Im Finale hat Jonas Kaufmann jedes Mal Blut am Hemd. Erst sein
eigenes, weil ihn ein zu Recht eifersüchtiger Ehemann erstochen hat.
Dann, im zweiten Einakter, weil er nun selbst dieser gehörnte Gatte
ist, das seiner fremdgehenden Frau.
Der Ermordete wird zum
Mörder, das Opfer ein Täter. So ist es, wenn ein einziger Tenor den
Turridu in Pietro Mascagnis "Cavalleria Rusticana" und den Canio in
Ruggero Leoncavallos "I Paggliaci" singt, was selten genug vorkommt.
1890 und 1892 uraufgeführt, wurden sie erstmals ein Jahr später in
New York zu einem Abend gefügt und sind seither als ungleiche
Opernzwillinge (fast) untrennbar.
Wobei nicht zwangsläufig
ein geistiger Zusammenhang konstruiert werden muss zwischen der
erdig-melodiesatten Archaik einer "sizilianischen Bauernehre" und
dem fadenscheinigen, dabei impressionistisch farbsprühenden
Vorstadttheater des "Bajazzo", wo Commedia dell'arte in blutigen
Ernst umschlägt. Aber man kann die Stücke gedanklich kurzschließen –
vor allem, wenn man einen Hauptdarsteller wie Jonas Kaufmann hat.
Leidenschaft als Sterbensmüdheit
Der
singt im großen Salzburger Festspielhaus Turridus Serenade an die
alte und wieder neue Flamme Lola mit gefährlich brechender, nach
innen gerichteter Stimme. Später fährt er seinen dunkel grundierten
Tenor weiter hoch und stülpt doch vor allem seine Seele nach außen.
Da rennt einer wissentlich ins offene Messer, verzweifelt,
reflektierend, aber nicht vom eingeschlagenen Weg abweichend.
Leidenschaft ist hier immer auch Sterbensmüdheit.
Seinen
todsüchtigen Monolog an die Mutter gestaltet Kaufmann ohne jede
Äußerlichkeit, so wie er dem Canio verloren-verletzliche Züge gibt.
Bei dem ist schon seine Körpersprache eine andere: nervöser,
beweglicher. Die unter Tränen lachende große Soloszene wird
ebenfalls zur vokalen Erkundung des inneren Seins, an der ein
gespannt-begeistertes Publikum teilnimmt.
Die Opernproduktion
der Salzburger Osterfestspiele, im dritten Jahr unter Christian
Thielemann und mit der Dresdner Staatskapelle, ist diesmal eine
exzellent gelungene. Weil auch die voluminös, doch schlank singende
Santuzza von Liudmyla Monastyrska, die flirrend-flirtende Nedda
(Maria Agresta) und der bedrohliche Alfio (Ambrogio Maestri), ja
sogar Tanzel Akzeybek als Beppe ganz wunderbar sind. Und weil
Regisseur Philipp Stölzl, der aus dem Video- und Filmgeschäft kommt,
nicht nur Kaufmanns Können vollkommen einbettet, sondern weil er
auch auf der Bühne bei sich ist.
Raffinierte optische
Spielereien
Stölzl entwickelt die theatralische
Kraft des Verismo aus der Attitüde des italienischen Stummfilms und
siedelt diese gleichzeitig ästhetisch in der schwarz-weiß
schraffierten Bilderwelt des frühen Comiczeichners Otto Nückel an.
Als Bühnenkonstrukt hat er sechs Kammern mit Rollvorhängen
entworfen, die zweistöckig an der Rampe der Cinemascope-Bühne des
Großen Festspielhauses stehen.
Wenn rechts oben das
sizilianische Dorf als Industriestädtchen-Diorama auftaucht, dann
links – quasi im Zoom – die Dächerlandschaft mit Turridus
Wohnungsfenster gezeigt wird, anschließend in der Mitte dieser wie
der arme "Bohème"-Poet Rodolfo in der Mansarde sitzt, dann ist das
wie eine simultan vorgeführte Filmschnittfolge. Das verdoppelt sich
im Erdgeschoss, gliedert so die vorhersehbare Handlung.
Das
ist ungemein raffiniert gemacht, der bekannte Plot bekommt durch
diese rein optischen Spielereien anderen Drive und Spannkraft;
obwohl Christian Thielemann seine arg schmusig und zunächst viel zu
luxuriös spielenden Musiker in einem breiten Flussbett aus
Schicksalsklang führt. Das fließt durchsichtig, gewinnt schließlich
an Fahrt, Dichte und Temperament. So wie Stölzl im Finale die
Handlung aus verschiedenen Richtungen doppelt und in der Katastrophe
münden lässt.
Weniger konsequent gerät Stölzl später der sich
in verwaschenen Farben als nostalgischer Rummelplatzbudenzauber
ausbreitende "Bajazzo", wo zugleich Thielemann souveräner in seinem
Element ist, polyphon schillernd, mit verminderten Akkorden
trumpfend. Doch allzu oft müssen jetzt bei den Bildkompositionen
Kompromisse gemacht werden. Die Kulissen wirken weniger organisch,
zu viel ist in eine Ecke gedrängt und muss als Notlösung für die
Zuschauer mit Videokamera verdoppelt werden, bis die Katastrophe
virtuos auf dem Komödiantenbrettl kulminiert.