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Wochenblatt, 26. August 2024 |
Marko Cirkovic |
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Wagner: Tristan und Isolde, 2. Aufzug, Baden-Baden am 25. August 2024
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Camilla Nylund und Jonas Kaufmann im Rausch
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Der Beginn des Abends war geprägt von einer unerbittlichen Klarheit, als die
ersten Töne des Vorspiels zu Parsifal in einem schneidenden Unisono
erklangen. Diese Eröffnung setzte einen tiefen, fast archaischen Akzent, der
sich wie ein messerscharfer Schnitt durch den Raum zog. Unter der Leitung
von Mark Elder entfaltete das Gstaad Festival Orchestra im Festspielhaus
Baden Baden die mystische und kontemplative Natur dieses Vorspiels, das von
Wagner mit einer solch epischen Weite und spirituellen Tiefe komponiert
wurde.
Die Musik bewegte sich in weiten, meditativen Bögen,
unterbrochen von langen, sorgfältig ausgekosteten Pausen. Diese Momente der
Stille, die Elder und das Orchester mit einer fast religiösen Andacht
behandelten, verliehen dem Vorspiel eine episodische Qualität. Es war, als
ob die Musik selbst innehalten würde, um über ihre eigene Existenz
nachzudenken, bevor sie sich in den nächsten Abschnitt hineinwagt. Diese
bewusste Ausdehnung der Stille schuf eine Atmosphäre, in der jede Note,
jeder Klang eine bedeutungsschwere Eigenständigkeit erhielt.
Die
Streicher des Orchesters trugen maßgeblich zu dieser tiefen und
vielschichtigen Klangwelt bei. Ihr Spiel war breit und opulent, zugleich
aber von einer Klarheit, die die komplexen harmonischen Strukturen Wagners
in all ihrer Pracht hervorbrachte. Die Streichergruppen verschmolzen zu
einem einzigen, schimmernden Klangkörper, der das Vorspiel zu einem
Wagner'schen Traumbild formte. Die Musik lud ein, sich in ihr zu verlieren,
zu schwelgen in der warmen Umarmung der Töne, die sich wie endlose Wellen
aufeinander zurollten und wieder zurückflossen.
Im Übergang zum
Karfreitagszauber setzte sich diese tief empfundene Darbietung fort, nun
jedoch mit einem Hauch von Heiligkeit und Transzendenz. Das Orchester zeigte
erneut eine makellose Präzision, die es vermochte, die komplexe Struktur und
die feinen Nuancen dieser Szene vollständig auszuschöpfen. Gleichzeitig
bewahrten die Musiker eine innere Hingabe, die die Musik mit einer seltenen
Mischung aus technischer Brillanz und emotionaler Tiefe erfüllte.
Im
Karfreitagszauber offenbarte sich die wahre Magie des Werkes. Die Musik, so
expressiv wie zart, öffnete einen Raum von fast überirdischer Schönheit. Die
feinen, fließenden Linien der Streicher verbanden sich mit den sanften, aber
präzisen Einsätzen der Bläser, wodurch ein Klanggewebe entstand, das die
Sinnlichkeit und Spiritualität dieses Abschnitts perfekt einfing. Es war ein
Moment der musikalischen Transzendenz, in dem die Musik zu einer Brücke
zwischen dem Diesseitigen und dem Jenseitigen wurde, zu einem Ausdruck des
unendlichen Mysteriums, das Wagner in seinem Spätwerk erforschte.
In
einem schicksalhaften Augenblick, in dem die Grenzen zwischen Licht und
Schatten, zwischen Sein und Nichts zu verschwimmen beginnen, erhebt sich
eine etwas, das mehr als nur ein Klang ist – es ist der Inbegriff einer
Macht, das alles überstrahlt. Der Einstieg in den zweiten Akt von Tristan
und Isolde offenbart eine seltsame Spannung, eine unheimliche Dichte, die
bereits in den ersten Takten spürbar wird. Der Dirigent, Mark Elder, der
sich durch eine bemerkenswerte Hingabe zur Feinheit auszeichnet, beweist
hier, dass er eine unerbittliche Intensität tragen kann.
