NMZ, 03.04.2015
Von Michael Ernst
 
Mascagni: Cavalleria rusticana, Leoncavallo: Pagliacci, Salzburg, 28. März 2015
 
Verismo-Opern in schwarzen, weißen und ganz bunten Tönen
Die Osterfestspiele Salzburg strecken sich dieses Jahr weit in den Süden und holen eine nur scheinbar ferne Vergangenheit aus Sizilien auf die Bühne des Großen Festspielhauses. Dort gab es am zum Auftakt die Doppelpremiere „Cavalleria rusticana“ von Pietro Mascagni und „Pagliacci“ (Der Bajazzo) von Ruggero Leoncavallo. Zu schade, dass es hier Usus ist, alle Produktionen und Konzerte nur zweimal aufzuführen. Das Operndoppel hätte das Zeug zum Publikumsrenner. In Salzburg ist es auch für den Ostermontag restlos ausverkauft.

So international wie das erlesene Publikum sind die Mitwirkenden der beiden Verismo-Opern. Da haben die Festspiele ganze Arbeit geleistet und Sänger-Darsteller gefunden, die wirklich beides können: singen und schauspielern. Für die Arbeit des Theater- und Filmregisseurs Philipp Stölzl scheint das besonders wichtig, sind sogar unabdingbare Voraussetzungen, denn er vertraut zwar ganz der Musik und leitet daraus die Aktionen ab, setzt aber zudem auf das Sichtbarmachen innerer Vorgänge. Dazu hat er sich hier auf eine Gleichzeitigkeit eingelassen, die eigentlich nur mit filmischer Schnitttechnik möglich ist. Stölzl, von der Pike auf gelernter Bühnenbildner, realisiert das auch im Theater und stellt sechs große Setzkästen auf die gewaltige Breite des Portals. So erleben wir zusätzlich zum geradlinigen Verlauf der beiden mörderischen Opernkrimis immer wieder situative Rückblenden, bekommen den Blick auf Dorfplatz und in Seelenlandschaften zugleich. Als Oper in sechs Bildern war bislang weder „Cavalleria“ noch „Pagliacci“ bekannt. Das hat Stölzl nun mit dem unter der Hand als „Cavalliacci“ bezeichneten Doppel gründlich geändert und sich dabei selbst als Gesamtkunstwerker erwiesen.

Doppeltes Rollendebüt von Jonas Kaufmann

Zwei Figuren sind es, die an Grenzen von Liebe und Leben herangeführt werden, in beiden gibt Jonas Kaufmann sein Rollendebüt. Als Turiddu der „Cavalleria“ zerreißt es ihn zwischen familiärer Pflicht und geiler Gier, kann er von der geliebten Lola nicht lassen, stürzt die betrogene Santuzza und den gemeinsamen Sohn damit ins Unglück. Letztlich sich selbst, denn Lola ist mit dem Obermafiosi des Ortes verheiratet – und der nimmt blutige Rache.

Wie in einem Schwarz-Weiß-Comic singt Kaufmann-Turiddu in seiner Dachkammer schmelzend vor Sehnsucht, draufgängerisch in der Menge, Liudmyla Monastyrska als Santuzza peilt zwischen lautstarkem Schmerz und feintönigem Leid immer wieder ins Herz, Annalisa Stroppa als bild- und stimmschöne Lola macht den Konflikt verführerisch nachvollziehbar. Als Ehemann Alfio setzt Ambrogio Maestri dem ein Ende, als Doppelbild: Während er vor der Kirche das Blut von seinem Messer wischt, stürzt der Erstochene im Inneren schon zusammen.

Diese Raffinesse von Handlung als Totale und Einblick via großer Blende vermittelt nicht nur das besondere Sentiment dieser heillosen Situation, sondern auch ein Gefühl für die bleierne Zeit irgendwann zu Beginn des 20. Jahrhunderts irgendwo im italienischen Süden. Und doch ist das so inszeniert, dass es uns Heutige etwas angeht und sowohl visuell als auch emotional begeistert.

Für „Pagliacci“ behält die Regie dieses Konzept bei, wechselt nun aber ins Zeitalter der Farbe. Bei der Komödiantenwelt des Bajazzo fraglos ein Muss. Auch hier geht es ja um verratene Liebe, will Silvio mit der schönen Nedda fliehen, die aber ist mit Canio liiert und wird von Tonio begehrt. Als sie diesen abweist und der die heimliche Liaison entdeckt, verrät er sie dem betrogenen Canio. Und auch der greift zum Messer …

Kaufmann ist hier noch eine Spur präsenter, mimt nicht nur den banalen Rächer, sondern den zutiefst enttäuschten Liebenden. Wieder ist es eine Großaufnahme, die dies deutlich macht. Und wieder sind es Gegenaufnahmen, die ein solches Finale aus unterschiedlicher Sicht spiegeln.

Ohne den Star hervorzukehren, spielt der Tenor das „Pagliacci“-Ensemble nahezu an die Wand, obwohl Maria Agresta eine faszinierende Nedda ist, Dimitri Platanias einen brutalen Tonio gibt und Alessio Arduini einen hinreißenden Liebhaber Silvio.

Unbedingt erwähnenswert sind die technischen Meisterleistungen für diese Produktion. Fast lautlos rollen die Guckkastenbühnen über die Fläche, gehen Szene und Filmwiedergabe Hand in Hand, öffnen und schließen sich die Kästen minutiös. Luftig leichte Kostüme von Ursula Kudrna vermitteln zeit- und ortstypisches Flair.

Im Gegensatz zur bewusst holzschnittartigen Bildsprache, die Stölzls grafische Ambitionen verrät und die Wahrhaftigkeit der beiden Opernkrimis betont, kommt von den aus Dresden und Salzburg stammenden Chören auf der Bühne sowie von der Sächsischen Staatskapelle im riesigen Graben eine glühende Italianità. Anfangs etwas zu brausend, wodurch minimale Divergenzen entstehen, insgesamt aber betörend schön, mitreißend fulminant.

Das bei diesem Festival bekanntermaßen sehr anspruchsvolle Publikum honorierte das hohe Niveau dieser Klangkunst zur Premiere mit enormem Applaus und bedachte auch das wirkungsvolle Inszenierungskonzept – bis auf eine sehr vereinzelte Ablehnung – mit verdient respektvollem Beifall.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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