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Der Merker, 28.10.2023 |
Thomas Prochazka |
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Verdi: Otello, Wien, Staatsoper, ab 25. Oktober 2023
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OTELLO – durch die Besetzung der männlichen Hauptpartien eine überzeugende Vorstellung.
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Ein musikalisch gewaltiger Sturm vor Zypern. Aber trocken: keine Gischten.
Die die Ankunft des Schiffes mit Bange Erwartenden tragen keine Schirme.
(Soetwas gibt es.) Otello erscheint bei Adrian Noble (Regie) und Dick Bird
(Bühnenbild und Kostüme) trockenen Fußes in winterweißem Gewande; mit
wehendem Mantel. Überhaupt, die Kostüme: ein Kuddelmuddel aus
unterschiedlichsten Epochen. Vorgeblich 1910; — denn damals stand Zypern
unter venezianischer Herrschaft. Zumindest in McVicars Geschichtsbuch. (Eine
seltene Ausgabe.) Und weil es ziemlich kühl ist im Mittelmeer (und immerzu
dunkel), trägt der Chor schwarz.
II. Intermezzo: Otello ist in
dieser Produktion nicht dunkel geschminkt; unkenntlich als Araber oder
Muselmann. Erstens: Das liefe dem selbst beschworenen Zeitgeist zuwider.
Zweitens: der ach so fortschrittlichen Fraktion von
Kultur-Feuilletonist*Innenden, welchen auch beim besten Willen keine
fundierte kritische Arbeit nachzuweisen ist. Drittens: Es wäre unwoke. (Das
kann ich nicht ab, spricht der Norddeutsche.) Jenes armselige Häuflein der
Gutmensch*Innenden läßt sich auch nicht durch die Tatsache von seiner
irrigen Ansicht abbringen, daß Theaterspiel und Oper Verstellung und
Kostümierung bedeuten. Die Forderung nach der Geste ersetzt die Tat. Oder,
um George Bernhard Shaw zu paraphrasieren: Der Unterschied zwischen Menschen
verschiedener Hautfarben und Religionen ist nicht ihr Aussehen oder ihr
Glauben, sondern wie man sie behandelt. — Kurzum, Iagos Worte Benchè finga
d’amarlo, odio quel Moro. laufen auch an diesem Abend ins Leere…
III.
Eine Intrige. Nun, eigentlich zwei. Der adelige Roderigo grollt, daß
Desdemona Otellos Weib wurde. Und nicht seines. Hab’ Dich nicht so!, will
man ihm zurufen, Du wirst darüber hinwegkommen. Andere Mütter haben auch
schöne Kinder. Doch dann erläge Roderigo nicht Iagos Verlockungen; — und wir
hätten keinen Otello, dafür aber ein Problem.
Otello ist eine Oper
der Prinzipien. Anderswo suchte Verdi den Menschen und dessen Schicksal in
seiner Stellung in der Gesellschaft: Violetta, Giorgio Germont, der Conte di
Luna, Simon Boccanegra sind zuallerst Liebende, Vater, Bruder,
Eifersüchtige … In Otello gibt es nur einen Menschen: Otello. Iago
verkörpert das Prinzip des Bösen. Desdemona ist ein Typ. Sie ist das Modell
der Güte, der Resignation, der Selbstaufopferung. […].1 Alle anderen — sind
Staffage.
IV. Otello funktioniert also nur mit einem Otello.
Diesmal — streng genommen das erste Mal seit der Première dieser Produktion
— war einer zur Hand. Jonas Kaufmann gab sein Wiener Rollen-Debut als Mohr
von Venedig.2 Investierte all seine sängerische Intelligenz und
jahrzehntelange Erfahrung in diese Partie. Avancierte zum Zentrum des
Abends.
Der Wahl-Salzburger weiß freilich um die ihm heute nur mehr
eingeschränkt zur Verfügung stehenden vokalen Mittel. Er weiß aber auch um
die Macht intensiven Spieles und gesanglicher Differenzierung. Er weiß, wo
Zurücknahme der Stimme dem Rollen-Portrait nicht schadet und wo die
Mobilisierung der letzten Reserven erforderlich ist. Sein Esultate klang
kraftvoll, mit abgedeckten Spitzentönen — doch heiser bzw. » luftig «.
