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Leipziger Volkszeitung, 03.04.2023 |
Katharina Stork |
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Wagner: Tannhäuser, Salzburger Osterfestspiele , ab 1. April 2023
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So war Andris Nelsons’ „Tannhäuser“ bei den Salzburger Osterfestspielen |
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Salzburg/Leipzig. Der Abend könnte nach der Ouvertüre enden, und es bliebe
dennoch das Gefühl, die ganze Oper gehört und durchlebt zu haben. Denn das,
was aus dem Zusammenspiel der Akustik des Großen Festspielhauses in Salzburg
und des Gewandhausorchesters unter Andris Nelsons entsteht, ist ganz großes
Kino. Das Gewandhausorchester ist das erste Residenzorchester, das der
Intendant Nikolaus Bachler zu den Osterfestspielen Salzburg geholt hat. Bis
2026 soll jedes Jahr ein anderes Spitzenorchester seinen eigenen Klang an
der Salzach entfalten.
Dass das Gewandhausorchester eine Oper von
Richard Wagner aus der Geburtsstadt des Komponisten mitbringt, liegt nahe.
Und auch in den weiteren Orchester- und Kammerkonzerten, die sich bis zum
10. April erstrecken, sieht Gewandhauskapellmeister Andris Nelsons den Kern
seines Klangkörpers: „Wagner, Mendelssohn, Schumann und Bach: Die Werke
dieser Komponisten haben die Geschichte unseres Klangkörpers nachhaltig
geprägt und uns zu dem Orchester gemacht, das wir heute sind,“ sagt er. Auch
die zeitgenössische Musik hat unter anderem mit der Gewandhauskomponistin
Sofia Gubaidulina ihren Weg ins Festival-Programm gefunden. Pilgerchoral
aus dem Nichts
Den Auftakt machte am Wochenende also „Tannhäuser und
der Sängerkrieg auf Wartburg“. Quälend, unaushaltbar langsam baut sich die
Melodie des Pilgerchorals aus dem Nichts auf. Sie muss raus, diese Musik,
und doch gelingt Nelsons der Spagat zwischen Drängen und Zurückhaltung,
zwischen dem Blick hin zum erlösenden Forte und dem Auskosten des Crescendo,
ohne das der Anfang dieser Ouvertüre nur Geräusch bliebe, nie Musik würde.
Die Akustik des Großen Festspielhauses schafft eine verblüffende
Nähe zum Klang, eine Trockenheit, die jeden Ton klar und greifbar macht.
Keine glattgebügelte Aufnahme kann die Echtheit transportieren, die aus
diesem Orchestergraben kommt. Nelsons bringt nicht das Göttliche, sondern
das Menschliche in die Musik, wodurch der (Leidens-)Weg Tannhäusers erst
seine Schablonenhaftigkeit verliert und konkret wird.
Rollendebüt
Jonas Kaufmanns
Dieser „Tannhäuser“ ist die Neueinstudierung einer
Produktion der Bayerischen Staatsoper. Romeo Castellucci zeichnet
verantwortlich für die Inszenierung, für die Bühne, für das Licht. So können
die symbolisch aufgeladenen Bilder auf der monochromen, schlicht gehaltenen
Bühne ihre Sogwirkung entfalten. Tannhäuser weilt im Venusberg als Geliebter
der Venus und die körperlichen Freuden können ihm nicht mehr die
Befriedigung verschaffen, nach der er sich sehnt. Zur Menschenwelt will er
zurück, zum Glauben, zu Maria. Über Körper- und Fleischberge klettert er zur
Venus, um sich von ihr loszusagen.
Es ist das Rollendebüt Jonas
Kaufmanns, dessen dunkel eingefärbter Tenor sich geschmeidig der klangvollen
Sinnlichkeit Emma Bells als Venus entgegenstellt. Sie springt für die
erkrankte Elina Garanca ein. Die kleinen schluchzenden Laute, die Kaufmann
immer wieder entkommen, passen zu Tannhäusers gebeuteltem Seelenzustand.
Dass die Partie nicht allzu viele lange Spitzentöne verlangt, kommt ihm
zupass. Die laute Mittellage bringt er bravourös über das Orchester, nur die
Piani und die Höhen erhalten das typisch Kehlige, das knapp am Gepressten
vorbeischrammt. Kaufmanns Spiel ist, vor allem im Austausch mit Christian
Gerhaher als Wolfram von Eschenbach und Marlis Petersen in ihrem
Wagner-Debüt Elisabeth, nuancierter als sein Klang. Denn auch immerwährende
Intensität wird irgendwann zur Monotonie. Aus dem Venusberg entkommen
gelangt Tannhäuser im zweiten Akt zurück in die Halle, in der Elisabeth den
geliebten Sänger nach langer Trennung empfängt. Weite bestimmt das Bild,
wallend leichte Vorhänge schaffen Transparenz und Distanz zugleich.
Unerwiderte Liebe bis in den Tod
Marlis Petersen sucht das Zerrissene
in Elisabeth und findet es in einer Balance aus getriebenem Spiel und
ausgewogenem Klang. Spielerisch steht sie mit Gerhaher unangefochten an der
Spitze, so klar und tief reißt sie den Abgrund auf. Castellucci lässt die
Reinheit Elisabeths und der Wartburg immer weiter mit dem Schwarz der
Vergänglichkeit und Sünde überziehen. Verstörend und stark ist das Bild, wie
Tannhäusers Besessenheit der Venus in Form einer pechschwarz umhüllten
Tänzerin seine weiße Robe befleckt, ihn zu Boden reißt. Aus der Helligkeit
stürzt Elisabeth ins Dunkel, wie sie ein Jahr lang auf Tannhäusers Rückkehr
von der Pilgerreise nach Rom wartet und bei Maria um Vergebung für ihn
bittet. Wolfram von Eschenbach steht ihr in unerwiderter Liebe bei, würde
sie sogar in den Tod geleiten.
Christian Gerhaher steigert seinen
Bariton immer weiter an Intensität, immer düsterer und empfindsamer wird
sein voller Ton. Die Pilger kehren zurück. Im Off baut sich der Pilgerchoral
auf, langsam zieht der Chor auf die Bühne, düster und erhaben zugleich
breitet sich der Klang immer weiter aus. Klanglich überwältigend, präzise
und textverständlich: der Tschechische Philharmonische Chor Brünn und der
Bachchor Salzburg. Castellucci beendet den symboldurchwirkten Abend mit der
Vergänglichkeit im Ewigen: Immer weiter zersetzen sich die Leichname von
Elisabeth und Tannhäuser, auf deren Bahren die Namen ihrer Ausführenden,
Marlis und Jonas, stehen. Immer weiter, bis nur noch Staub durch die Finger
rinnt. Überwiegender Jubel, durchsetzt mit wenigen hartnäckigen Buhs.
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