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Abendzeitung, 24. März 2024
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Robert Braunmüller |
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Ponchielli: La Gioconda, Salzburger Osterfestspiele, ab 23.3.2024
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Ein Fest überreifer Stimmen: Anna Netrebko in "La Gioconda" bei den Osterfestspielen in Salzburg
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Amilcare Ponchiellis Primadonnen-Oper "La Gioconda" mit Anna
Netrebko und Jonas Kaufmann bei den Osterfestspielen in Salzburg.
Vor dem Festspielhaus ertönte die Hymne der Ukraine aus einem
Lautsprecher. Ein wackeres Häuflein demonstrierte lautstark gegen den
Auftritt von Anna Netrebko bei den Osterfestspielen. Denn wie den lästigen
Kaugummi am Schuh wird die Sängerin ein Foto nicht los, das sie mit einem
prorussischen Separatisten vor der Flagge "Neurusslands" zeigt. Es mag
stimmen, dass sie sich vom Überfall Russlands auf die Ukraine eher lauwarm
distanzierte, aber in Demokratien gibt es auch ein Recht auf Schweigen.
Umgekehrt verübeln russische Nationalisten der Sängerin, dass sie sich
im Interesse ihrer Karriere einen österreichischen Pass geholt hat und in
Wien lebt. Ihren 50. Geburtstag feierte sie vor zwei Jahren allerdings im
Kreml. Einige große Opernhäuser boykottieren sie nach wie vor, ob zu Recht
oder zu Unrecht, darüber lässt sich streiten. Fest steht aber: Die
Pandemie-Pause störte ihren Wechsel ins dramatische Fach, und zuletzt schien
ihre Weltkarriere zuletzt in eine Sackgasse geraten zu sein.
In
Salzburg debütierte sie 2002 als Donna Anna in "Don Giovanni", hier erlebte
sie 2005 als Traviata bei den Sommerfestspielen den Durchbruch zum Weltstar.
Bei den Osterfestspielen ermöglichte ihr nun der Intendant Nikolaus Bachler
eine Art von Edel-Comeback im maximalen Rahmen der Premiere einer echten
Primadonnenoper: in Amilcare Ponchiellis "La Gioconda", einer berühmten
Callas-Partie.
Dieser Vierakter enthält zwar den unverwüstlichen
"Tanz der Stunden" und die beliebten Arien "Cielo e mar" und "Suicidio",
aber in Gänze ist dieses schauerromantische Venedig-Drama frei nach einem
Drama von Victor Hugo eher selten zu sehen.
Operngeschichtlich steht
es zwischen Verdi und Mascagni, beim Text tobte sich der "Otello"-Librettist
Arrigo Boito unter einem Pseudonym aus: Der dämonische Bösewicht ist eine
Jago-Kopie. Matrosen verherrlicht der Dichter als "Eichhörnchen der Meere"
und auch sonst passiert mit Gift und Dolch einiges, was Opernverächter in
ihren Vorurteilen über die Abstrusität der Gattung bestätigen könnte.
Das Publikum genoss die Aura der Stars, zu genau hinhören durfte man
nicht. Die Premiere war ein nicht ganz ungetrübtes Fest überreifer Stimmen.
Anna Netrebkos Sopran ist weiter nachgedunkelt und hat jetzt eine
Mezzo-Charakteristik. Der Registerbruch klafft offener, die Höhe spricht
nicht immer leicht an. Und es gelingt der Sängerin leider nicht mehr, mit
ihrer Stimme auch emotional anzusprechen.
Die Verzweiflungsarie
"Suicidio" blieb eine Kunstübung. Immer wieder rettet sich die Netrebko in
einen brustigen Sprechgesang, der dramatisch wirken soll aber vor allem
theatralisch und geschmacklich grenzwertig bleibt. Als Darstellerin blieb
sie etwas steif, aber sie schien Lust darauf zu haben, als Straßensängerin
und herzensgute Rinnsteinschwalbe auch ein wenig ordinär zu wirken.
Jonas Kaufmann hat ähnliche Sorgen. Der dem "Esultate" aus "Otello" nicht
unähnlichen erste Auftritt gelang ihm zwar gut, aber später waren die
Kratzer auf dem Timbre unüberhörbar. Er singt längst nicht mehr so farbig
und differenziert wie noch vor einigen Jahren, und ähnlich wie bei der
Netrebko spricht seine Höhe an leisen Stellen nicht immer gut an. Aber beide
Künstler sind absolute Profis, und es ist bewundernswert, wie sie ihre
Probleme und Problemchen mit der Stimme kaschieren.
Der Bassist Tareq
Nazmi verspielte am Ende seiner Arie bei einem grausam verrutschten
Spitzenton beinahe den guten Eindruck, den er als wuchtig singender Alvise
machte. Die Mezzosopranistinnen Eva-Maud Hubeaux (Laura) und Agnieszka
Rehlis (La Cieca) konnten kaum aus dem Schatten der Primadonna treten. Drei
Damen mit dunkler Stimme stehen sich gegenseitig im Weg. Die gesündeste
Stimme brachte Luca Salsi für den Schurken mit: Er ist der beste
italienische Bariton seit Jahrzehnten und verkörpert schleimige Bosheit
offenbar mit größtem Genuss.
Die Inszenierung von Oliver Mears
verlegte die Handlung in die Gegenwart, was ebensowenig störte wie der
Versuch einer psychologischen Grundierung als Fall von sexuellem Missbrauch.
Auf diese Weise gelang es auch, das Ballett samt Spitzentanz (Liudmila
Konovalova) glaubhaft in die Handlung zu integrieren.
Star des Abends
war Antonio Pappano mit seiner Accademia di Santa Cecilia Rom. Das Orchester
kultiviert einen hellen, bisweilen scharfen klang, der sich ideal für
italienische Oper eignet. Pappano versteht es, zu begleiten und das
Orchester zugleich als gleichwertigen Partner der Sängerinnen und Sänger
herauszustellen. Und er hat einen Sinn für dramatische Zuspitzungen, die
laut werden, aber niemals lärmen.
Und deshalb wird man diese
Aufführung trotz aller Mängel letztendlich zu den Höhepunkten des Jahres
zählen, denn orchestral herausragende Vorstellungen italienischer Opern sind
selten - trotz der im Salzburger Sommer allgegenwärtigen Wiener
Philharmoniker. Und wegen der Auftritte des stärker kompromittierten
Dirigenten Teodor Currentzis und seiner Ensembles wird die politische
Debatte ebenfalls fortgesetzt.
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