Klassik begeistert, 13. August 2022
Herbert Hiess
 
Beethoven: Fidelio, Gstaad und Grafenegg, August 2022
Beethovens Freiheitsoper begeistert als musikalischer Höhenflug
Wenn man sich die regiemäßigen Katastrophen der letzten Zeit (nicht zuletzt im aktuellen Ring von Bayreuth) zu Gemüte führt, muss man froh sein, endlich einmal eine „normale“ Produktion einer der wichtigsten Opern der Musikgeschichte erleben zu können. Hier wurde exemplarisch bewiesen, wie ausdrucksvolle Texte, die von Peter Simonischek gesprochen wurden, diesem Werk weit mehr Dramatik verleihen können als so manch hilflose Regie.

Walter Jens hat mit seinem Werk „Roccos Erzählung“ (1985 erschienen) eine dramaturgische Unterlage, die schon seit längerer Zeit bei konzertanten Aufführungen verwendet wird. Hier in Grafenegg adaptierte Simonischeks Gattin Brigitte Karner die Texte auf ein podiumsgerechtes Format. Letztlich wird mit diesen Texten nicht nur die Dramaturgie der Oper erklärt, sondern sie wirft ein spezielles Bild auf Marzellines Vater Rocco, der nicht zuletzt ein Systemling und Mitläufer war, der seine Tochter für einen Bettel verkauft hätte. Insofern wurde die Partie großartig dargestellt und ebenso großartig gesungen von dem Bassisten Andreas Bauer Kanabas.

Musikalisch war die Produktion ein großer Wurf – auch wenn sie „traditionell“ gespielt wurde. Dafür klang die Ouvertüre dann harmlos. Aber das steigerte sich nach und nach; insgesamt wurde die Oper kammermusikalisch gespielt; das Orchester war insgesamt Spitzenklasse. Man könnte jetzt jeden Musiker einzeln hervorheben; stellvertretend für alle den denkwürdigen Oboisten und den exzellenten Solohornisten. In der Stretta von Florestans Arie „In des Lebens Frühlingstagen“ setzte sich der Oboist ein musikalisches Denkmal.

Das führt uns sogleich zu dem Protagonisten des Abends Jonas Kaufmann (wegen dem wahrscheinlich die meisten Leute gekommen sind). Er begann seinen Auftritt („Gott, welch dunkel hier“) mit einem sanften Pianissimo, das er bis zum Fortissimo steigerte. René Kollo führte diese Pianissimo-Tradition 1978 unter Leonard Bernstein ein, die jetzt mit Kaufmann eine würdige Fortsetzung fand.

Sängerisch waren alle anderen Solisten überdurchschnittlich gut; auch muss man Frau Campbell-Wallace besonders loben, die als Einspringerin die mörderische Partie der Leonore mit Bravour bewältigte. Auch wenn sie nicht an die ins Gedächtnis eingebrannten Vorbilder herankam (Gundula Janowitz unter Bernstein, Hildegard Behrens unter Karajan usw.) – ihre Leistung war ausgezeichnet.

Über Jonas Kaufmann braucht man sowieso nichts schreiben (außer dass seine sängerische Leistung ein Gesamtkunstwerk von Stimmführung und Diktion ist) und die anderen Herren und Frau Landshammer waren ebenbürtige Interpreten.

Dirigent Jaap van Zweden war in klassischer Hinsicht ein großartiger Dirigent, dem man manchmal vielleicht mehr Mut für mehr klangliche Radikalität gewünscht hätte. So war die Interpretation, wie schon oben gesagt, kammermusikalisch exzellent und bei den dramatischen Stellen doch dann oft zu brav. Van Zwedens Tempowahl war vor allem beim Marsch im ersten Akt auffallend; das war kein Marschtempo mehr, sondern vielmehr eine Joggingpartie. Und obwohl der Chor exzellent sang, hätte der Maestro viel mehr Zwischentöne abringen können; man hatte oft das Gefühl, dass die Leute ein Einheitsforte sangen.

Für Grafenegg war es eine mehr als würdige Festivaleröffnung im 15. Jahr des Bestehens; hier hörte man nicht nur den Weltstar Kaufmann, sondern erlebte neben Spitzen-Solisten erstmals ein wunderbares Orchester.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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