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Online Merker, 30.01.2022 |
Von Manfred A. Schmid
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Peter Grimes, Wiener Staatsoper, ab 26.1.2022
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PETER GRIMES von Benjamin Britten |
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Die Mielitz-Inszenierung von Benjamin Brittens erfolgreichster Oper, seit
einem Vierteljahrhundert verfügbar, hat es bisher nur auf 43 Aufführungen
gebracht. Das ist erstaunlich wenig, denn dieser Peter Grimes hat das Zeug
zu einem fesselnder Psychothriller. Wie hier ein ehrgeiziger Einzelgänger
und gesellschaftlicher Außenseiter an seinen eigenen Ansprüchen scheitert
und von einer bigotten Dorfgemeinschaft – im Sinne einer self fulfilling
prophecy – in den Selbstmord getrieben wird, zerrt an den Nerven des
Publikums und läuft – in seiner unaufhaltsamen Zwanghaftigkeit – wie eine
griechische Tragödie ab. Das liegt nicht zuletzt auch an Christine Mielitz,
die – wie heute auch schon jedes bessere Fischrestaurant – auf jegliche
Anbiederung an idyllische Fischerdorfromantik mit Netzen, Ankern und
dergleichen verzichtet und stattdessen alles in einem weiter nicht
lokalisierbaren, nüchtern-modernistischen Umfeld mit grellen Neonstreifen am
Boden und an den Wände, stattfinden lässt. Nichts lenkt von den sich
zuspitzenden Konflikten ab, die, aus Gerüchten und Spekulationen genährt,
schließlich in einer Katastrophe münden. So kann sich Christine Mielitz voll
auf die handelnden Protagonisten konzentrieren, deren Charaktere sichtbar
machen sowie die von selbstgerechten Aufwieglern gesteuerten Massen und
deren bedrohlich werdenden „Volkszorn“ in Aktion treten lassen. Ein winziges
Boot und ein paar Taue, die einmal über die Bühne geschleppt werden, genügen
ihr vollauf (Bühne & Kostüme Gottfried Pilz). Über allem prangt eine
hellstrahlende Scheibe in wechselnden Farben und Licht: Sonne und Mond
stehen unbeteiligt und unberührt über dem, was immer auf Erden geschehen
mag.
In den letzten Jahren wird in den meisten Produktionen der Oper
das Hauptaugenmerk auf die homoerotische Fixierung der Titelfigur gelegt.
Ein typisches Beispiel dafür lieferte Christoph Loy im Vorjahr im Theater an
der Wien, der deshalb den Schiffsjungen nicht als Kind, sondern als
verführerischen jungen Mann auf die Bühne stellte. Diese Komponente mag zwar
sehr wohl die grundsätzliche Motivation für den Komponisten gewesen sein,
sich dieses Stoffes anzunehmen. Im Libretto ist das allerdings nur
vérschlüsselt angedeutet. Alles bleibt in Schwebe und ungeklärt und – bis
zum bitteren Ende – eben nur ein Gerücht und an keiner Stelle ausgesprochen.
Britten hat sich auch selbst nie als homosexuelle geoutet, daher wäre es
absurd, wenn er dies in dieser für ihn so wichtigen Oper klar auf die Bühne
gebracht hätte: „Als ich Peter Grimes schrieb, ging es mir darum, meinem
Wissen um den ewigen Kampf der Männer und Frauen, die ihr Leben, ihren
Lebensunterhalt dem Meer abtrotzten, Ausdruck zu verleihen – trotz aller
Problematik, ein derart universelles Thema dramatisch darzustellen.“
Was wirklich dahintersteckt, bleibt also im Unklaren. Christine Mielitz
nimmt das ernst. Ihr Peter Grimes ist in erster Linie ein Mann, der als
Fischer ehrgeizige Pläne verfolgt und sich in seinen Aktionen von der
Kollegenschaft abhebt. Je mehr er als versponnen verachtet und unziemlichen
Umgangs mit seinem Schiffsjungen verdächtigt wird, umso mehr will er den
Dorfbewohnern beweisen, was für ein erfolgreicher Fischer er ist. Er träumt
davon, so viele Fische zu fangen, dass er sich endlich ein großes Haus für
sich und seine – künftige – Familie und ein Geschäft leisten kann. Da er
sich in diese Fantastereien immer mehr hineinsteigert, wird er beim Versuch,
sie umzusetzen, rücksichtslos gegenüber dem Buben aus dem Waisenhaus, der
ihm als Helfer zugeteilt wurde. In dieser Inszenierung ist das ein junger,
etwa siebenjähriger Knabe (Ilja Savenko). Für möglicherweise vorliegende
Pädophilie fehlen jegliche Anhaltspunkte.
