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Wiener Zeitung, 02.04.2023 |
Judith Belfkih |
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Wagner: Tannhäuser, Salzburger Osterfestspiele , ab 1. April 2023
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Zerdehnte Sinnlichkeit |
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Wagners "Tannhäuser" als langatmiges Sängerfest mit Abstrichen bei den Osterfestspielen. |
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Im Finale wurde es dann doch noch ein packender Opernabend. Punktuell
zumindest. Zum einen musikalisch, weil es Jonas Kaufmann als Titelheld im
"Tannhäuser" noch gelang, in der Rom-Erzählung zu jener eindringlichen Form
zu finden, für die der Tenor gefeiert wird. Mit sonor dramatischem Ton und
präzisem Spiel schilderte er das klägliche Scheitern des um Vergebung
flehenden sündigen Helden.
An seiner Seite zeigte Christian Gerhaher
als ihn zur Erlösung führender Wolfram von Eschenbach, dass auch Wagner die
erzählerische Klarheit und stimmliche Nuanciertheit eines Schubert-Liedes
verträgt; mehr noch, dass dieser poetische Erzählton viele Feinheiten neu
erstrahlen lässt. An charaktervoller Gestaltungskraft und kontinuierlicher
vokaler Intensität reichte an diesem Samstag niemand an Christian Gerhaher
heran. Diese sängerischen Glanzmomente weckten auch Dirigent Andris Nelsons
und das Gewandhausorchester im Graben für Momente aus ihrem samtigen
Dämmermodus.
Zum anderen verdichtete sich diese Premiere der
Salzburger Osterfestspiele im Finale auch szenisch. Den dritten Aufzug
hindurch zeichnete Regisseur Romeo Castellucci mit Statisten den Weg alles
Fleischlichen angesichts der Ewigkeit nach. Mit immer neuen menschlichen
Figuren illustrierte er die langsame Verwesung und Zersetzung des Körpers -
von den geblähten Bäuchen über eingefallene Mumien bis zu Knochen und Staub.
Dass ihre Darsteller die beiden finalen Häufchen menschlichen Staubs -
zugeordnet den zu Lebzeiten unglücklich Liebenden Tannhäuser und Elisabeth -
schließlich in einer Staubpyramide zusammenrieseln ließen, sie also im Tod
vereinten, ist wohl eine der berührendsten wie greifbarsten Darstellungen
des ewigen Opern-Topos Liebenstod.
Zu viel Entschleunigung
Doch bis zu diesen vokalen wie szenischen Höhepunkten mussten erst vier
lange Stunden vergehen im Großen Festspielhaus. Stunden, in denen Jonas
Kaufmann wackelig in diese fordernde Partie eingestiegen war und sich erst
zurück kämpfte zur Souveränität; Stunden, in denen das Geschehen im
Orchester immer wieder beinahe lähmend zu Stillstand kam. Stunden, in denen
nicht alle Köperbilder Sinn machten, sich die Bühne immer wieder füllte mit
Variationen von Endlos-Choreografien sich rekelnder fleischfarbener Leiber;
Stunden der wehenden Vorhänge, der kreisenden und glänzenden Scheiben,
Pfeile und Bogen. Kurzum: Stunden der übermäßigen Entschleunigung.
Trägheit statt Geheimnis
Musikalisch ging dieses Konzept nicht auf,
weil dem Gewandhausorchester für eine minutiöse Wagner-Zeitlupenstudie
schlicht die klangliche Substanz fehlt; und weil es Andris Nelsons am Pult
nicht gelang, im Auswälzen der Partitur die Spannungsbögen aufrecht zu
erhalten. Das Resultat war eine Reihe nicht besonders tragfähiger stehender
Klangsäulen anstelle eines dynamischen und lebendigen Mahlstromes. Die
restlichen Sänger gut bis solide: Marlis Petersen sang eine nur wenig
lyrische oder tragfähige Elisabeth, Emma Bell eine vokal schlagkräftige doch
wenig sinnliche Venus. Tadellos dagegen der Landgraf von Georg Zeppenfeld.
Herausragend die textdeutliche Klarheit des Tschechisch Philharmonischen
Chors Brünn und des Bachchores Salzburg.
Szenisch hat die
entschleunigte Herangehensweise von Castellucci durchaus ihren Reiz. Seine
karg wie kraftvollen Bilder entwickeln mitunter Sogkraft. Sie zielen nicht
auf das rationale Verstehen ab, sondern auf ein der Unmittelbarkeit von
Musik verwandtes Begreifen. Die reduzierte Archaik erklärt sich nicht immer
restlos. Doch die abstoßende Dimension der reinen Fleischlichkeit im
Venusberg, die wehenden weißen Stoffbahnen um die Jungfrau Elisabeth oder
die Schwärze der Ewigkeit sind durchaus einprägsam. Ohne einen lebendigen
Gegenpol im Orchester zerdehnte sich jedoch auch Castelluccis Sinnlichkeit.
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