Badisches Tagblatt, 27. August 2024
Von Isabel Steppeler
 
Wagner: Tristan und Isolde, 2. Aufzug, Baden-Baden am 25. August 2024
Traumpaar in magischer Liebesnacht
 
Jonas Kaufmann und Camilla Nylund lassen Baden-Baden für „Tristan und Isolde" glühen

Baden-Baden. „ Ob sie ihm folge treu und hold — das sag ihm nun Isold'!" Da ist er, der Moment, wenn Gesang uns Strom unter die Haut jagt. In den Tod, den Tristan meint, würde man Jonas Kaufmann zwar nicht folgen. Aber für nur eine Stunde seines Gesangs aus glühender Seele folgen ihm beachtlich viele nach Baden-Baden und lassen den Sommer Sommer sein. Sie werden belohnt. Nicht nur, aber besonders mit diesem Augenblick, in dem Kaufmann so herzerweichend singt, dass selbst die kühlste Seele im Saal dahinschmelzen dürfte.

Die Sonne steht hoch am Himmel, die Welt der Oper steht Kopf: Jonas Kaufmann und Camilla Nylund wagen sich in die konzertante Aufführung des zweiten Aufzugs von Richard Wagners die Nacht huldigende Oper „Tristan und Isolde" — bei Tageslicht!

Große Leidenschaft und zarte lyrische Momente
Während sich das Drama eigentlich unter dem schützenden Mantel der Dunkelheit entfaltet, leuchtet nicht der Mond über dem nächtlichen Garten von König Markes Burg, sondern die Sommersonne über dem Festspielhaus Baden-Baden.

Immerhin herrscht Cornwall-Wetter: Wilde Wolkenreste und eine frische Brise sind noch übrig von der Gewitternacht. Sie passen dann doch wieder bestens zu dieser guten Stunde der sehnsuchtsvollen Hingabe und rings um die irische Prinzessin Isolde und den Ritter Tristan, die das Gstaad Festival Orchestra bei seinem nunmehr zweiten Sommerbesuch Ende August im Festspielhaus an der Oos mit erlesenster Besetzung bot.

Wagners epische Nacht der Liebe also bei Tage. Auch in Bayreuth ist das gang und gäbe. Von dort, wo sich im Hochsommer für nahezu alle Musikdramen Wagners immer um 16 Uhr der Vorhang hebt und die Nacht lange noch auf sich warten lässt, kommt auch Camilla Nylund.

Die finnische Sopranistin ist die gefeierte Isolde der diesjährigen Richard-Wagner-Festspiele. Umso erfreulicher, dass die begehrte Wagner-Heroine diesen Ausflug zunächst in die Schweiz zum Gstaad Menuhin Festival und jetzt auch nach Baden-Baden einschob. Um tagsdrauf in Bayreuth noch ein letztes Mal in dieser Saison ihre bezaubernde Isolde zu singen.

Mit dem Vorspiel und dem Karfreitagszauber aus dem Bühnenweihfestspiel „Parsifal" stimmt das Gstaad Festival Orchestra auf Wagners Klangwelten ein. Und es beweist unter der Leitung von Mark Elder vor allem Präzision — mehr noch als Leidenschaft. Man erlebt beeindruckende Genauigkeit und Klarheit, doch es fehlt etwas an jener glühenden Intensität, die Wagners Musik innewohnt.

Im zweiten Aufzug von „Tristan und Isolde" zeigt sich außerdem, dass die intensive Klangfülle auf der Bühne hinter den Sängerinnen und Sängern zu laut geraten kann. Statt die Stimmen in ihrer dramatischen Wirkung zu unterstützen, werden sie dadurch oft übertönt.

Hier muss sich Jonas Kaufmann mit seiner einzigartigen Klangfarbe akustisch anfangs Raum schaffen. Ein Wermutstropfen, der auf Mark Elder zurückgeht. Dennoch erlebt man Kaufmann und Nylund, die für ihre leidenschaftliche Hingabe an Wagners tiefe Klangwelten bekannt sind, als Traumpaar des Wagner-Gesangs.

Mit einer vokalen Intensität und einer Chemie, die spürbar zwischen ihnen funkt, führen Kaufmann und Nylund die Zuhörer in die tiefe Nacht der Liebenden. Sasha Cooke als Brangäne, Christof Fischesser als betrogener König Marke und Todd Boyce als Kurwenal und Melot ergänzen die Stars würdevoll.

Im zweiten Aufzug steht das geheime Treffen zwischen den beiden Titelcharakteren im Mittelpunkt. Er zeigt auch die unauflösbare Verbindung zwischen Liebe und Tod, das Leitmotiv der Oper.

Dass Camilla Nylund für diese Rolle warm gesungen ist, war zu erwarten. Ihr dramatischer Sopran bewegt sich sowohl in den hohen als auch in den tiefen Lagen mit Leichtigkeit und Brillanz. Ihr Volumen ist beachtlich. Gleichzeitig gestaltet sie lyrische und emotional tiefgründige Passagen mit einer bemerkenswerten Feinheit und Sensibilität.

Doch wie macht sich Jonas Kaufmann an der Seite der finnischen Sopranistin, die in Bayreuth neben Andreas Schager, einem Tristan von unerschöpflicher Kraft, steht? Kann Kaufmann die feine Nuancierung bieten, die man sich neben ihrer außergewöhnlich wandelbaren und atmenden Stimme erhofft?

Kaufmann ist bekannt für seine kraftvolle, aber flexible Stimme. Er zeichnet sich durch eine beeindruckende Bühnenpräsenz und eine emotionale Tiefe aus, die ihn zu einem Favoriten unter Kritikern und Publikum gleichermaßen gemacht haben. Seine Fähigkeit, sowohl
das italienische als auch das deutsche Repertoire auf höchstem Niveau zu singen und von Oper bis Liedkunst zu brillieren , trägt zu seinem Ruf als vielseitiger Künstler bei.

Der Don José in Bizets „Carmen" liegt ihm ebenso wie der Titelheld in Wagners „Lohengrin". Zu seinen nächsten Projekten gehört das Programm „Viva Puccini!" (auch in Mannheim, 17. Oktober) zum 100. Todestag von Giacomo Puccini mit den schönsten Arien und Szenen aus Puccinis Opern ebenso wie Schuberts Liederzyklus „Die schöne Müllerin" in Wien.

Und ja, auch einem Tristan verleiht er seine unwiderstehliche Gestaltungsmagie. Kaufmann setzt seine stimmlichen Ressourcen geschickt ein und nutzt seine lyrischen Qualitäten voll aus.

Anfangs muss er sich gelegentlich räuspern, da das Orchester zu Beginn noch zu dominant ist. Doch es ist beeindruckend zu erleben, wie Kaufmann im Verlauf die kraftvolle, nuancenreiche Nylund mit seiner tiefen Ausdrucksstärke und der Fähigkeit, authentisches Leid zu vermitteln, ergänzt. Immer tiefer zieht seine Stimme in den Bann, gewinnt kontinuierlich an Intensität und Ausdruckskraft. Lust und Leid verschmelzen in formvollendeter Stimmschönheit.

Die Sehnsucht der beiden, sich endlich in der Dunkelheit zu verlieren, und ihre strahlende Leistung schienen dem Publikum die Kraft zum frenetischen Jubel geraubt zu haben. Einige „Bravo "-Rufe gab es zwar, aber vielleicht fällt der Applaus doch kräftiger aus, wenn draußen die Nacht genauso dicht ist wie die Musik.















 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
  www.jkaufmann.info back top