Merkur, 02.04.2023
Markus Thiel
 
Wagner: Tannhäuser, Salzburger Osterfestspiele , ab 1. April 2023
Erotik im Eco-Gang: „Tannhäuser“ bei den Osterfestspielen Salzburg
 
Wer den Abend durchstehen will, braucht viel Koffein: „Tannhäuser“ bei den Salzburger Osterfestspielen wird unter Andris Nelsons in Zeitlupe aufgerollt. Jonas Kaufmann ist erstmals in der Titelrolle zu erleben.
 
Das Allerfürchterlichste, so pflegte René Kollo zu stöhnen, sei doch der erste „Tannhäuser“-Akt. Der Lobpreis an die Adresse von Liebesgöttin Venus, in knifflig hoher Lage notiert, dies auch noch in immer neuen Anläufen, die Dauer-Exaltation bis zum rettenden „Maria!“-Ruf, und dann auch noch alles in der aufgeplusterten Pariser Zweitfassung – viele Tenöre sind da schon zur ersten Pause kurz vor dem Kolbenfresser. Es sei denn, man macht es so wie Jonas Kaufmann. Erstmals riskierte der Ex-Münchner und Neu-Salzburger Richard Wagners Stimmbandkiller. Und erklärte vorab, ganz einfach sei das: Man müsse ihn schlicht wie eine italienische Tenor-Partie begreifen.

Im Großen Festspielhaus Salzburg, zur Eröffnung der Osterfestspiele, klingt das so: sehr lyrisch, sehr zurückgenommen, was Raum zur Gestaltung und zum Texttransport eröffnet. Man ist überrascht von Kaufmanns Filigranarbeit, lässt sich – abgesehen von den 50er-Jahre-Schluchzern – sogar verzaubern. Nur: Viel kommt dann nicht mehr. Kaufmann, der zu Beginn seines sechsten Lebensjahrzehnts die Checkliste der großen Heldenpartien abhakt, ist ja klug genug. Die Blöße, dass hier einer zu weit übers Stimmfach hinausgreift, will er sich nicht geben. Also laviert er sich mit angezogener Handbremse durchs Stück. In der gefürchteten „Erbarm’ dich“-Klage am Ende des zweiten Akts blendet er sich fast säuselnd weg. Um in der finalen, bequemer gelagerten „Rom-Erzählung“ expressive, drastische Mini-Momente nachzureichen. Ergebnis ist: Kaufmann kommt durch, allerdings nur im Eco-Gang. Vom Existenziellen der Partie, von der lodernden Erotik, vom tödlichen Scheitern an der Liebe, vom gesellschaftlichen Grenzgang Tannhäusers, der sich eben auch klanglich manifestiert, hört man fast nichts

Unheilige Allianz zwischen Dirigent und Regisseur

Für die Osterfestspiele, weltweit exklusivstes Festival, ist Kaufmann Lockvogel Nummer eins. Die Rechnung geht auf. Alle drei Aufführungen sind bei Preisen bis zu 490 Euro ausverkauft. Es ist das Jahr eins nach Christian Thielemann und seiner Staatskapelle Dresden, die man bekanntlich hinauskomplimentiert hat. Und damit ein schweres Erbe für Andris Nelsons und sein Gewandhausorchester Leipzig, die nur für einen Festival-Durchgang an die Salzach reisten. Tatsächlich wird dieses Engagement zum größten Problemfall der Premiere.

Nelsons liebt die Partitur, das merkt man. In manche Details ist er geradezu verknallt. So sehr, dass der Abend schon im Venusberg zu versickern droht. Statt Ecstasy hat das Liebesvolk dort Tranquilizer eingeworfen. Und auch sonst hängt die Deutung gefährlich durch. Zupackendes gibt’s nur bei den hingeklotzten Akt-Schlüssen. Vieles ist fein und kundig hervorgehoben, manches auch, Zeitlupe kann ein Orchester stressen, intonatorisch knapp. Statt Drama vernimmt man Geschmäcklerisches. Eine unheilige Allianz mit der Regie ist die Folge.

Für seine ersten Osterfestspiele als Alleinherrscher hat sich Intendant Nikolaus Bachler von seiner früheren Münchner Staatsopern-Wirkungsstätte die Inszenierung Romeo Castelluccis mitgebracht (die kommende Saison zurückwandert an die Isar). Neue Details gibt es. Doch bleibt der Eindruck eines lebenden Coffetable-Buchs: Als Fotos funktionieren Castelluccis raunende Bilder wunderbar, als Stück-Deutung sind sie kurz vor dem Totalausfall. Sängerinnen und Sänger werden zum szenischen Ornament verdammt. Was bleibt, ist eine kühle, asiatisch angehauchte Mega-Meditation über Vergänglichkeit und Verführung, rätselhaft und in ihre Ästhetik verpanzert, Symbolismus aus der Edel-Boutique. Als ob Wagner nur Schablonen erfand und keine Charaktere. Was bedeutet: Das Bühnenpersonal ist als Selbsthilfegruppe unterwegs.

Größter Applaus für Christian Gerhaher

Und hier gibt es Glücksfälle, nicht nur in den Hauptpartien. Sebastian Kohlhepp macht seinen Walther zum Kurzzeit-Mittelpunkt und führt vor, das tenoral Raumgreifendes ganz ohne Forcieren, dafür mit Glanz und kluger Technik möglich ist. Marlis Petersen versucht sich mit der Elisabeth an ihrer ersten Wagner-Partie. Dass sie über keinen dramatisch blühenden Sopran verfügt, weiß sie selbst. Dafür gibt es eine Textarbeit, eine Formung von Vokalen und Konsonanten, die ihresgleichen sucht. Auch bei Georg Zeppenfelds Landgraf springt einem die Intelligenz aus jeder Phrase, jeder Silbe entgegen. Emma Bell, spät in die Proben für Elina Garanča eingestiegen, ist eine solide Venus. Der Tschechische Philharmonische Chor aus Brünn und der Bachchor aus Salzburg absolvieren ihre Aufgabe achtbar.

Am allerweitesten in der Feinabschmeckung kommt erwartungsgemäß Christian Gerhaher, das war schon 2017 bei der Premiere in München so. Das Drama Wolframs offenbart sich allein durch sein gestisches Singen und ohne Regie. Wo Inszenierung und Dirigat fast völlig ausfallen, genießt Gerhaher alle Freiheiten, in seiner Deutungswut und Klangpuzzelei überschreitet er auch Grenzen. Das Publikum ist außer sich. Wenigstens einer riskiert hier was.







 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
  www.jkaufmann.info back top