Abendzeitung, 02. April 2023
Robert Braunmüller
 
Wagner: Tannhäuser, Salzburger Osterfestspiele , ab 1. April 2023
Jonas Kaufmann als "Tannhäuser": Eingebremst in edler Routine
 
Der Tenor Jonas Kaufmann gibt sein Rollendebüt als "Tannhäuser" bei den Osterfestspielen in Salzburg.
 
Erst nach etwa 50 Minuten, beim ersten Solo von Christian Gerhahers Wolfram, erreicht die Aufführung eine halbwegs angemessene dramatische Betriebstemperatur. Gerhaher gestaltet die Musik, unterstreicht den Sinn mit vokalen Farben, schattiert sie zur Interpretation eines gutwilligen, aber innerlich gebrochenen Menschen. Dann steht, endlich, ein Künstler auf der Bühne, der mit souveräner Intelligenz Noten und Texte zum Leben erweckt und sie nicht nur abarbeitet.

Der Rest der Aufführung von Richard Wagners „Tannhäuser“ bei den Osterfestspielen Salzburg ist Edel-Routine. Dabei wird mit berühmten Namen nur so geprunkt. Im Orchestergraben sitzt das Leipziger Gewandhausorchester unter Andris Nelsons. Die Musiker stellen mit einem schönen, nicht zu weichen, feinherb-deutschen Orchesterklang ihre Vorzüge aus. Es könnte ein grandioser Wagner-Abend sein, aber der Gewandhauskapellmeister scheint zu "Tannhäuser" keine echte Beziehung entwickelt zu haben.

Dirigieren mit angezogener Handbremse

Nur wenn Wagner romantisch Weber klingt, wacht Nelsons auf. Das tönt dann frisch, transparent und lebendig artikuliert. Davon profitiert das normalerweise nicht sehr interessante Duett zwischen Elisabeth und Tannhäuser. Aber alles, was sich dem Musikdrama annähert, dirigiert Nelsons mit angezogener Handbremse und zähen Tempi, ohne den Mut zu einer Zuspitzung und schärferen Akzenten: Es ist vierstündiges, umständlich zelebriertes Requiem auf "Tannhäuser".

Das hat auch mit dem Protagonisten zu tun: Die maximal schwierige Titelrolle ist, wie Tristan, für Jonas Kaufmann eine Grenzpartie. Er bewältigt sie mit seinem baritonal grundierten Tenor zwar ohne hörbare Anstrengung. Aber es fehlt der Überschuss an Kraft und Gestaltungsreserven, der diesen Sänger in italienischen und französischen Partien so interessant macht. Und daher scheint es eher unwahrscheinlich, dass Kaufmann den Tannhäuser nach diesem Debüt noch öfter singen wird.

Dass die drei Strophen der Venus-Hymne keine Steigerung bringen, mag als Schonung der Ressourcen bei diesem Rollendebüt durchgehen. Problematischer ist die halb gehauchte, halb geschluchzte Passage "Zum Heil den Sündigen zu führen", in der die Solo-Stimme das Ensemble dominieren müsste. In dieser laut Wagners Selbstdeutung zentralen Passage geht Kaufmann fast unter.
Kaum "brünstiges Lebensfeuer" spürbar

Dass in Tannhäuser ein "brünstiges" und "allverzehrendes Lebensfeuer" lodern würde, wird in dieser Aufführung kaum jemals deutlich. Alles bleibt angesichts der von Kaufmann als Lohengrin oder Parsifal selbst gesetzten Maßstäbe maßvoll wie ein Liederabend im Frack, selbst in der Romerzählung wirkt Kaufmann mehr wie ein Musikbürokrat. Wie wenig der Sänger Wagners Musik interpretiert, fällt vor allem im Sängerkrieg auf, wenn er gemeinsam mit Christian Gerhaher auf der Bühne steht, der scheinbar mühelos die maximale Kunstfertigkeit herausstellt.

Damit mithalten kann nur Marlis Petersen. Die Elisabeth mag für sie eine Grenzpartie sein. Aber sie macht aus Wagners Gipsmadonna eine lebendige, leidenschaftlich liebende Frau. Ihr helles Timbre strahlt Jugendlichkeit aus, das leichte Flackern wirkte erotisch. Sicher ist sie kein genuin dramatischer Sopran, aber zu diesem Zeitpunkt ihrer Karriere kann sich diese kluge Interpretin und Gestalterin diesen Versuch leisten. Die Buhs waren absolut unangebracht.

Der Tschechische Philharmonische Chor Brünn und der Salzburger Bachchor wirkten nicht völlig homogen und auch nicht frei von Schärfen. Georg Zeppenfeld brachte als Landgraf die gewohnte Solidität ein. Die für Elina Garanca kurzfristig eingesprungene Emma Bell ist eine entwicklungsfähige, dunkel timbrierte Venus. Die Tiefendimensionen der Rolle in der erweiterten Wiener Fassung müsste sie sich allerdings noch erarbeiten.

Romeo Castelluccis Inszenierung war aus München entliehen, wo sie beim Publikum ziemlich unbeliebt ist. Es war trotzdem ein geschickter Schachzug, sie für drei Aufführungen nach Salzburg zu holen, denn der Regisseur ist dank "Salome" und "Don Giovanni" eine bekannte und auch sichere Marke der Festspiele im Sommer.

Die dezent überarbeitete Produktion hat ihre Stärken, etwa im Todesritual des dritten Akts, in der Präsenz des Venusbergs auf der Wartburg und in der Gliederung der Ensembles im zweiten Akt. Ihre Schwäche aber, das Herumstehen und das Kunstgewerbe, wirkte angesichts des übervorsichtigen Protagonisten und des gebremsten Dirigenten auf den Abend lähmend aus. Was schade ist, denn rein von der Papierform her hätte es der "Tannhäuser" des Jahrzehnts werden müssen.







 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
  www.jkaufmann.info back top