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Klassik begeistert, 11. Dezember 2023
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Johannes Karl Fischer
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Puccini: Turandot, Wien, Staatsoper, ab 7. Dezember 2023
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Neue Wiener Turandot: Kaufmann kann Calaf, Claus Guths Inszenierung triumphiert auf den letzten Metern
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Diese Regie von Claus Guth kam, sah und siegte… und zwar auf den letzten
Metern! Musikalisch liefern sich Kristina Mkhitaryans Liù und Asmik
Grigorians Turandot ein spannendes Sopranderby um ihren Calaf… und der
Superstartenor Jonas Kaufmann hat endlich seine Paraderolle gefunden. Ganz
nebenbei: Die Turandot-Tondichtung im Graben der Wiener Staatsoper.
Turandot gesteht Calaf ihre Liebe, das überglückliche Liebespaar soll nun
zum Kaiserpaar gekrönt werden… doch was ist das? Turandot ergreift mit Calaf
die Flucht vor ihrem Vater? Ja, und besser gesagt: Vor der Herrscherklasse
Chinas.
Der Chor marschiert in Militäruniformen im Gleichschritt über
die Bühne, auch der Kaiser von China scheint mehr Interesse an einem
männlichen Thronfolger zu haben als an dem Wohlbefinden seiner Tochter. Das
alles ist Turandot egal. Sie will nur eins, die Liebe, wie Calaf. Mit ihrer
gefürchteten Härte wehrt sie sich gegen das herrschende kaiserliche
Gesellschaftssystem, nicht gegen die Furcht vor dem Schicksal ihrer
Vorgängerin.
Endlich hat einer mal einen zeitgemäßen wie spannenden
Umgang mit diesem mittlerweile schwierigen Stoff gefunden. Ping, Pang und
Pong sind nicht mehr die als Chinesen verkleideten Witzfiguren, jenseits ein
paar geblümten Bodenmuster deutet wenig auf die fernöstliche Handlung hin.
Stattdessen Bier trinkende Staatsminister, ein stets gefesselter Calaf und
eine sich nach Freiheit sehnende Turandot. Das nennt man mal kritische
Auseinandersetzung mit dem Werk!
Musikalisch gab es eine zutiefst
positive Überraschung: Jonas Kaufmann kann Calaf! Endlich scheint der
Superstartenor seine Rolle gefunden zu haben, so kämpft seine Stimme stets
siegessicher um die Prinzessin. Anders als beim Tannhäuser findet sich keine
Spur eines einzigen kratzigen Spitzentons, ganz im Gegenteil: Gerade in der
Höhe dringt seine starke Stimme auch in die hintersten Ecken des Hauses ein,
die zahlreichen hohen Bs und Cs können ihm den Weg nicht versperren.
Mit voller Kraft erledigt er den berühmten Schlusston von Nessun dorma und
erntet dafür – zurecht – donnernden Applaus. Ob er noch zwei Stunden so
hätte weiter singen können? Fraglich. Egal. Calaf ist kein Stolzing und hat
schon nach zweieinhalb Stunden Feierabend.
Mindestens genauso
brillant triumphiert Kristina Mkhitaryan in der Rolle der Liù. Zwei kurze
Arien sind ihr wesentliches Werk an diesem Abend, doch jeder noch so kleine
Ton strahlt mit unangefochtener Omnipotenz durch die Ränge wie eine siegende
Titelheldin. Kaum eine Zeile dürfte so tief in die musikalische Seele
eindringen wie ihre drei Worte „Principessa, l’amore!“. Kein Wunder, dass
sich ihre Konkurrentin da eine Scheibe von abschneiden möchte…
Auch
Asmik Grigorian meistert die Titelrolle mit beispielloser Bravour. Haushoch
schwebt sie über ihrer musikalischen Begleitung, da stockt einem der Atem,
wenn eine Sängerin dermaßen mühelos die Hammerarie „In questa reggia“ über
die Bühne bringt. Ihr Sopran besitzt eine unendlich strahlende Leuchtkraft,
mit jeder Note fesselt sie das Publikum fest an die Stuhlkante. Den Calaf
hält sie stets in ihrem stimmlichen Bann, kein Wunder, dass er bis zum
bitteren Ende um sie kämpft. Wenn ich einmal auf astronomischem Niveau ein
ganz klein bisschen kritisch sein darf: Die Salome liegt Frau Grigorian
besser. Die lässt halt nur einen und nicht am laufenden Meter Männer köpfen…
Dan Paul Dumitrescu überzeugte als stimmstarker Timur ebenso wie Jörg
Schneider als herrschender Kaiser Altoum. Beiden nahm man die Fragilität
ihrer Figuren bestens ab, am Ende sind sie halt beide machtlos gegen die
allmächtige Liebe von Calaf und Turandot.
Einzig Martin Häßler,
Norbert Ernst und Hiroshi Amako als Ministertrio (Ping, Pang und Pong)
schienen mir in ihren Rollen stimmlich ganz so spaßig dabei zu sein wie die
Regie, ein ganz wenig flach geriet ihre stimmliche Darbietung dieser
Partien. Gerade in der eigentlich genial gestalteten Biertrinkerszene könnte
man ruhig mal ein bisschen Wirtshaus-Atmosphäre in den Opernsaal bringen…
Zu guter Letzt wären da ja noch so einige Musizierende im Graben. Völlig
unbeeindruckt eines eher schleppenden Dirigats von Marco Armiliato
untermauerten die Wiener mal wieder ihren Ruf als weltbestes Opernorchester,
bei jedem triumphalen Turandot-Motiv schienen mindestens fünf Sonnen in
ihrer vollen Pracht über das Haus zu steigen. Sorry, aber da kam aus diesem
Graben fast mehr Energie raus wie aus drei Alpensinfonie, das hätte man
glatt auch als Turandot-Tondichtung feiern können! Auch im Chor donnerte
stets der volle Zorn der unter dem Turandot-Regime Unterdrückten in alle
Ecken des Hauses, das hat einen bis in die Galerie hoch regelrecht
umgehauen. „Dove regna Turandot“ sollte heißen „Dove regna questo coro“.
In Sachen Strauss ist die Wiener Staatsoper sowieso unangefochten, mit
dieser Turandot gelingt dem Haus am Ring nun auch ein Puccini-Paukenschlag.
Rege Regie-Diskussionen – einschließlich lautstarken Buhrufen – gehören
ebenso dazu wie dermaßen dominierende Turandot-Tondichtungen!
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