|
|
|
|
|
BR Klassik, 31.08.2024 |
von Michael Atzinger |
|
Puccini: Tosca, Arena di Verona, 30. August 2024
|
Opernkrimi mit Startschwierigkeiten
|
|
Vor drei Jahren hat Tenor Jonas Kaufmann das Opernpublikum in der Arena von
Verona zum ersten Mal mit einer Operngala entzückt. Seitdem kommt er immer
wieder – zumindest für einen Auftritt pro Saison. Jetzt hat er für die
letzte "Tosca"-Vorstellung im Veroneser Festspielsommer 2024 den Cavaradossi
in Puccinis "Tosca" übernommen.
Es soll Opernfans geben, die dem
Tenor Jonas Kaufmann hinterherreisen: von München nach Wien und Hamburg,
Paris und Neapel – und auch mal nach Verona. Vor drei Jahren hat der
gebürtige Münchner mit einer Operngala sein umjubeltes Arena-Debüt gegeben,
und seither lässt er sich immer wieder in Münchens Schwesterstadt blicken –
heuer einmal in der Rolle des Cavaradossi in der allerletzten
"Tosca"-Vorstellung der Saison.
Verona, 30. August 2024: In den
Schaufenstern künden Cashmere-Pullover und dicke Jacken vom kommenden
Winter, und draußen erzählen der blaue Himmel und die 35 Grad Hitze eine
andere Geschichte – die vom ewigen Sommer. In der Arena, dem großen
Amphitheater der Stadt, wird noch gespielt – und hier hat sich eine
Sängertrias versammelt, um gemeinsam unterzugehen. Rein opernmäßig, versteht
sich. Denn in Puccinis "Tosca" überlebt keine der drei Hauptpersonen.
REGIE? FEHLANZEIGE Es dauert ein bisschen, bis diese Vorstellung
Fahrt aufnimmt. Das liegt erst einmal an der Regie, die keine ist – und auch
am Bühnenbild, das keines ist. Beides verantwortet der Argentinier Hugo de
Ana. Dass diese Produktion seit 2006 immer wieder zu sehen ist, hat Puccini
nicht verdient. Die riesige Bühne der Arena di Verona zu bespielen ist eine
Herausforderung. Aber wer dort das Krimi-Kammerspiel "Tosca" zeigen will,
sollte eine Idee haben. Hugo de Ana hat keine.
BÜHNE OHNE ATMOSPHÄRE
Ein riesiger Engelskopf beherrscht die Bühne, hat aber zweieinhalb Stunden
lang keine Funktion. Der erste Akt spielt nicht in der Kirche, aber auch
sonst nirgends; der zweite Akt hat nichts von einem Palazzo, aber dafür die
Anmutung eines Hinterhofflohmarkts für religiösen Kitsch, in dem Tosca
zufällig ein Messer findet, mit dem sie Scarpia von vorn und von hinten
erstechen kann. Im dritten Akt wird Cavaradossi erschossen, die Titelheldin
geht über eine Treppe nach hinten ab und fährt, plötzlich auf dem Engelskopf
stehend, in den Himmel auf. Lichteffekte Fehlanzeige, von Atmosphäre keine
Spur – und die tonnenschweren Brokatvorhänge mit meterlanger Schleppe, die
Tosca als Kleider tragen muss, hindern sie mehr als einmal beim Gehen und
Aufstehen. Eine Zumutung.
DREI WELTKLASSESÄNGER RÄUMEN AB Und
jetzt beginnt das Wunder dieses Abends: Elena Stikhina lässt sich von diesen
Einschränkungen nicht irritieren und singt mit bezaubernder Innigkeit und
großen leuchtenden Bögen. Ihr aus dem Nichts aufblühendes"Vissi d’arte" ist
hinreißend – und mutig, denn die Geräuschkulisse im Publikum ist nicht zu
unterschätzen. Es vergeht keine Minute, ohne dass etwas zu Boden fällt:
Flaschen, Programmhefte, Operngläser oder Gehhilfen … Die Stikhina spielt
auch, sofern die Last ihres Kostüms das zulässt. Das Orchester unter Daniel
Oren geht diese Poesie mit, unter dieser Zurückhaltung leidet das gewaltige
Te Deum im ersten Akt ein wenig. Da wäre mehr katholisch-barocke Klangwucht
nicht verkehrt. Toscas fieser Gegenspieler Scarpia ist Ludovic Tézier in der
Stimmform seines Lebens. Da dröhnt und poltert nichts, die Gefährlichkeit
kommt immer aus dem Piano und macht Gänsehaut. Abstoßend gut spielt Tézier
die körperlichen Übergriffe dieses Machtmenschen, der sich alles erlaubt,
weil er sich alles erlauben kann.
AUCH JONAS KAUFMANN ÜBERZEUGT MIT
PIANOKULTUR Und Jonas Kaufmann? Der fremdelt ein wenig in dieser
Produktion und gewinnt erst allmählich so richtig Profil. Auch er geht die
Partie nicht mit Stentortönen an, sondern zeigt in einem
verträumt-elegischen, erst zum Schluss auftrumpfenden "E lucevan le stelle",
dass da ein unglücklich-unschuldiger Mensch vom Leben Abschied nimmt, der
sich nicht so recht erklären kann, was er falsch gemacht hat. Es ist immer
noch eine seiner besten Rollen, er hat die Höhe und das Legato, er gestaltet
nach wie vor großartig. Und dass Singen Arbeit macht (vor allem Open Air bei
30 Grad), darf man mit Mitte 50 hören. Fazit: Drei Meistersänger retten
Puccinis "Tosca". Und alle drei werden sie gefeiert.
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|