbedingt erwähnenswert sind die technischen
Meisterleistungen für diese Produktion. Fast lautlos rollen die
Guckkastenbühnen über die Fläche, gehen Szene und Filmwiedergabe
Hand in Hand, öffnen und schließen sich die Kästen minutiös. Luftig
leichte Kostüme von Ursula Kudrna vermitteln zeit- und ortstypisches
Flair.
Im Gegensatz zur bewusst holzschnittartigen
Bildsprache, die Stölzls grafische Ambitionen verrät und die
Wahrhaftigkeit der beiden Opernkrimis betont, kommt von den aus
Dresden und Salzburg stammenden Chören auf der Bühne sowie von der
Sächsischen Staatskapelle im riesigen Graben eine glühende
Italianità. Anfangs etwas zu brausend, wodurch minimale Divergenzen
entstehen, insgesamt aber betörend schön, mitreißend fulminant.
Das bei diesem Festival bekanntermaßen sehr anspruchsvolle
Publikum honorierte das hohe Niveau dieser Klangkunst zur Premiere
mit enormem Applaus und bedachte auch das wirkungsvolle
Inszenierungskonzept – bis auf eine sehr vereinzelte Ablehnung – mit
verdient respektvollem Beifall.