Salzburger Osterfestspiele: Philipp Stölzl inszeniert und
Christian Thielemann dirigiert Ruggero Leoncavallos „Pagliacci“ und
Pietro Mascagnis „Cavalleria Rusticana“ mit Jonas Kaufmann.
Christian Thielemann dirigiert Pietro Mascagnis „Cavalleria
rusticana“ und Ruggero Leoncavallos „Pagliacci“ – da will man dabei
sein! Der ganz aufs deutsche romantische Repertoire fokussierte
Berliner wagt sich an die feurigsten Werke des italienischen
Verismo. Und das bei den Salzburger Osterfestspielen, dem teuersten
Klassikevent der Welt (Ticket-Spitzenpreis: 490 Euro), das einst
Herbert von Karajan als persönliche künstlerische Spielwiese
gegründet hat. Jener Karajan, als dessen legitimer Nachfolger
Christian Thielemann seinen Fans gilt: Weil er einen Gegenpol bildet
zu den modernen, stilistisch breit aufgestellten
Teamplayer-Dirigenten, wenn er als Hohepriester der Musik Partituren
nicht analytisch durchleuchtet, sondern ihnen ihre magische Macht
zurückgibt.
Seit die Berliner Philharmoniker nach Baden-Baden
abgewandert sind, wallfahrtet Thielemann mit seiner Dresdner
Staatskapelle zum Fest der Auferstehung Christi an die Salzach.
Diesmal also mit zwei Einaktern aus den 1890er Jahren, die beide im
bäurischen Milieu des Mezzogiorno spielen, weil die „Veristi“, die
Wahrheitssucher unter den italienischen Künstlern, dort das echte,
noch nicht von der Zivilisation angekränkelte Leben vermuteten. In
beiden Stücken fällt am Ende ein Liebhaber dem rächenden Messer des
betrogenen Ehemanns zum Opfer. Mascagnis Oper spielt sogar
tatsächlich zu Ostern. Wer einen der raren Puccini-Abende erleben
durfte, die Christian Thielemann in seinen Zeit als
Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin dirigiert hat, weiß,
dass der bekennende Italien-Liebhaber durchaus eine Ader hat für das
melodramma. Und doch muss er sich von Philipp Stölzl die Schau
stehlen lassen. Der Regisseur reißt mit einem spektakulären Konzept
alle Aufmerksamkeit an sich. Auf der gigantisch breiten Bühne des
Großen Festspielhauses betreibt er eine Sechs-Felder-Wirtschaft: In
zwei Ebenen liegen je drei Spielflächen übereinander, wobei jede
ihren eigenen Vorhang hat. So lassen sich wie bei einem Comic
mehrere Handlungen parallel zeigen.
Hoch virtuos löst Stölzl
die eigentlich für ein Einheitsbühnenbild konzipierte „Cavalleria
rusticana“ in Dutzende Einzelszenen auf. Das ermöglicht schnelle
Schnitte wie im Kino. Hinzu kommt, dass die Vorhänge immer wieder zu
Leinwänden werden, auf denen die Protagonisten in Nahaufnahme zu
sehen sind.
Vom Dorf hat Stölzl die Geschichte in eine triste
Industriestadt verlegt. Alles hier ist Schwarz-Weiß, in der Ästhetik
der italienischen Neorealismo-Filme aus den fünfziger Jahren, Ursula
Kudrnas Kostüme wie auch die von Stölzl und Heike Vollmer erdachten,
im Graphic-Novel-Stil gezeichneten Hintergrundprospekte. Weil die
liebliche Naturkulisse entfällt, das pittoreske Ambiente mit Piazza
und Kirche, wird die archaische Story um den Ehrenmord bei Stölzl
noch abgründiger als im Original. In seiner Malochermetropole
herrscht Tristesse total, denn die Landflüchtlinge finden in der
urbanen Umgebung kein Mehr an Freiheit und Toleranz. Sie sind
weiterhin im bigotten Sittenkorsett gefangen.
