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BR Klassik, 08.08.2022 |
von Bernhard Neuhoff |
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Liederabend, Salzburg, 7. August 2022
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Liebeslieder und Klatschunterricht
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Das Kunstlied hat's schwer: Liederabende, vor 50 Jahren noch eine der
populärsten klassischen Konzertformen, verkaufen sich seit langem meist nur
schleppend. Völlig anders ist das, wenn Jonas Kaufmann auftritt. Bei den
Salzburger Festspielen sang er, begleitet von Helmut Deutsch, romantische
Liebeslieder vor ausverkauftem Haus. Liegt ihm das?
Das Große
Festspielhaus hat 2.179 Sitzplätze und eine 30 Meter breite Bühne im
CinemaScope-Breitwandformat. Ist dieser 900 Quadratmeter umfassende
Riesensaal der richtige Ort für geflüsterte Liebesgeständnisse? Ein
Liederabend ist etwas Intimes. Schließlich geht es um Lyrik, feinste
Zwischentöne und Konzentration ohne Ablenkung. Und leider – aber das ist ein
Missverständnis – hat diese Konzertform auch ein leicht elitäres Image.
Jonas Kaufmann definiert sie etwas anders. Auf eine unangestrengte und
absolut stimmige Weise macht er aus dem Liederabend – in diesem Fall müsste
es eigentlich Liedernachmittag heißen – etwas im besten Sinne Populäres. Und
das, ohne den Liedern, diesen empfindlichen Gebilden, irgendetwas zuzumuten,
was ihnen unangemessen wäre.
Lieder sind keine Miniopern
Zusammen mit seinem langjährigen Liedbegleiter und Berater Helmut Deutsch
hat er zwei Programmhälften mit romantischen Liebesliedern zusammengestellt.
Die erste Hälfte ist bunt: Von Beethovens "Adelaide" geht es über Schumann,
Brahms und Grieg bis Strauss. Nach der Pause gibt es dann ausschließlich
Franz Liszt. Dessen Lieder sind relativ wenig bekannt, obwohl er in diesem
Genre einige seiner schönsten und inspiriertesten Stücke komponiert hat. Von
Opernsängern, die gelegentlich auch mal Liederabende geben, ohne dass sie
sich darauf spezialisiert haben (und genau so einer ist Jonas Kaufmann),
hört man manchmal die Behauptung, Lieder seien ja eigentlich kleine
Miniopern. Das ist natürlich falsch. Opern erzählen Dramen mit verteilten
Rollen. In Liedern geht es um etwas völlig anderes: um Lyrik, um Gedichte,
nicht um Rollenspiel.
Kaufmann, der Kommunikator
Jonas
Kaufmann setzt zwar seine Stimme gelegentlich opernhaft ein – allerdings
nur, wenn dies auch von den Komponisten so angelegt ist. Aber er beachtet
immer mit feinem Gespür die Grenzen der Gattung. Ganz natürlich steht er da,
ohne jeden Anflug von Schauspielerei lässt er Musik und Gedicht für sich
sprechen. Und er schöpft seine dynamischen Möglichkeiten voll aus: Mit
seinem mächtigen Forte imponiert er gern ein bisschen, was bei diesem
Repertoire völlig in Ordnung geht – Liszt schreibt eben extrovertierter und
opernnäher als Schubert. Aber Jonas Kaufmann geht auch in ein
atemberaubendes Pianissimo zurück – und zwingt das oft ziemlich unruhige
Publikum, mucksmäuschenstill zu sein. Was diesem nicht immer ganz gelingt.
Als zwischen zwei Liedern Nachzügler geräuschvoll in den Saal kommen,
ergreift Kaufmann die Gelegenheit und wendet sich ans Publikum. Er bedankt
sich für den vielen Applaus – und bittet darum, doch möglichst nicht nach
jedem Lied zu klatschen. Er sagt das sehr wertschätzend, nicht belehrend.
Und fast immer geht es dann auch gut. Nur vereinzelt wird von ganz
enthusiastischen Fans doch noch mal in den Anfang des nächsten Liedes
hineingeklatscht.
Der Text ist bei Kaufmann mühelos verständlich
Was wirklich schade ist, denn Kaufmann singt nach wie vor sehr
kultiviert. Natürlich spürt man ständig, dass diese Stimme eigentlich für
die große italienische Oper und die mittelschweren Wagner-Partien gemacht
ist. Aber Kaufmann verfügt in der hohen Lage über ein sehr gut gestütztes
Piano. Sein Kopfregister klingt körperhaft und natürlich. Gewisse Probleme
in der Höhe gibt es allerdings bei mittlerer Lautstärke. Denn dann nimmt er
die Bruststimme mit nach oben, was Kraft kostet und nicht immer rund und
entspannt klingt.
Fantastisch ist die mühelose Textverständlichkeit.
Ohne die geringste Konsonantenspuckerei ist auch über die erheblichen
Distanzen dieses Riesensaales jedes Wort präsent. Helmut Deutsch am Flügel
scheint jede spontane Regung seines Sängers vorauszuahnen – manchmal wirkt
es, als würde er schon eine Zehntelsekunde vorher wissen, was der gleich
machen wird. Ja, romantische Kunstlieder sind eine der schönsten und
emotionalsten Formen, Musik zu machen. Und die Konzentration, die das
fordert beim Singen, Spielen und auch beim Hören, wird reich belohnt. Jonas
Kaufmann gelingt es auf überzeugende Weise, ein wirklich großes Publikum
dafür zu begeistern. Schon allein dafür hat er dessen Jubel verdient.
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