Schubert: Die schöne Müllerin, Wien, Musikverein, 21. September 2024
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Musikverein Wien / Jonas Kaufmann und Rudolf Buchbinder: Schuberts »Die schöne Müllerin«
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Franz Schuberts 1823 komponierte »Die schöne Müllerin« (op. 25, D 795) hat
sich als eine der beliebtesten deutschsprachigen Liederzyklen etabliert. Die
Textgrundlage des Zyklus ist die Sammlung von 25 Gedichten »Die schöne
Müllerin« (1821) von Wilhelm Müller, von denen Schubert 20 vertonte. Die
Aufführung, die ich am 21. September 2024 im Goldenen Saal des Musikvereins
in Wien besucht habe, hat von der renommierten Akustik profitiert, die der
Stimme und dem Klavier eine warme Resonanz verliehen hat. Die Nachhallzeit
des Großen Saals von etwas mehr als zwei Sekunden verhindert, dass
musikalische Einzelheiten verschwimmen, und sorgt gleichzeitig dafür, dass
der Klang nicht trocken wird.
Der Tenor Jonas Kaufmann und sein
Begleiter am Klavier Rudolf Buchbinder interpretierten Schuberts
Liederzyklus als ein Werk der Frühromantik: Ein junger Müllergeselle folgt
einem Bach, der ihn zu einer Mühle führt, wo er sich in die Tochter seines
neuen Meisters verliebt. Die schöne Müllerin erweist sich für ihn als
unerreichbar, denn sie zieht einen Jäger vor, der Stärke und Zuversicht
verkörpert. In seiner Verzweiflung ertrinkt sich der Müller im Bach, der in
den letzten beiden Liedern eine aktive Rolle in der gesungenen Geschichte
einnimmt. Dabei war Buchbinders Spiel unsentimental und expressionistisch,
spiegelte jedoch durchgehend die Gefühlslagen des Müllers wider. Kaufmann
setzte sich ohne Übertreibung mit Liebe und Verlust auseinander, wobei die
schrecklichen Gefühle der zweiten Hälfte nach der Hoffnung, die in den
ersten Liedern enthalten ist, umso quälender wirken.
Kaufmanns
Ausdruckskunst verkörperte die Stimme des jungen Müllers, der die
beschriebenen Ereignisse und die emotionale Reise miterlebte, anstatt als
„Erzähler“ zu fungieren, der räumlich und zeitlich von der Geschichte
abgekoppelt ist. Kaufmann verlieh dem überschwänglichen „Das Wandern“
Optimismus und nicht den Hauch einer kommenden Tragödie. Das Timbre von
Kaufmanns baritonaler Tenorstimme mag den Eindruck eines reiferen Charakters
erwecken, als ihn der Dichter beschreibt, aber in den frühen Liedern stellte
Kaufmann ein jugendliches Gefühl dar. Der Wechsel von unbeschwerter Stimmung
zu aufgeregter, hoffnungsvoller Liebe, zu Wut und dann zu Verzweiflung ist
subtil. Aber diese nuancierte Entwicklung trägt dazu bei, dass kleine
Einzelheiten deutlicher hervortreten, wie das Gefühl des Zweifels und sogar
der Vorahnung, die durch die Klavierakkorde am Ende des zwölften Liedes,
„Pause“, angedeutet wird.
In „Die liebe Farbe“ verwandelt die Liebe
den naiven Müller in einen selbstbewussten Freier, doch ein Ausbruch von
Eifersucht zerstört sein Selbstvertrauen. Kaufmann sang über ein mit grünem
Gras bedecktes Grab mit Tränen in der Stimme und unterstrich damit das
Verschwinden der Ausgelassenheit, ja des Trotzes, der Sekunden zuvor noch da
war. Andere Stellen, wie das sotto voce am Ende von „Der Neugierige“, waren
beeindruckend. Kaufmanns Interpretation des siebten Liedes, „Ungeduld“,
zeigte den Vorteil einer Tenorstimme in diesem Zyklus mit einer besonders
wehmütigen Flehen „Dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben“. In
„Morgengruß“ wurde die Fantasie des Müllers, wie er die Müllerin anspricht,
deutlich wiedergegeben. „Tränenregen“ klang besonders trübsinnig und
erzeugte den Eindruck des Endes der Aussicht auf eine Beziehung und bildete
somit eine geeignete Überleitung zu dem wachsenden Verzweifeln, das in der
zweiten Hälfte des Zyklus zum Tod des Müllers führt. Das abschließende „Des
Baches Wiegenlied“ (die Ermahnung des Baches, dass die Müllerin, der Jäger
und sogar die Blumen es nicht wagen, den ertrunkenen Geliebten anzuschauen)
trug Kaufmann als Segen des Baches für den ertrunkenen Müller vor.
Buchbinder, der vor allem als Experte für die Wiener Klassik gilt, blieb der
Schubert’schen Notation akribisch treu und hielt sich an den Geist der
Musik, der zwischen den Noten und Taktstrichen liegt. Er spielte auf einem
Steinway & Sons-Konzertflügel, der die Intimität eines historischen
Instruments ahmte und den großen Saal mit einer warmen Resonanz erfüllte.
Seine Wahl zügiger Tempi unterstützte die überzeugende Erzählweise
Kaufmanns, die Emotionen zum Ausdruck brachte, ohne jemals in Schwelgerei
überzugehen. So hat diese Interpretation jeglichen spätromantischen Anstrich
vermieden, der dem Zyklus bei langatmigen Aufführungen manchmal anhaftet.
Kaufmanns Gesang war exquisit, und es gab Augenblicke, in denen er und
Buchbinder sich in ihrem Streben nach expressiver Wahrhaftigkeit richtig
austoben konnten. Kaufmanns klare Phrasierung erfasst das Wesen dieses
Liederzyklus, dessen Tessitura dem Umfang seiner Stimme entspricht. Er
verkörperte die heißblütigen, bisweilen heiteren, stolzen, unsicheren,
eifersüchtigen und letztlich hoffnungslosen Stimmungen des Müllers.
Kaufmanns Gesang könnte als ehrliche, ergreifende Kommunikation bezeichnet
werden.
Der Beifall im vollen Musikverein wurde mit drei Zugaben von
Schubert-Liedern belohnt: „Die Forelle“, „Der Jüngling an der Quelle“ und
„Der Musensohn“. Die einzige Beeinträchtigung des Vergnügens war eine
gewisse Unruhe im Publikum, die sich unter anderem in starkem Husten
äußerte, ohne dass die Geräusche gedämpft wurden, in ständigem Verrutschen
auf den Sitzen und im Spielen mit Handys.
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