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Online Merker, 01.12.2022 |
Von Manfred A. Schmid |
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Giordano: Andrea Chenier, Wiener Staatsoper, ab 30.11.2022
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WIEN / Staatsoper: ANDREA CHÉNIER – Wiederaufnahme |
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Bis in die kleinsten Nebenrollen ein erfreulicher Opernabend
Die neben Gottfried von Einems Dantons Tod einzige weitere
„Revolutionsoper“, die es ins Repertoire geschafft hat, Umberto Giordanos
„Dramma di ambiente storico“ in vier Bildern, Andrea Chénier, hat inzwischen
schon gut 40 Jahre auf dem Buckel und firmiert auch bei der jetzigen
Wiederaufnahme nur noch als „nach einer Inszenierung von Otto Schenk“. Das
ist ihr auch anzumerken. An der Personenführung dürfte bei den Proben etwas
gearbeitet worden sein, dennoch ist das, was geboten wird, auf weite
Strecken nicht viel mehr als Rampentheater. Mit einer guten Besetzung, wie
sie diesmal auch tatsächlich gegeben ist, klappt das einigermaßen, auch wenn
die übersichtliche Bühne von Rolf Glittenberg, vor allem ab den 2. Bild,
genügend Raum zu mehr Entfaltung geboten hätte. Glittenberg genügt jeweils
ein Objekt, um den jeweiligen Stand der Entwicklung festzumachen: Eine
umgestürzte Kutsche verweist auf die Entmachtung des Adels, ein ramponierter
Leiterwagen, bei dem ein Rad beschädigt ist, signalisiert, dass der Fortgang
der Revolution nicht so glatt verläuft, wie erhofft, im Schlussbild liegen
dann nur noch ein paar schäbige Räder achtlos in einer Ecke. Die Revolution
frisst ihre Kinder und steht vor ihrem Aus. Wenige Tage nach der Hinrichtung
des Dichters Andrea Chénier ist sie dann auch tatsächlich zu Ende.
Wie in der Tosca dreht sich alles um eine höchst brisante, tragisch
verlaufende Dreiecksbeziehung. Doch anders als bei Puccini macht der –
Scarpia zunächst nicht unähnliche – Carlo Gérard, der es von einem Laikai am
Hof der Gräfin von Coigy zu einem machtvollen Revolutionär gebracht hat,
eine Wandlung durch. Da er von Kindheit an in Maddalena, der Tochter des
Hauses, schwer verliebt ist und sie nicht bloß lüstern begehrt, verzichtet
er, an die Macht gekommen, schließlich darauf, sie mit Gewalt gefügig zu
machen. Auch ihren Geliebten Andrea Chenier, den er aus Eifersucht vors
Tribunal gebracht hat, versucht er, von Reue gepackt, vor der Todesstrafe zu
bewahren. Vergeblich. Maddalena geht aus freiem Willen mit Andrea in den
Tod. Ein Triumph der Liebe über die Wirren der Zeit.
Maria Agresta,
international erfolgreich im italienischen Fach, feiert ein spätes,
erfreuliches Hausdebüt als Maddalena di Coigny. Viel zu singen hat die
italienische Sängerin in dieser Oper ja nicht, aber mit ihrem dunkel
timbrierten, dennoch klaren und kräftigen Sopran, den sie Dank exzellenter
Technik fein zu modulieren versteht, brilliert sie in den Duetten, in denen
die Verliebten ihre gegenseitige Zuneigung bekunden. Man spürt, dass
Agresta, die im Frühjahr nach der Absage von Anna Netrebko an der Mailänder
Scala alle ihre Rollen übernommen hatte, im Vorjahr mit Jonas Kaufmann in
Verdis Otello bereits gemeinsam auf der Bühne gestanden ist. So gut sind
beide aufeinander abgestimmt, dass sei der Traumpaarung Harteros-Kaufmann
2017, Bayerischen Staatsoper, sehr nahekommen. Ihre Glanzarie „La mamma
morta“ ist voll von anmutiger Nachdenklichkeit und Hingabe. Darstellerisch
kommt sie an Netrebko nicht heran, überzeugt aber durch ihre Natürlichkeit
und Offenheit.
