Verdi: Otello, Wien, Staatsoper, ab 25. Oktober 2023
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„Otello bei Vollmond“
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Nach der Vorstellung wurde das Publikum von einer partiellen Mondfinsternis
begrüßt, einer sehr „schmächtigen“ zwar, aber immerhin. Die Luft war klar,
der Erdtrabant glänzte in weißsilbrigem Licht, und ein kleines Stück
Finsternis nagte an ihm wie die Eifersucht an Otellos krieggestählter Seele.
Mit solchen astronomischen Spektakeln ist eine Aufführung an der Wiener
Staatsoper natürlich nicht zu vergleichen, selbst dann, wenn ein Sänger auf
der Bühne steht, der unter den Opernstars unserer Epoche zu den leuchtenden
„Fixsternen“ gezählt wird. Und beim Wiener Rollendebüt von Jonas Kaufmann
als von Eifersucht zerfressenem venezianischem Feldherrn handelt es sich
demgemäß um einen ganz wichtigen „Fixsternpunkt“ im Spielplan der aktuellen
Staatsopernsaison. Vier Vorstellungen sind angesetzt, das Wiener Rollendebüt
des Sängers ist bereits am Mittwoch über die Bühne gegangen, nachstehend
wird von der zweiten Vorstellung berichtet.
Jonas Kaufmann scheint
sich eine Interpretation des Otello angeeignet zu haben, die gängige
Erwartungshaltungen unterläuft. Den löwengleichen Kämpfer hat Kaufmann unter
einer tiefen Schichte an Selbstzweifeln begraben. Der Feldherr, zu dem
Desdemona aufschauen sollte, ist bereits im ersten Akt ein von Kampf und
Leben traumatisierter Mann, der in den Armen seiner Geliebten vor allem
seelischen Trost zu suchen scheint. Aber die Deformierung von Otellos
schlachtenerprobter und am militärischen Ehrenkodex ausgerichteter
Persönlichkeit bedarf in dieser Sichtweise eigentlich keiner minutiös
geplanten Intrige mehr.
Natürlich hat sich Kaufmann dieses „Konzept“
sehr gut zurecht gelegt, wusste er in Schlüsselmomenten wie dem Finale des
zweiten Aktes mitzureißen – oder am Schluss der Oper mit einem
schluchzendgestammelten „Desdemona“ zu berühren. Das Publikum spürte sehr
genau die ganze Tragik eines verpfuschten Menschenlebens. Aber hat es sich
bei diesem bitteren Ende auch an Otellos verlorenen Ruhm und an seine
verlorene Ehre erinnert? Kaufmanns Otello tötet sich aus Verzweiflung, nicht
um seine Biographie mit einem konsequenten „Statement“ abzuschließen. Damit
fehlt letztlich die theatralische Überhöhung, die diesem Bühnencharakter
seine „unsterbliche“ Beispielhaftigkeit verleiht.
Demgemäß erwies
sich der erste Akt als der große Schwachpunkt von Kaufmanns
Otello-Interpretation: Otellos legeres Auftreten, sein quasi „Schutzsuchen“
in den Armen Desdemonas minderte seine Autorität und machtbewusste
Lebensgewandtheit mit der er das Kriegsvolk einschüchtern und leiten müsste,
mit der er Desdemona in Venedig durch das Erzählen seiner Abenteuer einst
für sich entflammt hat. Damit fehlte der Aufführung aber die Grundspannung
dramaturgischer Notwendigkeit. Jago bohrte an einem zu dünnen Brett und die
schicksalshafte Fallhöhe von Otellos Charakter blieb ausgespart.
Kaufmanns Stimme hält allerdings nicht diesen hellen Spintostahl bereit, mit
dem sie zum Beispiel ein sieghaftes „Esultate!“ erstrahlen lassen könnte. Es
erklang zwar kraftvoll, aber mehr mit der „Breitseite“ seines dunkelfülligen
Tenors abgefeuert und segelte ein wenig träge ins Auditorium, ohne dabei so
aufzuglühen wie es noch vor einigen Jahren wahrscheinlich der Fall gewesen
wäre. Insgesamt schien mir die Stimme nach den vom Sänger in der
Öffentlichkeit kommunizierten gesundheitlichen Herausforderungen der letzten
Monate noch nicht ganz erfrischt und etwas glanzlos im Timbre. Bei aller
Differenziertheit im Einsatz seiner Stimmmittel (so manches auf mich
manieriert wirkendes, resonanzarmes Piano eingeschlossen) blieb der
Gesamteindruck wegen der aufgezeigten Gründe dann doch zu „weichgespült" und
eindimensional.
Ludovic Tézier ist der abgrundtiefe Nihilismus des
Jago fremd, das Böse ist ihm noch nicht zur Ideologie geworden, und er
scheint sich der Intrige mit spielerischem Amüsement zu stellen. Das „Credo“
wird ihm zu einem spöttisch unterlegten Monolog, die Erzählung von Cassios
Traum zur köstlich ausgezierten Heuchelei. Sein Jago könnte als Figur einem
Roman von Honoré de Balzac entsprungen sein (um im Kulturkreis des
französischen Baritons zu bleiben) und gehört in seiner Ausformung noch
einer romantischen Epoche an. Dieses Rollenbild passt sehr gut zu Téziers
Bariton, der von ihm nobel und differenziert geführt wird, und der auch
genug Kraftreserven bereithält, um der Partie gerecht zu werden.
Wie
Ludovic Tézier den Jago so hat Rachel Willis-Sørensen die Desdemona bereits
vor zwei Jahren an der Staatsoper gesungen. Ihr kräftiger, leicht
metallischer Sopran besitzt ein für die Rolle passendes Timbre und immer
noch genug Innigkeit und Gestaltungsgabe für den vierten Akt. Unschuldige
Opferdemut hat sie keine hervorgerufen, insofern war ihre Desdemona weniger
Engel, sondern mehr stattliche, selbstbestimmte Bürgersfrau (ein Eindruck,
den diese in Summe ziemlich unbedeutende Inszenierung von Adrian Noble
verstärkt, die die Handlung im britischen Empire des 19. Jahrhunderts
ansiedelt).
Die übrigen Mitwirkenden waren gut gewählt und so ergab
sich eine ansprechende Ensembleleistung, etwa der Cassio von Bekhzod
Davronov als militärischer „Schöngeist“ oder Szilvia Vörös als im Finale
kraftvoll Otellos Wahn entlarvende Emilia. Alexander Soddy am Pult
gestaltete den Abend mit gutem Tempo und mit Gefühl für Details, im Klang
etwas trocken und grell. Der Sturm am Beginn wurde wirklich zum Sturm und
der Chor schonte sich nicht, was den Lautstärkepegel Richtung Schmerzgrenze
trieb. Die Liebesszene im ersten Akt hätte mehr Schmelz gut vertragen, das
Intrigenspiel Jagos wiederum spiegelte sich passend in manch ironischem
Orchesterkommentar.
Das Publikum spendete fünfzehn Minuten langen
Schlussapplaus – gegen Ende schon ausgedünnt und von Fangrüppchen wach
gehalten, aber immerhin. Ein Fixstern bleibt eben ein Fixstern – um noch
einmal der eingängigen Metapher wegen in astronomischen Sphären zu wandeln.
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