Premiere von "Cavalleria rusticana" und "Pagliacci" in der Regie von
Philipp Stölzl bei den Salzburger Osterfestspielen: Ein mit
filmischen Mitteln arbeitendes Konzept beflügelt ein gutes
Vokalensemble
Santuzza, wer wollte es ihr verdenken! - sie
ist aufgebracht: Wo ist denn nun dieser verdammte Turridu wirklich?
Die Frage der beunruhigten Gattin ist bei den Salzburger
Osterfestspielen zudem schwerer zu beantworten als gemeinhin, wenn
Pietro Mascagnis Cavalleria rusticana gegeben wird. Im Großen
Festspielhaus gibt es gleich sechs Möglichkeiten, wo Turridu seinen
Gefühlsschmerz (Lola betreffend) hautnah lindern könnte.
In
sechs Guckkastenbühnen, die auch zu Filmleinwänden mutieren können,
hat Regisseur Philipp Stölzl den riesigen, schwer zu bändigenden
Opernraum geteilt. Immer ist irgendwas. Unentwegt wechselt die
Perspektive. Immerzu geht da ein Vorhang zu wie dort einer auf. Und
links sieht man plötzlich Turridu und Lola, wie sie sich entspannt
eine Zigarette danach gewähren.
Die Fragmentierung des
Schauplatzes bewirkt szenisches Leben: In ihrer Schwarzweißästhetik
suggeriert sie zudem, die Figuren wären Teil eines Oper gewordenen
Comicheftes oder eines altehrwürdigen Stummfilms. Bisweilen werden
Comic- und Filmeindrücke gar parallel beschert. So entstehen
zwischen Dorfplatz, Kirche und Mansarde reizvolle szenische Fugen,
gebaut aus simultan ablaufenden Szenen. Und wird es im
Menschengedränge unübersichtlich (sehr passabel die Dresdner und
Salzburger Chöre), erhellt Stölzl mit seiner Technik markante
Details im Sinne einer eleganten Gesamterzählung.
Singen und
zanken
Diese Synthese zwischen Szenenopulenz und -intimität
lässt auch etwaige träge schauspielerische Momente zur Petitesse
geraten (u. a. beim glänzend kantabel singenden Ambrogio Maestri als
Alfio, der hier ein eher ungehaltener Mafioso ist).
Wobei:
Tenor Jonas Kaufmann hat solch Wegschminken szenischer Schwächen nie
nötig. Als Turridu ist er ein zerrissener Charakter. Er stürzt sich
affektartig in die nur äußerlich verblichene Liaison mit Lola
(delikat Annalisa Stroppa); er zankt sich heftig mit seiner Santuzza
(mitunter etwas zu viel vokaler Druck, aber im sanften Momenten sehr
edel Liudmyla Monastyrska). Und wäre Kaufmann in all dem kein
impulsiver Darsteller, würde sein profunder Gesang, sein auch an
exponierten Stellen ungefährdet edeldunkles Timbre jegliche Schwäche
marginalisieren.
Bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden
unter Dirigent Christian Thielemann fehlte indes zunächst das
emotional Verschwenderische, das Abheben in kantable Bereiche, wo
vokale und orchestrale Linien sich zur magischen Besonderheit
vereinen. Thielemann setzt auf druckvolles, akzentuiertes
Musizieren, dem jedoch etwas gar viel Diszipliniertheit anzumerken
ist. Da klingen Streicherlinien präsent und klar und dabei doch
etwas spröde. Als wären das Sinnliche wie das Zarte in Gewänder der
Sachlichkeit gezwängt worden.
Mehr Dramatik
Bei
Leoncavallos Pagliacci verflüchtigen sich solche Eindrücke. In
diesem Eifersuchtsstück, das immer zusammen mit Cavalleria rusticana
die Bühne betritt, ist ja das dramatische Element etwas stärker
zugegen. Und so blüht Thielemanns wuchtiger wie transparenter Ansatz
samt Zwischentönen sinnvoll maßvoll auf, während Stölzls
mehrdimensionale Bühnenideen nun in schöner Übereinstimmung mit dem
Orchestralen farbenfroh eine Vaudevillewelt entstehen lassen.
Kaufmann sieht man als Canio in allerlei ausgelassenen wie
dramatischen Situationen. Am dichtesten wirkt jedoch sein leerer
Blick in den Spiegel, jener apathisch vollzogene Akt des Schminkens,
bevor es auf die Bühne zum längst geplanten Eifersuchtsmord an Nedda
geht (solide Maria Agresta). Hier erreicht Stölzls filmischer Ansatz
ein Höchstmaß an Unmittelbarkeit, wobei das insgesamt hohe
Gesangsnivea beeindruckend und hilfreich war (Dimitri Platanias als
Tonio, Tansel Akzeybek als Beppe und Alessio Arduini als Silvio).
Großer Applaus für alle, zu Recht auch für die Regie.
2016
wird bei den Salzburger Osterfestspielen übrigens wiederum aus
Eifersucht gemordet: Man gibt Verdis Otello - in den Hauptrollen
werden Tenor Johan Botha und Sopranistin Dorothea Röschmann
aneinandergeraten.