Jonas Kaufmann tritt als trefflicher Andrea Chénier in
Erscheinung. In dieser Rolle gastiert der Münchner Startenor seit einigen
Jahren an großen Häusern in aller Welt, darunter 2018 auch schon an der
Staatsoper. Etwas an Glanz hat seine Stimme inzwischen doch eingebüßt. Der
Stimmansatz in der Höhenlage klappt stellenweise nicht mehr so einwandfrei,
und ganz ohne merkliche Kraftanstrengung geht es wohl auch nicht mehr. Aber
er kann – in „Come un bel dì di Maggio“ – nicht nur Maddalena, sondern auch
das Publikum immer noch bezaubern. Mit samtig-verführerischen,
schwärmerisch-dunklen Tönen, eindrucksvoller Rollengestaltung und einer
kräftigen Portion Charme. Am Schluss gibt es für ihn auch einen
Blumenstrauß, der auf die Bühne hinuntersegelt. Schon seit längerer Zeit
nicht mehr erlebt.
Auf Augenhöhe mit Agresta und Kaufmann agiert
George Petean als Carlo Gérard, wenn er nicht gar den insgesamt besten
Eindruck hinterlässt. Seine inneren Kämpfe, den Konflikt zwischen
Leidenschaft und Machtausübung, seine Gewissensbisse, die schließlich in
einen Läuterungsprozess münden, den man diesem Manne nicht zugetraut hätte,
führt er glaubhaft vor. Sein Glaubensbekenntnis in „Nemico della patria“ im
3. Bild berührt ungemein und bekommt zurecht den stärksten Szenenapplaus des
Abends. Ein kraftvoller, facettenreicher Bariton.
Von den zahlreichen
Nebenrollen, allesamt Hausbesetzungen, gibt es Eindrucksvolles zu berichten.
Stephanie Houtzeel, in letzter Zeit aufgrund ihrer Vielseitigkeit gleich in
mehreren Produktionen sehr präsent, ist eine abgehobene, in ihrer
Scheinheiligkeit und Blindheit gegenüber den herrschenden Verhältnissen
widerliche Gräfin von Coigny. Dieser Frau wäre der Satz ,,Wenn die Armen
kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen,“ den Maria-Antoinette
nie gesagt hat, durchaus zuzutrauen. Als vielseitig einsetzbar erweist sich
auch Michael Arivony, der den Sprung vom Opernstudio zum Ensemblemitglied
geschafft hat und als Chéniers treuer Freund Roucher die Aufmerksamkeit des
Publikums auf sich zieht.
Kaum eine Oper, in der sie nicht gebraucht
wird: Monika Bohinec gestaltet den Auftritt der alten Madelon, die für die
Ideale der Revolution alles – sogar den einzigen ihr noch verbliebenen Enkel
– zu geben bereit ist, mit Würde und bewundernswerter Entschlossenheit. Da
die Musik gleich weitergeht, wurde der fällige Auftrittsapplaus wohl
verpasst.
Stark auch der resolute, grimmige Sansculotte Mathieu von
Wolfgang Bankl sowie der umtriebige Spitzel Incroyable, dargestellt von
Carlos Osuna, der ebenfalls zu den vielbeschäftigten Ensemblemitgliedern
zählt. Nicht zu vergessen Isabel Signoret in der Rolle des sich für
Maddalena aufopfernden Dienstmädchens Bersi.
Das Staatsopernorchester
unter der Leitung des umsichtigen Francesco Lanzilotta sorgt für einen
interaktiven Klangteppich, auf den sich das Gesangsensemble sicher
fortbewegen kann, ohne jemals darin versenkt zu werden. Lautstärke und
Dynamik lassen nichts zu wünschen übrig. Erwähnenswert ist – wieder einmal –
das innige Solocello. Begeisterter Applaus.
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