Desgleichen die Höhen im Liebesduett des ersten Aktes. Das Duett mit dem
Iago des Ludovic Tézier im Finale des zweiten Aktes geriet zum Höhepunkt des
Abends. Kaufmann erfreute mit durchwegs gelungener Phrasierung. Der gaumige
Klang, der seiner Stimme ab dem passaggio in der Vergangenheit anhaftete,
fiel diesmal nicht störend auf. Erkauft wurde dies um den Preis stimmlicher
Intensität und nicht mit vollem Klang strahlender Höhe. Einmal nur, in der
letzten Szene, stellte sich jener volle, sonore Ton ein, der Kaufmann in
seiner Glanzzeit als ersten Sänger auswies. Jenen, der ihm, fast schien es,
mühelos, vor Jahrzehnten den Zugang zu den großen Opernbühnen dieser Welt
öffnete.
V. Ludovic Tézier kehrte als Iago wieder. Er ist kein
Verdi-Bariton. Doch da diese Spezies ausgestorben scheint, müssen wir uns
wohl oder übel mit dem zufriedengeben, was als » führende Rollenvertreter «
(so heißt man das heute im Marketing-Sprech der Dramaturgen) zur Verfügung
stehen. Tezier hatte seine besten Momente im Finale des zweiten Aktes; — und
im dritten. Auch spielerisch präsent im Zusammenwirken mit Jonas Kaufmann,
gelang gesanglich vieles, wenngleich nicht alles. (Nach heutigen,
verkleinerten Maßstäben.) Dem Credo in un Dio crudel gebrach es allerdings
an der Innenspannung; am stimmlichen Gewicht. Und so manche Höhe ward nur
mit Anstrengung erreicht. Tézier war einmal mehr ein (zu) nobler Iago; auch
musikalisch.
VI. Kein Wunder, daß Rachel Willis-Sørensen, die
Desdemona des Abends, gegenüber den beiden Herren abfiel. Mochte sie
seinerzeit gegenüber Gregory Kunde bestehen: Gegen die Zeit und die
darstellerische und gesangliche Intensität Kaufmanns war kein Mittel zur
Hand. Das liegt vor allem in der Höhenzentrierung von Willis-Sørensens
Stimme, deren untere Stimmfamilie kaum mehr abrufbar scheint. Darunter
litten die obere Mittellage und die Spitzentöne. Zusätzlich störte bei
länger zu haltenden, höheren Tönen jenes langsame Vibrato, welches von
fortgesetzter stimmlicher Überforderung und falscher Balance kündet. Seltsam
uninspiriert und wie nebenher absolvierte diese Desdemona ihr Lied von der
Weide und das Ave Maria.
VII. Die Emilia der Szilvia Vörös
bestätigte einmal mehr den schon länger schlummernden Verdacht, daß auch
dieser Sängerin der verbindende Zugriff auf die untere Stimmfamilie
zunehmend abhanden kommt. Bekhzod Davronov, Cassio des Abends und » zweiter
Preisträger bei (sic!) Operalia-Wettbewerb 2021 « (so das Programmheft des
Hauses), wird erkennen, daß zwischen dem Abliefern einer Arie und der
gesanglichen Gestaltung einer — wenn auch kleinen — Partie Unterschiede
bestehen. Und daß das Zweite weitaus schwieriger ist als das erste; vor
allem stimmlich. Ted Black, Mitglied des Opernstudios, agierte als Roderigo
in Gesang wie Darstellung unauffällig.
VIII. Alexander Soddy
leitete erstmals eine Otello-Vorstellung am Pult der Wiener Staatsoper. Er
zeichnete zusammen mit dem Orchester und dem Chor der Wiener Staatsoper für
eine durchaus differenzierte und kurzweilige Wiedergabe der Partitur. Da
war, zum Beispiel in den Genre-Szenen des ersten Aktes, manch orchestrale
Feinheit zu erlauschen. Soddy ließ differenziert und auch nicht zu laut
spielen.
IX. Dieser Abend: keine Sternstunde. Doch, nehmt nur
alles in allem, eine durch die Besetzung der männlichen Hauptpartien
überzeugende Vorstellung. Mit Jonas Kaufmann als intelligentem
darstellerischen und stimmlichen Zentralgestirn.
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