Es ist
Brangäne, gesungen von Sasha Cooke, die sich gleich zu Beginn stimmlich in
den Raum erhebt, als wäre sie der personifizierte Ausdruck einer uralten,
schicksalhaften Macht. Ihr Mezzosopran schwingt wie ein dunkler Schleier
durch die dunkle Szenerie des Festspielhauses, greifbar und doch unendlich
fern. Dann aber tritt Isolde – Camilla Nylund in all ihrer stimmlichen
Erhabenheit – hervor, und was sich in diesem Moment entfaltet, ist nichts
weniger als die strahlende Offenbarung einer inneren Gewalt, so übermächtig
und doch so klar wie der Schliff eines perfekten Diamanten.
Nylunds
Stimme ist nicht nur präsent, sie ist durchdringend, sie hat eine Tiefe, in
der man sich verliert, und eine Brillanz, die erst in funkelnden Fragmenten
durch den Raum sprüht, um dann in einem alles verzehrenden Feuer zu enden.
Ihre Darbietung zieht den Hörer in eine Sphäre, in der das Göttliche und das
Dämonische sich in einem nie endenden Kreislauf der Vernichtung und
Erneuerung begegnen.
Jonas Kaufmann als Tristan betritt die Szene mit
einer Stimme, die zunächst eine fast ästhetische Gewalt verkörpert. Doch
diese anfängliche Kraft zeigt bald Risse – das Fortissimo wird zum Kraftakt,
seine Stimme kratzt, er räuspert sich. Und doch ist es genau diese
Fragilität, diese Verletzlichkeit, die seine Darbietung so tief menschlich
macht. Trotz der Herausforderungen, die Kaufmann an diesem Abend zu
bewältigen hat, beweist er in den leisen Momenten, warum sein Name ein
leuchtender Stern am Opernhimmel bleibt. Diese Momente, in denen die Stimme
leiser wird, in denen die äußere Kraft nachlässt, offenbaren eine Tiefe und
Leidenschaft, die den einen nur so überwältigen.
Im Duett zwischen
Isolde und Tristan verschmelzen die Stimmen zu einer Einheit, die über das
Persönliche hinausgeht. Es ist, als würden die beiden Sänger alle Gegensätze
aufheben, als würden ihre Stimmen sich in einem Fluss des Seins vereinen,
der alles mit sich reißt. Der Dialog wird zum Monolog, zum Ausdruck einer
einzigen, allumfassenden Wahrheit, die sich durch die Musik entfaltet.
König Marke, gesungen von Christof Fischesser, setzt diesem Auftritt die
wohlverdiente Krone auf. Sein Bass ist das Fundament, auf dem das gesamte
Werk ruht, der Anker, der die wildesten Stürme in ihre Schranken weist. Es
ist, als würde er mit jedem seiner Töne die Schwere des Schicksals
verkörpern, die unausweichliche Macht, die in diesem Drama die Fäden zieht.
Todd Boyce überzeugte als Kurwenal/Melot mit seinem kraftvollen Bariton, der
eine markante Präsenz in den dramatischen Szenen schuf und das Ensemble
stimmlich bereicherte.
Das Gstaad Festival Orchestra, unter der
präzisen und zugleich expressiven Führung von Mark Elder, erschafft eine
Klanglandschaft, die in ihrer Hingabe und Exzellenz alle Erwartungen
übertrifft. Die Musiker verschmelzen zu einer einzigen, atmenden Einheit,
die die Komplexität und Tiefe dieses Werkes zum Ausdruck bringt. Trotz der
kurzen Probenzeit gelingt es ihnen, eine Interpretation zu liefern, die von
einer solchen Intensität ist, dass sie den Raum mit einer überwältigenden
Präsenz erfüllt.
Was in diesem Akt geschieht, ist mehr als nur eine
musikalische Darbietung – es ist eine Erfahrung, die das Bewusstsein selbst
transformiert. Die Schwächen, die Unsicherheiten, die Momente der Fragilität
werden zu Teilen eines größeren Ganzen, das in seiner Gesamtheit eine
unermessliche Kraft entfaltet. Es ist diese Mischung aus Vollkommenheit und
menschlicher Verletzlichkeit, die diesen Moment so unvergesslich macht. Die
Musik wird zu einer Reise, die den Hörer in eine andere Welt entführt, in
eine Sphäre, in der das Gewöhnliche aufhört zu existieren und nur noch die
reine, ungebändigte Emotion bleibt.
An diesem Abend konnte man in
Baden-Baden ein kleines Stückchen Bayreuth spüren. Die Musiker und Sänger
brachten die besondere Atmosphäre und Tiefe direkt auf die Bühne. Es war ein
Moment, in dem die Magie von Wagners Musik in all ihrer Pracht erlebbar
wurde.
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