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Der Standard, 8. Dezember 2023 |
Ljubiša Tošić
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Puccini: Turandot, Wien, Staatsoper, ab 7. Dezember 2023
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"Turandot" als Sieg über Traumata durch Zuneigung |
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Claus Guth zeigt Puccinis Oper als subtil-rätselhaftes Spiel der
Gefühle, mit profunden Starleistungen von Asmik Grigorian und Jonas Kaufmann
Und wieder einmal hat ein Regisseur an der Wiener Staatsoper per
lautstarken Unmut die Rückseite der Herzlichkeit zu spüren bekommen.
Womöglich erhofften viele Erboste, Turandot würde ihrem Calaf in einem
traditionellen Hanfu schließlich aus devoter Liebe eine süßsaure Suppe
servieren. Wer weiß. Das Rätsel um die Stimmung mancher Buhtenöre und
-soprane ist schwer zu lösen.
Klar war jedenfalls vorab: Wenn
Sopranistin Asmik Grigorian eine Rolle verinnerlicht, ist davon auszugehen,
dass es nicht banal-kitschig ausgehen wird. Grigorian geht es in der Regel
um dichtestes Durchleben von Bereichen, die tief in die inneren
Konfliktherde und Traumata einer Figur hineinragen.
Kein Schwertkampf
Insofern ist Claus Guth der passende Regiepsychologe für sie. Er setzt an
der Wiener Staatsoper bei Giacomo Puccinis letzter Oper Turandot nicht auf
Oberflächenspektakel. Rund um eine kindlich-grausame "Prinzessin Unnahbar",
die ihre Verehrer nach drei nicht gelösten Rätseln an Henker weiterreicht,
leuchten nicht wie 2016 bei Regisseur Marco Arturo Marelli zirkusartige
Sensationen auf. Schwertkampf, Akrobatik und Clowneinlagen fehlen. Es geht
um eine ernste psychologische Symptomatik – per traumhaft-rätselhaften
Bildern ästhetisch eindrücklich umgesetzt.
Der Handlungsraum wirkt
kühl, ist karg ausgestattet. Er gleicht dem Wartesaal eines straff
organisierten Ministeriums. Hier werden Exekutionen sorgfältig dokumentiert
(Bühne: Etienne Pluss); Systembürokraten streifen wie Marionetten emsig
herum. Über ihnen – wie hinter einer riesigen Glaswand – malt eine filmisch
eingefangene Frau mit Blut überdimensionale Linien. Es ist Turandot. Als
verträumte, entrückte Eingesperrte wird sie zu Calafs monströser Fantasie.
Abgetrennte Köpfe Dem verliebten Rätsellöser fehlt in diesem Ambiente
zunächst die Orientierung; er ist gefangen in einer kafkaesken Situation der
Ungewissheit. Calaf staunt: Das bürokratische Völkchen um ihn herum befasst
sich mit abgetrennten Köpfen, als grün gewandete Beamtenschaft schreitet es
durch Türen, die für Calaf jedoch verschlossen bleiben. Dann schreitet
offenbar auch noch ein Turandot-Gespenst im Brautkleid mit einem Zigaretten
rauchenden Mann einher. Diesem fehlt allerdings der Kopf.
Alles
rätselhaft. Nach und nach kommt die Wahrheit der Prinzessin aber zum
Vorschein: Sie ist die seelenkühle Eisprinzessin, die sich mit
Menschenpuppen umgibt. Offenbar fesselt sie erlittenes Leid ans Bettchen. Es
muss da ein Übergriff stattgefunden haben, der sich tief ins Unbewusste
eingegraben hat und sich nun als Weltflucht, Berührungsangst und mörderische
Abwehrreaktion manifestiert.
Guth zeigt eine Frau, die zwischen
Grausamkeit und Phobie taumelt, bis das Bemühen Calafs zu einer Art Happy
End führt. Beziehung ist möglich, wobei: Das geht natürlich gar schnell in
dieser Oper.
Emotionale Kältezone Asmik Grigorian (als Turandot)
macht es allerdings glaubhaft, auch dank ihre fulminanten vokalen
Möglichkeiten. Der Charme ihrer Stimme rührt von einer überzeugend
dramatischen Färbung her, die jederzeit Charakter und Dringlichkeit
vermittelt. Auch im Grenzbereich der Beanspruchung, selbst in lichten Höhen
des Dramatischen bleibt Präsenz erhalten.
Etwas konventioneller – in
diesem unkonventionellen Rahmen – ist die Rollengestaltung von Jonas
Kaufmann (als Calaf). Darstellerisch wirkte Kaufmann etwas leger, mitunter
wie ein Werber, der sich zu sicher ist, Turandot aus ihrer emotionalen
Kältezone herausholen zu können. Er ist bei den Spitzentönen in seinem edlen
Element. Das eine oder andere Glissando ist vielleicht nicht immer dem
Gestaltungswillen geschuldet. Das singuläre, samtige Timbre überzeugt aber
fast in jeder Lage durch Vitalität.
Ausgewogene Entfesselung Vokal
starke Umgebung: Besonders Kristina Mkhitaryan (als Liù) überzeugt durch
Klarheit und Präsenz, profund der (oft unsichtbare) Chor und die kleineren
Partien: Jörg Schneider (als Altoum), Dan Paul Dumitrescu (als Timur),
Attila Mokus (als Mandarin), Martin Häßler (Ping), Nobert Ernst (Pang) und
Hiroshi Amako (Pong).
Dirigent Marco Armiliato, der es gemeinhin gern
donnern lässt, führt das Staatsopernorchester diesmal zu ausgewogener
Entfesselung der Klangmassen. Gleißende Effektkunst und musikalische
Delikatessen waren gleichermaßen präsent, wenn es darum ging, die Prinzessin
des Todes bei ihrer emotionalen Befreiung Richtung Calaf zu tragen.
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