Jonas Kaufmann und Angela Gheorghiu kann man sich an der Deutschen Oper
vermutlich nur noch für einen einzigen Gastabend leisten, und anstatt sie
dann ohne szenische Proben in ein Bühnenbild hineinzustellen, gibt man die
jeweilige Oper lieber gleich einmalig und konzertant. Diese Saison hat man
dafür die Verismo-Oper "Adriana Lecouvreur" des Süditalieners Francesco
Cilea (1866-1950) angesetzt. Tatsächlich wurde das auch ein voller
Erfolg, dank der hervorragenden Disposition namentlich Kaufmanns, der sich -
ungeachtet sonstiger Empfindlichkeiten seines eher tief gelagerten Tenors
und dunklen Timbres - an diesem Abend mit Höhenglanz und bestens
ausgeführter Phrasierung als der Ausnahmesänger erwies, als der er gehandelt
wird. Gheorghiu stand ihm da, obwohl eher gesangsdarstellerisch als
stimmlich voll präsent, kaum nach.
Die musikalische Leistung und der Ehrgeiz in diesem Projekt sind somit
zwar honorig, doch sollte die szenische Beschränkung an einem großen Haus
mit dieser (einstigen?) Bedeutung nicht zur Regel werden - doch da ist,
immer noch und immer wieder, ein stärkeres Bekenntnis der Politik gefragt.
Sex and Crime
In Cileas feurigem Stück fehlt ohne Szene in der Tat etwas. Gemessen an
den sonstigen Sex-and-Crime-Plots, am Geschrei und Haareraufen in
vergleichbaren Versimo-Opern von Puccini, Mascagni und Leoncavallo, ist die
Oper zwar geradezu hochkulturell-sperrig. Wenn auch der berühmte
Theaterautor Eugène Scribe die verbürgten historischen Vorkommnisse um die
klassische französische Theaterdiva Adrienne Lecouvreur in ein zugkräftiges
romantisches Eifersuchtsdrama umformte, so sind die intriganten adligen
Verwicklungen doch eher was für reflexionsversessene Bildungsbürger.
Abstrakt bleibt es dennoch keineswegs. Cilea schlägt opernhafte Schneisen
ins komplizierte Geschehen, geschickt trennt er die Sphären. Da ist zum
einen der hohe tragische Bereich. Gheorgiu und Kaufmann verkörpern hier die
Schauspielerin und ihren adeligen Liebhaber Graf Moritz von Sachsen
(Maurizio), während Anna Smirnova mit intensiv-dämonischem Mezzosopran die
eifersüchtige Fürstin von Bouillon singt, die sich Maurizio auch angeln
will. Es sind perfekt herausgemeißelte Prototypen des italienischen
Melodrammas - Cilea fügt für die Auftritte seiner Stars jeweils
wirkungsvolle lyrische Ruhepunkte ein, in denen sich Kaufmanns Spitzentöne
wie auch Gheorghius ganzkörperlich ausgreifendes Singen voll entfalten
können. Da sind zum Zweiten die adeligen Intriganten, auf hohem
Niveau gesungen von jungen Solisten um die verdienten Ensemblemitglieder
Stephen Bronk und Burkhard Ulrich herum. Deren dummdreist eingefädelte
Liebesaffären bettet der Komponist in eine an Rossini erinnernde,
klassizistische Komödiantik ein. Lustspielhaftes spielt in der Oper, an
deren Ende die Titelfigur zwar eines qualvollen Gifttodes stirbt, eine
wesentliche Rolle und wird von Cilea mit dem Tragischen geschickt ins
Gleichgewicht gebracht. Bindeglied ist da der melancholische, hoffnungslos
in Adriana verliebte Theaterregisseur Michonnet, von Markus Brück mit warmem
und agilem Bariton gesungen.
Höchste Zeit für Altmodisches
Bei der Zugkraft des Ganzen fragt man sich, weshalb "Adriana Lecouvreur"
so unbekannt ist - die einzige Berliner Inszenierung fand im Jahr 1938 an
der Deutschen Oper stattfand, offenbar zur Bekräftigung der "Achse
Rom-Berlin". Doch die eher klassisch-schlanke und situationsbezogene Musik,
die mit dem ich-bezogenen Seelendrama Wagners und Puccinis weniger zu tun
hat als mit dem alten Dramma lirico von Bellini und Donizetti, klang
vermutlich in ihrem Entstehungsjahr 1902 für die Klangrauscher des Fin de
Siècle schon zu altmodisch. Jetzt wäre Zeit für sie, auch in einer
ordentlichen Inszenierung.
|