Jonas Kaufmann bewährt sich
in dieser neuen Rolle nach besten Kräften. Meist in einem ausdrucksstarken
Legato singend, verleiht er den eingestreuten Gefühlsausbrüchen die nötige
Vehement und Schärfe. Überaus anrührend ist die Schlussszene, wenn er, über
den Leichnam des Jungen gebeugt, eine leise, zarte, beklemmend innige
Wehklage anstimmt. Zu einer Paraderolle dürfte diese Partie für ihn nicht
werden, auch wenn sich sein baritonal gefärbter Tenor und das samtige Timbre
als durchaus stimmig erweisen. Am Anfang erscheint er etwas müde, was sich
allerdings bald legt. Eine beachtliche Leistung, wenn man bedenkt, dass
wegen der stimmlichen Anforderungen dieser Partie oft Wagner-Sänger
herangezogen werden.
Dass Kaufmann nicht ganz so stark im Mittelpunkt
der Aufführung steht, ist der imposanten, ungemein bühnenpräsenten dänischen
Sängerin Iise Davidsen geschuldet. Als Witwe Ellen Orford, die sich zu Peter
Grimes hingezogen fühlt, ihm bei seiner zweiten Chance sich zu bewähren zur
Seite steht und sich eine gemeinsame Zukunft durchaus vorstellen kann, sorgt
sie für Aufmerksamkeit, die über das übliche Maße hinausgeht. Ihr lyrischer
Sopran hat eine gewisse Schwere, die dieser Partie gut ansteht. Eindringlich
ihr Schmerz, als sie auf der Weste des Kindes, die gefunden wird, die von
ihr angefertigte Stickerei entdeckt und das Schlimmste annehmen muss.
Bryn Terfel als Balstrode, der einzige Mann im Dorf, der zu Grimes eine
freundschaftliche Beziehung unterhält, verleiht dieser Figur mit seinem
mächtigen und dennoch warmen Bassbariton ein sympathisches Profil. Seine
sorgenvolle Anteilnahme an dessen Geschick klingt wahrhaftig, umso
erschütternder seine Reaktion auf das Scheitern seines Freundes, den er – um
ihn vor der Meute zu schützen – schweren Herzens den Rat gibt, mit dem toten
jungen an Bord hinaus zu rudern und das Boot zu versenken.
Als
Gastwirtin Auntie ist Ensemblemitglied Noa Beinart eine respektgebietende,
resolute Erscheinung, die mit ihren beiden – angeblichen – Nichten (Ileana
Tonca und Aurora Marthens) im Dorf für Ordnung und zwielichtige Unterhaltung
sorgt, die von der Regisseurin auch drastisch dargestellt wird. Umso
fadenscheiniger die moralische Entrüstung, die die Dorfbewohner gegenüber
Grimes an den Tag legen. Rechtsanwalt und Bürgermeister Swallow – die
Hausbesetzung mit Wolfgang Bankl wie stets eine sichere Nummer, und der
geifernde Prediger Bob Boles – skurril und engagiert Thomas Ebenstein,
eingeschlossen.
Skurril und ausgefeilt ist auch der Auftritt von
Stephanie Houtzeel als Mrs. Sedley, eine Witwe, deren Hobby Kriminalfälle
sind, zu deren Lösung sie das Ihre beitragen will. Stimmlich bleibt der
Mezzosopran diesmal allerdings eine Spur zu hintergründig.
Gute
Leistungen bieten zudem Carlos Osuna (Reverend Horace Adams) und Martin
Häßler als Ned Keene. Besonders hervorzuheben ist auch der bestens
einstudierte Chor, der viel zu tun hat und sich bedrohlich mäandernd auf
Peter Grimes zusteuert.
Simone Young zeigt mit ihrer aufmerksamen
Leitung, wie gut sie stets mit dem Geschehen auf der Bühne vernetzt ist und
den Sängerinnen und Sängern den nötigen Raum zur Entfaltung bietet.
Besonders auffallend, vielleicht das gesanglich größte Ereignis des Abends,
ist das Frauenquarttet im zweiten Akt. Die Stimmen schmiegen sich
aneinander, der Gesang ist himmlisch. Wie nahe hier Benjamin Britten der
Musik seines Kollegen Richard Strauss kommt, hat man noch selten so klar
gehört.
Die orchestralen Zwischenspiele – das Brausen des Meeres, der
Stürme und der Gischt und wie der Mensch dagegen ankämpft – gelingen
großartig. Hervorzuheben u.a. die melancholischen, tiefgründigen Klänge der
Solobratsche. Hätte es eines Beweises bedurft, dass die Dirigentin mit Recht
zum Ehrenmitglied es Hauses ernannt wird, hiermit würde er vorliegen. Und
nicht zuletzt hat Simone Young mit ihrer Interpretation gezeigt, dass der
Hauptgrund für die einleitend behauptete These, die Oper sei ein packender
Psychothriller, in der großartigen Musik Benjamin Brittens liegt. Sie ist
es, die die Spannung erzeugt und das Publikum in ihren Bann zieht. Da gibt
es kein Entrinnen. Wieder einmal bewahrheitet sich, was eine Oper ausmacht:
Sie ist dramma per musica. Nicht m i t Musik, sondern d u r c h die Musik!
Begeisterter Applaus.
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