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Wiener Zeitung, 27.01.2022 |
Christoph Irrgeher |
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Peter Grimes, Wiener Staatsoper, ab 26.1.2022
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Ein Charmeur schlüpft in die raue Seebärenhaut |
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Jonas Kaufmann gab an der Staatsoper sein internationales Debüt als Peter
Grimes: eine Attraktion, aber kein überragender Abend.
Die Frequenz,
mit der Benjamin Brittens Fischertragödie "Peter Grimes" (1945) an der
Wiener Staatsoper auf- und abtaucht, erinnert ein wenig an die Hauptfigur
einer anderen Seemannsgeschichte, nämlich an den fliegenden Holländer -
jenen Kapitän also, der sich nur alle sieben Jahre unter Menschen begeben
darf. Vergleichbar selten setzt das Haus am Ring seit den Nullerjahren
seinen "Peter Grimes" an. Es scheint, dass der grimmige Fischermann in Wien
einen ähnlich schweren Stand hat wie auf der Bühne in seinem kleinkarierten
Heimatdorf - und das trotz des Besetzungsluxus, mit dem Direktor Ioan
Holender das Außenseiterdrama 1996 in Wien erstaufgeführt hat und dabei Neil
Shicoff für die Titelrolle gewonnen hatte, den Britten-Verehrer Mstislav
Rostropovich für das Dirigentenpult und die (damals) polarisierende
Christine Mielitz für die Regie.
Dieser Tage steht die Produktion nun
wieder auf der Bühne - und oh Wunder, sie erfreut sich trotz strikter
Corona-Kontrollen und Brittens polytonalen Klangbilds regen Zuspruchs.
Maßgeblich dafür ist ein Besetzungscoup: Jonas Kaufmann schlüpfte am
Mittwoch zum weltweit ersten Mal in die raue Haut des Dorf-Außenseiters und
fand dabei in Bassbariton Bryn Terfel (Balstrode) prominente Gesellschaft.
Nun: So löblich Kaufmanns Einsatz für ein Meisterwerk der (moderaten)
Moderne ist, wird der Grimes wohl nicht zur Paraderolle des Deutschen
avancieren. Das Honig-Legato des begnadeten Charmeurs finden in den drei
Stunden nur selten einen so maßgeschneiderten Entfaltungsraum wie in der
Sehnsuchtspassage nach der Pause. Vielmehr gilt es hier, den Ecken und
Kanten eines schroffen Seebären Kontur zu verschaffen. Dabei verleiht
Kaufmann den vielen Wutnoten zwar hinreichend Furor, nicht aber die nötige
Fokussiertheit und fatale Direktheit. Dadurch vermittelt sich der
handlungstreibende Seelenkontrast im Klangbild nur ungenügend: die
Psychodynamik eines Mannes, der im Ungestüm seine Träume torpediert und von
einer bigotten Dorfgemeinde in den Freitod getrieben wird.
Verlässliche Sängerschaft
Souverän an Kaufmanns Seite Bryn Terfel:
Der textdeutliche Waliser mit den strömenden Tönen weist den Kapitän
Blastrode in jedem Moment als Respektsperson aus. Das zweite und auch schon
letzte Mitglied im Club der Grimes-Sympathisanten auf der Bühne ist die
Lehrerin Ellen Orford: Lise Davidsen schenkt ihr eine mitunter scharfe, aber
stets durchsetzungsrobuste Stimme. Verlässliche Töne auch aus der
Dorfbevölkerung, die sich in der Mielitz-Regie vor stilisierten Kulissen
besonders sauf- und grapschfreudig erweist: Imposant Martin Häßler als
liederlicher Biedermann Ned Keene sowie Thomas Ebenstein als Prediger und
Exzesstrinker Bob Boles.
Das Hausorchester unter Simone Young kann
sich zwar nicht mit der rhythmischen Präzision des Vorjahres-"Grimes" des
Theaters an der Wien messen, steigert sich aber auf ein animiertes
Repertoireniveau mit Lust an Dezibelhöhepunkten. Am Ende freilich Blumen und
Bravos für Kaufmann.
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