BR Klassik, 02.04.2023
von Bernhard Neuhoff
 
Wagner: Tannhäuser, Salzburger Osterfestspiele , ab 1. April 2023
EINE GEFÜHLTE EWIGKEIT
 
JONAS KAUFMANN ALS TANNHÄUSER IN SALZBURG
 
Bei den Osterfestspielen in Salzburg wagt sich Jonas Kaufmann erstmals an eine der schwierigsten Wagner-Rollen: Tannhäuser ist eine mörderische Partie. Die statische Inszenierung von Romeo Castellucci ist eine Übernahme aus München. Im Graben zelebriert Andris Nelsons mit dem Gewandhausorchester Langsamkeitsorgien. Und ein Sänger überstrahlt alle.

"Hier vergehen Milliarden Jahre", wird an die Bühnenwand projiziert. Dann steht da: "Hier vergehen zehn Milliarden Jahre." Und so weiter – bis Milliarden Milliarden Milliarden. Und was soll man sagen? Wie im Flug vergeht die Zeit jedenfalls nicht an diesem zähflüssigen Abend. Immerhin: Über das Rätsel der Zeit, das lange Warten auf den Augenblick der Erfüllung und die gefühlte Ewigkeit kommt man zumindest ins Grübeln bei dieser Inszenierung von Romeo Castellucci. Im Jahr 2017 kam sie in München erstmals auf die Bühne. Überraschend ist an dieser Regiearbeit nur, wie schnell sie gealtert ist – Rätsel der Zeit. Castellucci verzichtet nahezu völlig auf Personenregie. Er zeigt starre Rituale, dekoriert von kunstgewerblich angehauchten Bewegungschören.

ÄSTHETISCH RUMSTEHEN, PRIESTERLICH SCHREITEN
Da gibt es barbusige Amazonen, die schon zur Ouvertüre in rhythmischen Wellen Pfeile auf ein großes Auge schießen. Der Venusberg ist ein etwas glibberiger, mal träge, mal konvulsivisch zuckender Körperklumpen, in dem sich Tannhäuser und Venus schwerfällig aufeinander zu und voneinander wegbewegen. Im zweiten Akt kräuseln sich wehende, halbdurchsichtige Vorhänge in aparter Beleuchtung. Wer will, kann dazu Betrachtungen über die Dialektik des Enthüllens und Verbergens anstellen. Und da sonst kaum was passiert, bleibt einem auch nicht viel anderes übrig. Im dritten Akt liegen die Leichen der Liebenden auf schwarzen Altären und verwesen quälend langsam, bis erst Knochen und dann nur noch Sand übrigbleiben. Beim Liebestod werden die letzten unkenntlichen Überreste miteinander vermischt. Ansonsten wird gefühlt Milliarden Jahre lang ästhetisch rumgestanden und priesterlich geschritten.

WALDDUNKLER HÖRNERKLANG
Damals in München hatte Kirill Petrenko dirigiert und zu dieser statischen Inszenierung das Kontrastprogramm geliefert mit einer elektrisierenden musikalischen Interpretation. Diesmal steht Andris Nelsons am Pult – und er verdoppelt die szenische Statik durch musikalische Langsamkeitsorgien. Das Bachhanal in der Venusgrotte wird auf wohlige Wellness runtergedimmt. Das Gewandhausorchester hat charakteristische Farben – walddunkel klingen die Hörner, warm die Holzbläser. Was dieses tolle Orchester dann allerdings doch von der Weltspitze trennt, ist die maue Intonation – da hätten etwa Trompeten und Flöten noch einiges untereinander abzustimmen. Etwas blass bleibt der Chor, der sich aus dem Philharmonischen Chor Brünn und dem Salzburger Bachchor zusammensetzt und doch Kraft und Volumen schuldig bleibt. Die langsamen Tempi machen es allerdings auch nicht einfacher. Dabei gestaltet Nelsons sehr liebevoll und detailfreudig, auch dynamisch ausgefeilt. An manchen Stellen, etwa der Hallenarie, blitzt auch kurz mal Temperament auf. Aber letztlich bleibt Nelsons‘ ganz an die Schönheit des Augenblicks verlorene Deutung das Wesentliche schuldig: Bei Wagner muss der Dirigent für die dramatische Energiezufuhr sorgen, der psychologische Antrieb der Figuren kommt aus dem Graben – oder er fehlt.

JONAS KAUFMANN BLEIBT VERHALTEN
Vielleicht liegt es auch daran, dass Jonas Kaufmann bei seinem Debut als Tannhäuser seltsam gebremst wirkt. Oder will er sich die Kräfte angesichts dieser mörderisch schweren und höchst unbequem liegenden Partie klug einteilen? Dann hätte er spätestens in der Romerzählung Tacheles reden müssen. Tannhäuser ist ein Extremist – sowohl in der Lust als auch in der Buße. Kaufmann singt ihn eher verhalten. Statt psychologische Extremzustände zu zeigen, verlegt er sich auf gelegentliche Tenor-Schluchzer, als wäre dieser selbstzerstörerische Sinnsucher ein smarter Latin Lover. Deutlich mehr Präsenz und Leidenschaft zeigt Marlis Petersen als Elisabeth mit ihrem hellen, beweglichen Sopran. Ihre Gegenspielerin, die eingesprungene Emma Bell als Venus, bringt kräftige, aber wenig aufregende Farben ins Spiel. Eine Klasse für sich in Textverständlichkeit und Linienführung ist Georg Zeppenfeld als Landgraf. Sie alle überragt Christian Gerhaher als Wolfram. Was für ein magisches Piano – was für ein beeindruckendes Volumen! Hier erlebt man wenigstens musikalisch einen Menschen in all seiner Zerrissenheit: liebend und verzweifelt. Solche Augenblicke bleiben. Der Rest des Abends zerrinnt in gefühlter Ewigkeit: Hier vergehen Milliarden Jahre.








 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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