Südwest Presse, 30.03.2015
JÜRGEN KANOLD
 
Mascagni: Cavalleria rusticana, Leoncavallo: Pagliacci, Salzburg, 28. März 2015
 
Die Macht der Oper
 
Osterfestspiele in [Baden-Baden und ]Salzburg: Es triumphieren klar nach Punkten Christian Thielemann, die Sächsische Staatskapelle und Regisseur Philipp Stölzl mit "Cavalleria rusticana" und "Bajazzo".

Jenes Orchester, das den "Rosenkavalier" 1911 an der Semperoper uraufgeführt hatte, die Sächsische Staatskapelle, spielt bei den ebenfalls luxuriös besetzten Osterfestspielen in Salzburg derweil Pietro Mascagnis "Cavalleria rusticana" und Ruggero Leoncavallos "Bajazzo". Liebe, berstende Leidenschaft, Eifersucht, Tod: Wenn der Begriff "vollsaftig" mal angebracht ist, um ein Klangerlebnis zu beschreiben, dann für diesen Premierenabend im Großen Festspielhaus, wo Christian Thielemann, der genialische Wirkungsmusiker, das Opern-Doppel dirigierte.

Seine Hausgötter mögen Wagner und Strauss sein, aber er liebt auch die populäre Operette, und wenn Thielemann als hochdramatischer Klangfetischist entsprechend akribisch den italienischen Verismo anpackt, bleibt dem Publikum die Spucke weg. Altes Karajan-Pathos, so farbenvoll wie mächtig, perfekt ausbalanciert und glühend musiziert von den "Dresdnern". Allein schon die Intermezzi: so emotional wie geschliffen und effektvoll.

Orchesterkultur im Cinemascope-Format, aber das ist diesmal keine Floskel. Denn Philipp Stölzl inszeniert "Cavalleria rusticana", das sizilianisch dörfliche Drama, mit fast expressionistischer Stummfilmästhetik. Eine Riesenwand ist aufgeteilt in sechs Bühnenfenster, jeweils drei in zwei Reihen: für gespielte Szenen, gemalte Bilder, Live-Kamera-Aufnahmen. Da läuft in fortwährender Auf- und Abblende, auch simultan, ein Spielfilm ab in Schwarz-Weiß. Grandioses Opernkino, aber die Bilderwucht lenkt nicht ab - alles passt, mehr Live-Soundtrack war nie, das Orchester bringt die Farbe ins Spiel.

Zirkusbunt in ausgemalter Kulisse folgt der "Bajazzo", und erneut nutzt Stölzl die Schauplatz-Vielfalt seiner Sechser-Bühne, um nicht nur aktuelle Aktion zu zeigen, sondern um extra Hintergrundgeschichten zu erzählen und den Protagonisten ins Gesicht zu schauen. Da spielt Nedda fürs Jahrmarktpublikum die Commedia dell'Arte vom Bajazzo, der von seiner Frau Columbine mit Harlekin betrogen wird. Lache, Bajazzo? Auch im wirklichen Leben wird Canio von Nedda betrogen, bald bricht das Spiel im Spiel mörderisch aus - während also Nedda als Columbine scherzt, schminkt sich der rasende Canio . . . Die Live-Kamera blickt ihm für uns in die Seele.

Superstar Jonas Kaufmann ist Canio, auch der Turiddu war ein Rollendebüt: italienische Tenorherrlichkeit, kraftvoll, schluchzend, heißblütig. Ovationen. Erstklassig auch Ambrogio Maestri (Alfio), Dimitri Platanias (Tonio), Maria Agresta (Nedda), Liudmyla Monastyrska als tief berührende Santuzza oder der Chor der Semperoper. Dann knieten sie beim Schlussapplaus vor der Sächsischen Staatskapelle hin, die Thielemann mit auf die Bühne holte. Ja, warum sollte er die "Dresdner" verlassen - aber wenn die "Berliner" einen neuen Chefdirigenten wählen, kommen sie an Thielemann nicht vorbei.


 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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