Jonas
Kaufmann wird vom Publikum gefeiert
Der Regisseur
hat ein uneheliches Kind hinzuerfunden, um noch deutlicher zu
machen, warum Santuzza gesellschaftlich geächtet ist. Liudmyla
Monastyrska singt sie mit der erschütternden Verzweiflung einer
Frau, die sich an den letzten Hoffnungsstrohhalm klammert. Doch der
Kindsvater Turiddu macht lieber mit der Nachbarin Lola herum
(betörend schön: Annalisa Stroppa). Deren Gatte ist hier kein
Kutscher, sondern ein skrupelloser Mafioso (auch vokal brutal
direkt: Ambrogio Maestri), der darum kurzen Prozess macht. Turiddus
emotional erstarrte Mamma (Stefania Toczyska) verweigert dem
todgeweihten Sohn in Stölzls düsterer Deutung vor dem Duell sogar
den librettomäßig vorgesehenen Segen.
Umso liebevoller wird
Jonas Kaufmann anschließend vom Publikum gefeiert. Der Sängerstar
debütiert an diesem Sonnabend gleich in zwei Rollen, übernimmt neben
dem Turiddu auch noch den Canio in den „Pagliacci“. Kaufmann traut
sich derzeit alles zu – und dieses Selbstbewusstsein kann man hören,
im auftrumpfenden, siegesgewissen Strahl seines Tenors, der
prachtvoll ist und robust, ja manchmal fast ein wenig zu hart vor
lauter Manneskraft.
Für Leoncavallos Einakter, bei dem sich
während der Aufführung einer Komödiantentruppe das Eifersuchtsdrama
auf offener Szene abspielt, muss Philipp Stölzl zusätzlich eine
Doppelperspektive einführen: Auf der unteren Ebene sitzt der Chor
vor einer für die Zuschauer nicht sichtbaren Bühne, während das
dortige Geschehen für die „echten“ Theaterbesucher frontal in der
oberen Ebene stattfindet. Da wird es dann ein wenig zu
maniriert-kompliziert, weil ja auch das Spiel mit den
Parallelschauplätzen und Film-Nahaufnahmen weitergeht.
Die
Solistenbesetzung ist auch hier erstklassig. An Kaufmanns Seite
steht nun die graziöse Maria Agresta als Nedda, Dimitri Platanias
ist ein agiler Tonio, Tansel Akzeybek sorgt als Beppe mit seiner
Cavatine für einen Moment lyrischen Idylls, während es Alessio
Arduini als Ehebrecher Silvio gar nicht nötig hat, sich in der
Liebesszene unmotiviert das Hemd herunterzureißen: Sein Luxusbariton
wäre wahrlich Lockmittel genug.
Und Christian Thielemann?
Garantiert mit kapellmeisterlicher Souveränität für einen
reibungslosen Ablauf des Doppelabends, koordiniert sicher seine
Musiker mit dem um Salzburger Kräfte verstärkten Semperopernchor und
den unablässig durch das halbe Dutzend Bühnen hechtenden Solisten.
Eine Sogwirkung aber, wie bei seinen Wagner- und
Strauss-Interpretationen, entwickelt sich hier nicht. Vor allem beim
sehr robust instrumentierenden Mascagni fehlt den dramatischen
Höhepunkten oft das Lodernde, die sinnliche Dringlichkeit. In
Leoncavallos viel feiner gearbeiteter Partitur vermag die Dresdner
Staatskapelle ihre Qualitäten besser auszuspielen, wenn sich
technische Präzision mit exquisiter Tonschönheit verbindet, vor
allem im dichten Streicherklang.
Am Ostermontag ist die
Hälfte dieses Salzburger Experiments nachzuvollziehen: Dann zeigt
Arte ab 23.15 Uhr eine Aufzeichnung der „Cavalleria rusticana“. Für
Thielemann-Fans Pflicht: Wenn die Koproduktion mit der Semperoper in
der kommenden Saison in Dresden herauskommt, hat der Maestro nämlich
keine Zeit, sondern überlässt den Taktstock Stefano Ranzani.