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Der Standard, 2. April 2023 |
Ljubisa Tosic |
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Wagner: Tannhäuser, Salzburger Osterfestspiele , ab 1. April 2023
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"Tannhäuser" bei Osterfestspielen als Oper der lustvollen Verwesung |
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Regisseur Romeo Castellucci zeigt im großen Festspielhaus Salzburg
ein bilderstarkes Drama des schuldbeladenen Begehrens mit tollen vokalen
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Ein unrunder Charakter ist Tannhäuser. Er folgte den Wünschen seines
Unterleibs auf den Venushügel. Schließlich jedoch überkommt ihn Überdruss
vor all dem körperlichen Kram, den er genoss. Auch zum Abschied von Venus
nimmt er bei Regisseur Romeo Castellucci im Großen Festspielhaus unwillig
ein "Körperbad" in einer welligen Skulptur aus Gliedmaßen.
Als wäre
es nicht der Gefühlsambivalenz genug, ist er auch noch eine Art Don Giovanni
mit Schuldgefühlen. Es plagt den Minnesänger sein christliches Über-Ich, dem
Genuss horizontaler Freuden folgen Gewissensqualen; als reuiger Sünder hofft
er auf Vergebung, doch dann das: Beim Sängerfest drängt es den Unsteten
nicht zu Lobpreisung der Keuschheit.
Schwarz sehen
Tannhäuser
verhöhnt die Tugendkollegen durch abermalige Verherrlichung des wahren
Lebens, das um Sinnlichkeit und Genuss kreise! Entsetzt sind alle, auch
Walther von der Vogelweide (Sebastian Kohlhepp), Biterolf (Edwin
Crossley-Mercer), Heinrich der Schreiber (Dean Power) und Reinmar von Zweter
(Alexander Köperczi). Tannhäusers Zusammenbruch besorgt dann aber eine
enigmatische Figur: Castellucci lässt ihn von einem Tanzwesen umschwirren
und sein weißes Gewand schwarz anmalen.
Auch insgesamt sieht der
Regisseur in seiner für die Salzburger Osterfestspiele neu eingerichteten
Arbeit von 2017, welche für die Bayerische Staatsoper entstand, schwarz für
den Geplagten, der zwischen Trieb und Tugend torkelt. Tannhäuser erwartet
keine Erlösung im Diesseits. Er ist hier die resignierte Existenz, die sich
in einem Akt der Verwesung schließlich als Asche mit Elisabeth vereint.
Asche trifft Asche: Im Ritual, das die beiden Figuren gleichsam als
Gespenster ihrer selbst vollziehen, schütten Jonas Kaufmann (Tannhäuser) und
Marlis Petersen (Elisabeth) ihre sandigen "Reste" zu einem Haufen zusammen,
während der Zeitfaktor aufgehoben scheint.
Eine Schrift im
Hintergrund des schwarzen Raums behauptet, hier würde eine Sekunde so viel
zählen wie eine Milliarde von Jahren. Auch der ganze Abend wirkt, als würde
Castellucci Zeiten und Epochen verschmelzen. Er holt aus dem kollektiven
Gedächtnis der Kulturmythen Archetypen hervor, um sie in neue Rituale zu
verstricken.
Zeitlos vereint
Die Uneindeutigkeit seiner Ideen
ist zweifellos eine Magiequelle seiner Arbeiten. Er ist der Bilder malende
Regisseur, der assoziative Gestalter szenischer Gemälde, deren Charisma aus
dem Poetischen ebenso schöpft wie aus dem Drastischen. Dass er in Tannhäuser
die Handlung durch Choreografien und Wiederholungsaktionen doppelt, lässt
allerdings die Hauptfiguren – besonders im zweiten Akt – zu oratorial
wirken. Das ist der eigenartige Teil dieser Inszenierung, die natürlich
schöne Rätselaktionen präsentiert: Eine größer werdende Gruppe von Amazonen
schießt zur Ouvertüre Pfeile auf ein abgebildetes Auge. Das Männermilieu der
Minnesänger wirkt wie aus zenbuddhistischen Mönchen gebildet. Wenn es für
sie ans Singen geht, liegen alle rund um einen Kubus, als müsste Meditation
dem Vortrag vorausgehen.
Natürlich, nur Tannhäuser kann nicht still
liegen. Er bewegt sich unruhig, noch bevor er zum Loblied auf den Genuss
ansetzt. Jonas Kaufmann gerät nur kurz in Grenzbereiche hörbarer
Anstrengung. Er ist im Grunde aber der souveräne Tenor, der die Rolle des
Gespaltenen eindringlich und mit gewohnt flauschigem Timbre umsetzt.
Überragend als Wolfram von Eschenbach Christian Gerhaher. Er präsentiert
sich als der famose lyrische Bariton, der im dritten Akt die szenische
Melancholie und Resignation auch in liedhaft detaillierter Intimität zum
Ausdruck bringt.
Zugleich besitzt Gerhaher das nötige Volumen, um das
Dramatische klangsatt und ohne forcierte Momente zu erwecken.
Tolle
Stimmen
Georg Zeppenfeld vollendet die Starbesetzung: Als Hermann,
Landgraf von Thüringen, zelebriert er eine edle Mischung aus klarer Diktion,
Kultiviertheit und Robustheit. Intensiv wirkt Marlis Petersen als Elisabeth.
Sie überzeugt durch eindringliche Dramatik, während Emma Bell (als Venus
statt Elīna Garanča) solide bleibt.
Im ersten Jahr der alleinigen
Intendanz von Nikolaus Bachler sind statt Christian Thielemann und der
Staatskapelle nun Andris Nelsons und sein Gewandhausorchester Operngäste.
Nelsons tendiert zu den dunklen, schwermütigen Aspekten des Werkes. Seinem
Orchester entlockt er Klangpracht und zierliche Details, die auch in der
Entschleunigung sehr präsent wirken.
Seltsam bleibt natürlich bei
aller Qualität: Warum ausgerechnet wieder Castellucci zu Ostern, der im
Sommer schon sehr präsent war? Warum nicht etwas ganz Neues von ihm? So
begann das ach so neue Festivalkonzept des Osterfestivals mit einer Arbeit,
die Intendant Nikolaus Bachler von sich selbst borgte. 2017 war er ja noch
Leiter der Bayerischen Staatsoper. Im Großen und Ganzen gab es am Samstag
Zustimmung. Und seltsame Einzelbuhs für Petersen und Nelsons.
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