|
|
|
|
|
Frankfurter Rundschau, 22.08.2022 |
Von: Judith von Sternburg |
|
Konzert, Wiesbaden, 21. August 2022
|
Jonas Kaufmann in Wiesbaden: Schaut her, er ist’s |
|
Rheingau Musik Festival: Jonas Kaufmann und Rachel Willis-Sørensen
beim großen Freiluftkonzert vor dem Wiesbadener Kurhaus. |
|
Das sind so die Abende, an denen einmal alles andere weggelassen wird.
„Schaut her, ich bin’s“, singt Tonio, „Lache, Bajazzo“, singt Canio, „Man
nennt mich nur Mimi“, singt Mimi, „Weine nicht, Liu“, singt Calaf, und alles
bleibt ohne arge Folgen. Und die deutschen Titel fallen einem ein, weil auf
den Kassetten noch Deutsch gesungen wurde, mit denen raffinierte Erwachsene
einst Kindern den Weg zur Oper wiesen. Wer oft genug gehört hat, dass die
Sterne blitzten, sie hereinkam wie eine Göttin und er jetzt in Verzweiflung
stirbt, dem bleibt zwar der „süßen Küsse schwelgerisches Kosen“ suspekt, der
wird aber dennoch bald wissen wollen, was davor geschah und wie es
weiterging.
Das ist eine Abschweifung. „E lucevan le stelle“ stand
nicht auf dem Programm, sonst aber alles, und auch Jonas Kaufmann erinnerte
sich daran, dass die Arie „Vesti la giubba“ aus Leoncavallos „Pagliacci“
früher „Lache, Bajazzo“ genannt wurde. Ein Abend nur mit Höhepunkten, ein
sagenhaftes Zuviel, auch an Gefühlen und riesigen Schlusstönen (was auf den
Kassetten dezent ausgeblendet wurde). Aber die Oper hat ihrem opulenten
Wesen nach nichts dagegen einzuwenden. Die einen denken sich den Rest des
Dramas dazu, die anderen können bei dieser Gelegenheit die Oper kennen und
lieben lernen, wie Kaufmann es sich in einem Vorabinterview auch vorstellte.
Man muss hinzufügen: Sofern sie die gesalzenen Kartenpreise zahlen können,
wobei die Meinungen darüber auseinandergingen, wie viel die Zaungäste auf
der anderen Seite des Weihers hörten.
Die Stadt seiner Träume Für
2020 geplant, wegen Corona verschoben: Der Tenor Jonas Kaufmann trat beim
Rheingau Musik Festival in der Orchestermuschel vor dem Wiesbadener Kurhaus
auf und sang einen Opernhit nach dem anderen, nach der Pause dann einen
Operettenhit nach dem anderen, aber „O sole mio“ sang er nicht. Nur Ralph
Erwins „Ich küsse Ihre Hand, Madame“ mischte sich ins Programm und in die
Perlenreihe der Zugaben noch Rudolf Sieczynskis „Wien, du Stadt meiner
Träume“.
Hinter Kaufmann das sympathisch gutgelaunte WDR
Funkhausorchester unter der Leitung von Jochen Rieder, an seiner Seite die
amerikanische Soprankollegin Rachel Willis-Sørensen, die auch auf dem
Kaufmann-Album „Wien“ (2019) zu hören ist. Die beiden sind eingespielt,
walzen, was der Raum hergibt, und wenn Kaufmann im Duett „O soave fanciulla“
aus „La Bohème“ falsch abgehen will, zieht Willis-Sørensen ihn fix in die
richtige Gasse.
Wunderbar aber sind vor allem die Stimmen zusammen,
beide Großmächte ihres Fachs, zu seinem dunklen Timbre passt die goldene
Färbung ihres luxuriösen Soprans, der vor allem in mittlerer Lage leuchtet.
Kaufmann imponiert wieder damit, dass er einerseits immer etwas baritonal
klingt – und tatsächlich mit der „Bajazzo“-Prolog-Arie des Baritons Tonio
startete, aber nur, weil er sie so möge, betonte er, einen Fachwechsel habe
er keineswegs im Sinn. Andererseits steht er die Spitzentöne wie eine eins.
Er verschwendet sich nicht, ist keiner, der den Eindruck macht, alles gleich
noch einmal singen zu können, aber was er singt, singt er aus und singt er
groß. Ganz selten muss er ein bisschen Druck machen, nie patzt er, das von
der Nachbarin herbeigesehnte und in den Zugaben platzierte „Nessum dorma“,
vormals „Keiner schlafe“, sitzt wie angegossen. Er ist dazu ein lustiger,
entspannter Moderator. Das Publikum: sehr glücklich und immer glücklicher.
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|