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Online Merker, 31.12.2022 |
Ursula Wiegand |
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Jahresabschlusskonzert, Berlin, Philharmonie, ab 29.12.2022
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SILVESTERKONZERT DER BERLINER PHILHARMONIKER mit Kirill Petrenko und Jonas Kaufmann |
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„Unter der Sonne Italiens“, wie es im Programmheft heißt, hat manche
Besucherinnen und Besucher vermutlich Fröhliches erwarten lassen, doch eher
das Gegenteil ist zunächst der Fall. Alle Arien, bis auf die Zugabe,
beschätigen sich mit dem Tod.Also beginnt dieses Konzert mit der Ouvertüre
zu Giuseppe Verdis „La forza del destino“. Doch hinter den wohlbekannten,
eher melancholischen Melodien zeigt sich sehr bald „die Macht des
Schicksals“, auch wenn Petrenko an den passenden Stellen mal munter auf dem
Podium hüpft. Zumeist dominiert gestraffter, aber perfekt gebotener Ernst.
Noch mehr gilt das für Kaufmanns erstes Solo, das bekannte und von den
größten Tenören gesungene „La vita è inferno all’infelice . Oh, tu che in
seno agli angeli“, einer Szene des Alvaro. Und diejenigen, die wussten, dass
er in Wien bei „Andrea Chénier“ und kürzlich in der Zürcher „Tosca“ als
Cavaradossi aus Gesundheitsgründen nicht an allen Abenden singen konnte,
haben sicherlich mit Bangen seinem Silvester-Einsatz in Berlin entgegen
gesehen.
Am ersten Abend, dem 29.12., waren wohl den Berichten
zufolge noch einige Einschränkungen zu hören. Doch am zweiten Abend, dem
30.12., fallen sie nicht mehr ins Gewicht.
Kaufmann dreht zunächst,
so scheint es, nicht voll auf, was aber gut zu den ausgewählten Arien passt,
die übrigens alle einen tragischen Inhalt haben. Diese aber sind beliebt,
hat doch das Dahinscheiden fast alle Komponisten zu Höchstleistungen
animiert, und bei den Interpreten ist es ähnlich.
Kaufmann bringt
also das „La vita è inferno all’infelice“ , mal zart, mal kräftig und mit
feinen Steigerungen. Auch die hohen Töne zum Schluss gelingen einwandfrei.
Beim Beifall strahlen beide, Petrenko und Kaufmann. Sie haben in München
jahrelang miteinander gearbeitet und erweisen sich hier deutlich als Team.
Auch die Philharmoniker/innen lauschen Kaufmanns Darbietungen mit großem
Interesse.
Danach ist gleich der Komponist Riccardo Zandonai
(1883-1944) an der Reihe mit seiner Version von Giulietta e Romeo. In dem
gewählten Stück „Giulietta! Son io!“ steht der verzweifelte Romeo am Sarg
der angeblich toten Julia. Einfühlsam gestaltet Jonas Kaufmann Romeos Liebe
sowie dessen Schmerz und Verzweiflung, ohne larmoyant zu werden. Zuletzt
strahlt er glücklich, weil ihm auch das gut und überzeugend gelungen ist.
Doch bei Sergej Prokofjew und seiner „Romeo und Julia Suite 1“ weht
unter Petrenkos Händen ein ganz anderer Wind. Das Tragische und Unsinnige
dieser Familien-Fehde wird hier bei Tybalts Tod sehr deutlich thematisiert
und von den Berliner Philharmonikern gestochen gespielt.
Im zweiten
Teil kommen Umberto Giordano (1867 – 1945) mit „Andrea Chénier“ und des
Titelhelden Arie „Colpito qui m’avete…Un di all’azzurro spazio“ zu Wort.
Kaufmann singt ein schönes Legato, bringt auch viele Farben in diese
Klage und nicht erst hier fällt auf, wie er den Inhalt jeder Arie mit Mimik
und Gesten zusätzlich gestaltet. Die hohen Töne sitzen, und die Steigerungen
zum Schluss werden mit dem bisher stärksten Beifall bedacht. Jetzt haben sie
zueinander gefunden, der uneitle Startenor und das Publikum.
Doch
diese Leistung lässt sich noch toppen – durch Pietro Mascagnis „Cavalleria
rusticana“: Beim Intermezzo könnten und möchten sicherlich viele gerne
mitsingen. Hier lockert Petrenko die Leine. Doch weiter geht es mit
„Mamma, quel vino è generoso“, der Abschiedsszene zwischen Turiddu und
seiner Mutter. Wie unterschiedlich Kaufmann das Wort „Mama“ einfärbt, lässt
sofort aufhorchen und ebenso die Vorausahnung des von Turiddo erwarteten
Todes. Das wird zum Highlight des Abends.
Jetzt explodiert der
Publikumsjubel, und Bravos sind zu hören. Petrenko und Kaufmann umarmen
sich, nicht das erste Mal, und strahlen vor Glück. Gemeinsam haben sie,
trotz eines kurzen Hüstelns nach zwei Arien, eine großartige Leistung
erbracht.
Es folgt noch das einstige Wunderkind Nino Rota
(1911-1979), der die Musik zu mehr als 60 Filmen komponierte, u.a. für La
Strada. Die Auszüge aus der Orchestersuite bringen Petrenko und die Seinen
flott, rhythmisch und teilweise lustig. Die Blechbläser brillieren
besonders, und die nun gelöste Stimmung wird durch Peter Tschaikowskys
„Capriccio italien“ mit seiner Tarantella-Einschüben weiter angeheizt. Denn
immer ernst – das geht auch nicht.
Weil alles bisher so gut gelungen
ist, gibt es noch zwei Zugaben, die nicht im Programm standen. Jonas
Kaufmann singt noch ein leise-inniges Liebeslied, das „Parla piu piano“ aus
Nino Rotas Filmmusik zu „Der Pate“.
Schließlich summen und brummen
sogar Dmitri Schostakowitschs „Die Hornissen/ Die Stechfliegen“ munter und
witzig durch den großen Saal. Ein Ass, das auf seine Art sticht und das
Publikum in Begeisterung versetzt. Schostakowitsch, der Vielgeplagte und vom
Regime Drangsalierte wusste sich auf seine Art auch zu helfen. Vielleicht
sollten wir uns daran ein Beispiel nehmen.
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