Kleine Zeitung, 2. April 2023
Martin Gasser
 
Wagner: Tannhäuser, Salzburger Osterfestspiele , ab 1. April 2023
Rätselspaß mit Opernstars
 
Neo-Intendant Nikolaus Bachler bringt den Münchener „Tannhäuser" zu den Osterfestspielen. Ein bisweilen glanzvoller, aber nicht ganz unproblematischer Abend in Luxusbesetzung.
 
Romeo Castelluccis Inszenierungen entschlüsseln zu wollen, alle ihre Geheimnisse zu lüften, ist ein sinnloses Unterfangen und wohl auch kaum im Sinne des Erfinders. Die Vieldeutigkeit dieser Rätselbilder widersetzt sich der gewohnten Neigung, alles verstehen zu wollen, alles zu verarbeiten, um es danach abheften zu können. Castellucci provoziert ein permanentes, nicht abzuschließendes Assoziieren, vielleicht sogar eine Hinführung zum absichtslosen Hören und Schauen, Staunen und Fühlen. Damit sind die Regiearbeiten des Italieners auch eine Erinnerung ans offene, potenziell unerschöpfliche Wesen der Kunst. Bei der 2017 in München entstandenen Produktion von Wagners „Tannhäuser" gibt es Amazonen, die zur Ouvertüre Pfeile in das Bild eines Auges jagen, ein rotes Band, wie eine frei im Raum hängende Ader oder Nabelschnur, dutzendweise herumliegende Nachbildungen menschlicher Füße usw.

Natürlich sind die Bildfindungen nicht beliebig, sondern legen Spuren ins Werk: der Kontrast zwischen der obszönen Fleischlichkeit im Venusberg und den ritualisierten Bräuchen des Männerbundes auf der Jagd und in der Wartburg, der Goldhaufen, den die Pilger durch die Gegend schleppen und die Aufhebung von Zeit und Raum, die im letzten Akt exerziert wird. In der Unendlichkeit vermischt sich die Asche von Tannhäuser/Jonas und Elisabeth/Marlis, die Trennung zwischen Interpret und Rolle aufhebend. Das ist unfassbar ergreifend, zeigt aber erneut, dass Castelluccis Bildwelten zum Pathos neigen, wenn sie zu eindeutig angelegt sind, auch weil sein Leibthema Vergänglichkeit kitschig werden kann.

Zumindest im ersten und dritten Akt gibt es unvergessliche Momente, im zweiten strapaziert das Statuarische der Inszenierung die Geduld noch des gutwilligsten Beobachters. Geduld braucht man auch für das Dirigat von Andris Nelsons. Der fremdelt mit dem Charakter des „Tannhäuser" als romantischer Oper, bleibt ihren virtuosen Glanz und dramatische Pracht weitgehend schuldig. Vor allem das Drama nimmt Nelsons aus der Gleichung. Einen so behäbigen Zeitlupen-„Tannhäuser" hat man selten gehört. Natürlich lassen kammermusikalischen Zartheiten und fein modellierte Piani aufhorchen, aber wie Nelsons und das Leipziger Gewandhausorchester Wagner zelebrieren, wirkt, als würde man der Musik beim Schmelzen zusehen müssen. Dass Bariton Christian Gerhaher als Wolfram es zuwege bringt, selbst beim zerdehnten „Abendstern" die Spannung aufrecht zu halten, ist eines der vokalen Wunder des Abends. Liedhaft, edel phrasiert, aber mit enormen vokalen Expansionsmöglichkeiten liefert Gerhaher ein ausgefeiltes Porträt eines verlorenen Charakters. Nur Georg Zeppenfelds Landgraf reicht vokal an dieses Niveau heran.

Dabei ist Tenor Jonas Kaufmann bei seinem „Tannhäuser"-Debüt in sehr guter Verfassung: Die Befürchtungen, dass der Sänger nach einigen durchwachsenen Abenden in der jüngeren Zeit den enormen Anforderungen dieser Partie nicht gerecht werden könne, lösten sich in Luft auf. Kraftvoll und ausdrucksstark (wie in der „Romerzählung") singt er einen elegischen, zerrissenen und fast gebrochenen Antihelden. Unterschiedlich geraten Venus und Elisabeth. Die für Elina Garanca eingesprungene Emma Bell gibt der Liebesgöttin Volumen und dunkles Feuer, während Marlis Petersen in der Hallen-Arie den Aplomb schuldig bleibt, den es für einen der größten Auftrittsnummern der gesamten Opernliteratur benötigt. Aber ihre etwas blasse Darstellung erhält im Fortlauf zusehends Farbe.

Am Ende gab es die übliche Publikumsschelte für den Regisseur sowie ein bisschen Jubel, viel freundlichen Applaus und vereinzelte Buhs für Nelsons und Petersen. Bachlers Rechnung, die eminente Inszenierung aus seiner Zeit als Intendant der Bayerischen Staatsoper mit möglichst viel prominenten Sängern zu reaktivieren, ging nur so halb auf.








 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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