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Abendzeitung, 23. September 2022 |
Michael Bastian Weiß |
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Britten: Peter Grimes, Bayerische Staatsoper, ab 21.9.2022
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"Peter Grimes" in der Bayerischen Staatsoper: Samtige Gewalt |
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Er schüttelt mit dem Kopf, stiert auf den Boden, atmet in die Hände. Halb
stürmt er auf Ellen, den einzigen Menschen, der noch zu ihm hält, ein, halb
reißt er sich von ihr los. Kurzum: Jonas Kaufmann tut in der Rolle des Peter
Grimes das, was man auf der Bühne eben so tut, wenn man Verzweiflung und
Zerrissenheit spielt - nur, dass diese emotionalen Ausnahmezustände von der
Bühne des Nationaltheaters herab höchstens als schweres Genervtsein beim
Publikum ankommen.
Vom Kavalierstenor zum kindesmisshandelnden
Außenseiter: Jonas Kaufmann Einräumen muss man, dass Kaufmann nicht zur
Premierenbesetzung gehörte, von den Proben also nichts mitbekam. Doch einen
gestörten, kindesmisshandelnden Außenseiter nimmt man dem geborenen
Kavalierstenor so und so nicht ab. Das ist aber schon die einzige
nennenswerte Kritik, die man an seinem Rollenporträt üben kann.
Dass
man den englischen Text kaum versteht, liegt an dem hektischen
Rezitationston, den Benjamin Britten in diesem Stück überwiegend pflegt.
Ansonsten aber gewinnt die Partie nur durch Kaufmanns dunkelsamtige
Klanglichkeit, seine gespannte, doch mühelose Höhe und den Luxus einer
baritonalen und damit sehr genießbaren Tiefe.
Höchstleistungen bei
Staatsopernchor und Staatsorchester Zudem ergänzen sich Kaufmanns nicht
ganz so dämonischer Peter Grimes und sein grundguter Gegenpart, Rachel
Willis-Sorensen als Ellen, passgenau: Während der mittlerweile 53-jährige
Tenor geschickt disponiert und nur wenige, dafür umso effektvollere
Höhepunkte setzt, verströmt sich der ausladende Sopran der Amerikanerin
verschwenderisch. Christopher Purves gibt einen gebührend knorrigen Captain
Balstrode mit einer so präzisen Diktion, dass der englischkundige Hörer die
Übertitel nicht braucht.
Das zeigt auch, wie umsichtig der Dirigent
Erik Nielsen Freiräume für seine Sängerinnen und Sänger offenhält. Der
Amerikaner, der an der Staatsoper bei den Opernfestspielen 2021 einmal
kurzfristig eine "Rheingold"-Aufführung gerettet hat, verleiht dem in
Episoden auseinanderdriftenden Drama einen energischen Zug nach vorn,
bugsiert den fabelhaften Bayerischen Staatsopernchor durch die komplizierten
Tableaus (Einstudierung: Stellario Fagone) und ballt das Staatsorchester zu
höchster Schlagkraft. Somit macht Nielsen jene Brutalität hörbar, die der
Komponist seiner Hauptfigur mitzugeben versäumte.
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