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ORF, 8. Dezember 2023 |
Gerald Heidegger
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Puccini: Turandot, Wien, Staatsoper, ab 7. Dezember 2023
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Staatsoper: Grigorian triumphiert in mutiger „Turandot“ |
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„Wie schön wäre Wien ohne Wiener?“, fragte Georg Kreisler einst – und was,
so könnte man schließen, wäre eine Opernpremiere in Wien ohne Kulturkampf?
Die Neudeutung von Giacomo Puccinis „Turandot“ von Regisseur Claus Guth an
der Wiener Staatsoper wurde gestern zu einem Kulturkampfevent im besten
Wiener Sinn. Wer Psychoanalyse statt Exotismus zelebriert, schafft einen
Reibebaum in der Publikumszustimmung.
Zugleich wurde die neue
Inszenierung zum Triumphzug für Asmik Grigorian, der seit ihrem
„Salome“-Durchbruch die besonders abgründigen, um nicht zu sagen blutigen
Frauenpartien zum Markenkern geworden sind.
Ein zum Original
passender Zugang Grigorians Interpretation der „Turandot“ passt
eigentlich sehr zu Puccinis nie komplett vollendetem Original aus dem Jahr
1924. Denn Puccini gibt Ursachen an für das Verhalten Turandots, die
bekanntlich alle Freier an der scheinbar unlösbaren Rätselaufgabe scheitern
und in Folge enthaupten lässt.
Die nie genau ausgedeutete
Vergewaltigung ihrer Ahnin soll der Grund für Turandots Verweigerung
jeglicher männlicher Annäherung sein. Selbst der auf Diktatur getrimmte
Hofstaat mit einem Kaiservater an der Spitze neigt dazu, an ihrem
Dauermassaker zu verzweifeln.
Ein Hauch von Marthaler Als mit dem
Tatarenprinzen Calaf nun ein Mann ins Feld tritt, der sie als Frau erkennen
kann, bricht der Fluch und sind auch die drei Rätselaufgaben lösbar. Hier
setzt Guth in seiner Inszenierung an, die ein bisschen so wirkt, als hätten
sich Christoph Marthaler und Christof Loy in der Mitte des Guckkastens
getroffen: Marthalerartige Figuren treten in ein Loy-Szenario, in dem die
Eingangstür eine entscheidende Rolle spielt. Eingetreten wird durch die
Praxistür von Sigmund Freud in der Wiener Berggasse.
Jonas Kaufmann
als Calaf klopft bei der Annahme der Herausforderung nun nicht mehr auf den
obligaten Gong – sondern an die Tür des Therapeuten. Und er will Turandot
Heilung bringen. Dass er das so holzschnittartig und eigentlich brutal macht
wie das, wovor Turandot flieht, ist der Widerspruch, der die Regie reizt.
Die Regie liest Puccini gegen den Libretto-Text, aber mit der Partitur: Denn
auch wenn diese Oper so etwas wie der Endpunkt des klassischen Singspiels
mit seinem Formenrepertoire des 19. Jahrhunderts sein mag, so ist sie modern
in allen Sequenzen, die von den Träumen der Turandot bis hin zur kollektiven
Halluzination in diesem Peking in der ausgerufenen Märchenzeit handeln.
Man mag diesen Zugang für bemüht empfinden, doch das Team rund um Guth
bringt hier einen Klassiker mehr als überzeugend und anbiederungslos auf die
Bühne des Jahres 2023. Keine Minute dieser Inszenierung hat ihre Längen. Und
auch das Warten auf den Morgen, in der Nacht, in der niemand schlafe
(„Nessun dorma“), ist überzeugend gedeutet. So muss auch die Arie aller
Arien eben nicht im Pavarotti-Schweißtuch bis an den Oberrang geschmettert
werden, sondern darf als Reflexion im Raum stehen.
Berechtigter Jubel
für Mkhitaryan Für Jonas Kaufmann ist dieser Zugang gesangstechnisch auf
jeden Fall gut gewählt. Asmik Grigorian brillierte stimmlich als Turandot.
Zugleich darf man erwarten, dass der Charakter ihrer Stimme mit der Zeit
noch wachsen darf. Kristina Mkhitaryan als wissende Sklavin Liu, die ja
Puccini zu der Vorlage von Carlo Gozzi und der Bearbeitung durch Friedrich
Schiller dazu erfinden ließ, war der heimliche Star des Abends, der zu Recht
vom Publikum gefeiert wurde.
Wenn Puccinis „Turandot“ das Ende der
klassischen Oper ist, dann ist sie der Beginn der Filmmusik. Das machte die
musikalische Umsetzung durch den Puccini-Könner Marco Armiliato auch
deutlich. Puccini, das kam bei ihm aus dem Effeff. Der Notenauszug des
Meisters fehlte auf dem Dirigentenpult. Vielleicht manchmal zu pathetisch,
aber stets exakt führte Armiliato das Staatsopernorchester und einen für die
Inszenierung essentiellen Staatsopernchor in Bestform.
Wer diese
Inszenierung in ihrer Psychologisierung annehmen konnte, ging mit „Nessun
dorma“ ins Bett, um am Morgen mit Federico Fellinis „Achteinhalb“
aufzuwachen. Ohne diesen Puccini kein Nino Rota und die musikalische
Ausdeutung der Seele als Arabeske.
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