Abendzeitung, 1.4.2015
Robert Braunmüller
 
Mascagni: Cavalleria rusticana, Leoncavallo: Pagliacci, Salzburg, 28. März 2015
 
Christian Thielemann und Philipp Stölzl verblüffen mit "Cavalleria rusticana" und "Pagliacci"
Bei den Osterfestspielen dirigiert Christian Thielemann die beiden veristischen Opernzwillinge mit Jonas Kaufmann in den beiden Tenorrollen

Er macht sich rar. Christian Thielemann dirigiert nur zwei Vorstellungen des unzertrennlichen Operndoppels „Cavalleria rusticana“ und „Pagliacci“. Die Wiederaufnahme dieser Premiere der Salzburger Osterfestspiele in der Semperoper überlässt er dem Italiener Stefano Ranzani. Schade für die Dresdner!

Thielemann hat ein erstaunlich gutes Gespür für die uritalienische Opernmusik der Verismo-Zwillinge. Vor allem Pietro Mascagnis „Cavalleria rusticana“ verwandelt er in ein Orchesterfest. Nichts ist laut oder vulgär. Das Intermezzo sinfonico singen die Streicher der Staatskapelle Dresden schöner und sonorer, als es jede menschliche Stimme vermöchte. Das Tempo nimmt der Deutschmeister sehr flexibel. Aber nie verliert sich dieser Genussdirigent in der Musik.

Leider begleitete Thielemann die flackrig und selbstverliebt singende Santuzza der Liudmyla Monastyrska ein wenig zu hingebungsvoll. Daher fehlte es dem Duett mit Turiddu ein wenig an hitziger Leidenschaft. Auch Jonas Kaufmann, der die Serenade im Zentrum der Ouvertüre sehr verschattet begonnen hatte, wirkte bei aller Kraft noch etwas gebremst.
Italienische Oper als existenzielles Ereignis

Das änderte sich nach der Pause in Ruggiero Leoncavallos „Pagliacci“ („Der Bajazzo“). Kaufmann sang den Auftritt Canios strahlend. In „Vesti la giubba“ sparte er sich dankenswerterweise die billigen Schluchzer und das Heldenjammergeschrei im Nachspiel. Wie Wozzeck stand er mit dem Messer da – ein gebrochener Mann am Ende seiner Kraft: italienische Oper als existenzielles Ereignis. Phänomenal!

Die Salzburger Osterfestspielen sind seit Herbert von Karajan traditionell ein Dirigentenspektakel, aber kein Theaterereignis. Doch dem gebürtigen Münchner Philipp Stölzl gelang im eigenen Bühnenbild ein wahrer Coup. Er teilte die Breitwandbühne des Großen Festspielhauses in sechs Spielflächen-Fenster. Am Anfang saß Turridu allein in einer Mansarde, dann wurde daneben in einem anderen Dachfenster Lola sichtbar, der dieser Liebesgesang gilt. In den drei unteren Ebenen sang später der Chor vor der Kirche.

Stölzl legte durch das Aufblenden und Schließen der Fenster innere Beziehungen offen, die sonst ein wenig diffus bleiben. Dass die Geschichte nicht auf Sizilien stattfindet, sondern in eine graue Industriestadt verlegt wurde, passte überraschenderweise genau so gut wie die Anlehnung der Ausstattung an die Bleischnitte und Bildergeschichten des deutschen Grafikers und Karikaturisten Otto Nückel.
Kino und Oper

In den „Pagliacci“ wurde die zuvor schwarzweiße Bühne bunt. Im Prolog, der von der Wahrheit im Theater handelt, zeigte Stölzl die Maschinerie der Verwandlungen. Das Spiel im Spiel verlegte Stölzl ins obere mittlere Feld, während die Chormitglieder als Zuschauer unten aus einer anderen Perspektive der Commedia dell’arte das Geschehen verfolgten. Noch nie wurde das Film-Prinzip von Schnitt und Gegenschnitt aufregender in die Sprache des Musiktheaters übersetzt als in dieser Inszenierung. Und kaum ein Regisseur kam mit der Salzburger Riesenbühne besser zurecht.

In „Cavalleria rusticana“ wirkten vereinzelte Großprojektionen noch als modische Masche. Nach der Pause setzte Stölzl diesen Kunstgriff besser ein: Zum lamentierenden Zwischenspiel nach „Ridi pagliaccio“ wurde auf eine der sechs Flächen riesenhaft projiziert, wie sich Kaufmann weiße Schminke ins Gesicht schmiert: ein wortloses Drama.
An den fabelhaften Jonas Kaufmann kommt niemand so richtig ran

Die übrige Besetzung konnte mit dem überragenden Münchner nicht immer mithalten. Ambrogio Maestri war ein viel zu weicher Alfio, Dimitri Platanias (Tonio) hatte ein paar schwache Höhen. Maria Agresta sang das Vogellied Neddas leicht und mobilisierte am Ende doch beträchtliche dramatische Reserven. Und die Mezzo-Veteranin Stefania Toczyska sang mit überraschend wohlerhaltener Stimme die Mamma Lucia.

Zum Schluss verblüffte Kaufmann ein letztes Mal: Anders als tausend Tenöre vor ihm schrie er nach dem Doppelmord den Satz „La commedia è finita“ nicht ins Publikum. Er flüsterte ihn, als sei er überrascht von seiner Eifersuchtstat. Und eine Ahnung von tragischem Schauer krönte diese faszinierende Aufführung.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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