In Salzburg kann man gerade hören, weshalb der Dirigent Christian Thielemann ein heißer Kandidat für die Berliner Philharmoniker ist. Oben auf der Bühne aber stiehlt ihm ein anderer die Show
So erfrischend klar der Wind in diesen Tagen aus den noch
schneebedeckten Bergen durch Salzburg weht, ist auf dem Barometer
der laufenden Osterfestspiele doch ein leichtes Zittern der
normalerweise im Schönwetterbereich liegenden Atmosphärennadel zu
bemerken. Nicht auszuschließen, dass da was aufzieht von Norden, aus
Richtung Berlin. Am 11. Mai wollen die dortigen Philharmoniker ihren
neuen Chefdirigenten benennen, ein Posten, der in der Branche als
der renommierteste weltweit gilt. Und als Favorit hierfür fällt
immer öfter ein Name: der von Christian Thiele-mann, künstlerischer
Leiter der Salzburger Osterfestspiele und Chef der Sächsischen
Staatskapelle Dresden, dem Stammorchester des Festivals. Favorit
umso mehr, als der ebenfalls häufig genannte Gustavo Dudamel gerade
in Los Angeles bis 2021 verlängert hat.
Die österliche
Salzburg-Residenz aber haben Thielemann und die Dresdner erst seit
2013 inne, nachdem sich die Berliner Philharmoniker nach Jahrzehnten
aus der Stadt an der Salzach verabschiedet haben und seither an
Ostern in Baden-Baden ihre Zelte aufschlagen. Würde Thielemann 2018
die Berliner übernehmen, wäre es jedoch höchst unwahrscheinlich,
dass das Orchester zurück nach Salzburg kehrt.
Was aber,
fragt man sich hier, würde dann aus den Osterfestspielen? Die
zwingende künstlerische Aura, kombiniert mit dem gerade für dieses
Festival so wichtigen Star-Faktor, geht nun mal von Thiele-mann aus.
Man hat es jetzt wieder erleben können beim Opern-Doppelabend mit
Mascagnis "Cavalleria rusticana" und Leoncavallos „Bajazzo".
Thielemann ist ein Musikbeschwörer wie kaum einer auf dem
internationalen Parkett. Dirigieren ist für ihn geradezu kultischer
Dienst, er zielt auf tiefinnere Überwältigung und hält kompromisslos
Abstand zum billigen Effekt. Auch wenn er beide Verismo-Kurzopern
eher breit anlegt auf Kosten der rhythmischen Spritzigkeit, so liegt
bei ihm doch allezeit Spannung in der Luft, spürt man dieses latente
Schwelen, das urplötzlich in lodernden Brand sich zu verwandeln
vermag. Von so etwas lebt die italienische Oper, das macht auch
diese Salzburger „Cavalleria", diesen „Bajazzo" zum Ereignis.
Der in zwei Tagen 56-Jährige hat für das szenische Arrangement
diesmal Philipp Stölzl engagiert. Der ist zwar opernerfahren, hat in
den vergangenen Jahren aber Film gemacht, zuletzt gar in großem Stil
mit der Bestseller-Adaption „Der Medicus". Stölzls Rückkehr zur Oper
merkt man das an. Der Regisseur hat die Riesenbühne des
Festspielhauses sechsfach in einer Weise unterteilt, als wären zwei
mal drei Flachbildschirme übereinandergestapelt. Faktisch sind so
sechs kleine Spielflächen geschaffen, die per Verdunklung hinzu-
oder weggeschaltet werden können, ganz so, wie wenn der Regisseur
mit der 'Fernbedienung im Saal säße. Sind mehrere dieser
Quasi-Screens geöffnet, sieht man das dramatische Personal simultan
agieren. Video gibt's auch, vor allem Gesichter werden in
Großaufnahme eingeblendet.
Visuell hat sich Stölzl, zusammen
mit Heike Vollmer auch für das Bühnenbild verantwortlich, von den
Bildfolgen des Illustrators Otto Nückel (1888-1955) inspirieren
lassen. Und so erinnert das Salzburger Setting in seiner
Holzschnitthaftigkeit, seinen schrägen Fluchten und scharfen Linien
an den Expressionismus der 1920er Jahre. Die „Cavalleria" ist, auch
bei den Kostümen (Ursula Kudrna), weit überwiegend in Schwarz, Weiß
und Grau gehalten; beim „Bajazzo" hingegen hat Stölzl seinem
Opernfernsehen Farbe verpasst. So oder so, alles ist opulent
anzuschauen und routiniert und lebendig mit Figurenbewegung gefüllt
— mehr aber auch nicht. Dazu kommt, dass die schematische
Bühnenteilung das Geschehen gerade an entscheidenden Stellen in der
Wirkmacht beschneidet. Der gesamte Amoklauf des Canio („Bajazzo")
mitsamt Doppelmord, beispielsweise, ist eben nur in einem
Sechstel-Ausschnitt zu sehen.
Aber Oper hat ja nicht nur
Szene, sondern auch Gesang zu bieten. Und der kommt im Falle der
männlichen Hauptpartien von „Cavalleria" und „Bajazzo" vom größten
Operntenor unserer Tage, von Jonas Kaufmann. Wer meistert schon mit
vergleichbarer Bravour die Helden Wagners ebenso wie die tragisch
Scheiternden des französischen und italienischen Fachs? Im letzteren
hat Kaufmann sein sowieso bereits enormes Repertoire jüngst noch
einmal um zentrale Rollen wie Alvaro („Macht des Schicksals") und
Radames („Aida") erweitert.
Und nun schon wieder ein Debüt,
ein doppeltes gar, Turiddu („Cavalleria") und Canio („Bajazzo") an
einem Abend. Ein Statement seiner überragenden Gestaltungskraft gibt
Kaufmann gleich zu Beginn. „O Lola ch'ai di latti la cammisa", das
Sehnsuchtslied an eine Frau, die einem anderen gehört, beginnt er
mit zweifelnd-gehauchter Stimme, sodass man spürt: Hier singt kein
dumpfer Macho, sondern ein Mensch mit wunder Seele, ein
Familienvater (so will es die Regie), dem die Leidenschaft seines
Lebens den Weg gekreuzt hat.
Nein, blanke Tenorkraft
auszustellen, das wäre dem 45-jährigen Münchner, der mit seinem
dunklen Lockenhaar auch ohne Maske unverschämt südländisch aussieht,
zu billig. Seine großen Szenen, darunter natürlich „Vesti la giubba"
(„Bajazzo"), sind tief sondierende Psychogramme, voller
dramaturgischer Intelligenz und Ökonomie, und in den intensivsten
Momenten ergießt sich ein Füllhorn offener, strahlender,
schmelzender Spitzentöne. So überragt Jonas Kaufmann ein
Festspiel-Sängerensemble, das eh schon keine Wünsche offenlässt, mit
der glänzenden Liudmyla Monastyrska (Santuzza), mit Ambrogio Meastri
(Alfio), Dimiti Platanias (Tonio) und Maria Agresta (Nedda).
Wie immer die Berliner Sache am 11. Mai auch ausgeht: Erst mal wird
in Salzburg an Ostern Kontinuität angesagt sein mit Thielemann und
den Dresdnern. Auch insofern, als das Festivalprogramm 2016 bei der
Oper italienisch bleibt. Verdis „Otello" steht auf dem Plan, nur
nicht mit Jonas Kaufmann: Johan Botha wird die Titelrolle
übernehmen.