Wagner: Tristan und Isolde, Bayerische Staatsoper ab 29.6.2021
|
Liebe ohne Nähe |
|
Eröffnung der Münchner Opernfestspiele bei voller Orchester-Besetzung mit
„Tristan und Isolde“ unter Kirill Petrenko und in der Regie von Krzysztof
Warlikowski. Jonas Kaufmann und Anja Harteros in Rollendebüts
(München, 29. Juni 2021) Ein Hotelbett dominiert fast den gesamten zweiten
Aufzug im Hintergrund via Überwachungskamera, während sich vorne alles um
zwei schwere schwarze Leder-Sessel abspielt. Es ist ein Hotelbett, auf dem
sich (fast) nichts tut, selbst als sich Tristan endlich die Schuhe auszieht,
breitbeinig zu Isolde legt und ihre Hände sich (fast) berühren. Mit der
Ekstase zur Musik des späteren Liebestods füllt sich (auf dem Unterdeck des
Schiffs wie weiland auf der Titanic?) das Zimmer mit Wasser bis mit Auftritt
König Marke die Zwischenwand verschwindet, die sich immer mal wieder senkte
und auf die das Video (Kamil Polak) projiziert wurde.
Am Ende beinahe
das gleiche Bild: Nun sind beide Körper auf dem Bett in weiß erstarrt und
wie einbalsamiert für die Ewigkeit konserviert, da wird plötzlich das Bild
bunt: Wir sehen Sopran und Tenor in ihren privaten Kleider scheinbar
schlafend oder tot, die entsprechende Suizid-Tinktur zwischen sich, die sie
schon vor der Entdeckung im zweiten Aufzug sich injizieren wollten. Kurz vor
dem Schlussakkord öffnen beide die Augen und lächeln sich verhalten an,
während die „reale“ Isolde sich neben den toten, blutüberströmten Tristan
legt.
Dieser durchaus bestechend vieldeutige (Erlösungs-)Schluss
konnte freilich das Münchner Premierenpublikum am Uraufführungs-Ort von
Richard Wagners „Handlung in drei Aufzügen“ nicht mehr beschwichtigen.
Massives Buh gab es für das Regieteam, die Austatterin Małgorzata Szczęśniak
eingeschlossen, aber dafür umso frenetischeren Beifall für Harteros,
Kaufmann und Petrenko. Und das zu Recht, denn der denkwürdige Abend war wohl
die Krönung für das Traumpaar der Münchner Oper seit der ersten gemeinsamen
Premiere mit Lohengrin und Elsa im Jahr 2009 und leider auch das vorläufige
Ende, denn in der nächsten Spielzeit werden beide unter der neuen Intendanz
weder zusammen noch für sich auftreten.
Auf „Lohengrin“ folgten 2013
Leonora und Manrico („Il Trovatore“) sowie Donna Leonora und Don Alvaro („La
forza del destino“), vier Jahre später „Andrea Chénier“ sowie 2018 „Otello“.
Nach viel Verdi nun also der zweite Wagner, zufällig in chronologischer
Folge, aber mit gewaltig gewachsenen Aufgaben. Doch beide meisterten sie
zumeist fulminant, auch darstellerisch: Sie als stolze Frau, die bewältigen
muss, dass sie sich in den Mann verliebt hat, der einst ihren Verlobten
getötet hat, und den sie gesund pflegte. Er als Waise, dessen Vater bei
seiner Zeugung und seine Mutter bei der Geburt starb, der also seit
Kindesbeinen an „nachtgeweiht“ ist.
Regisseur Krzysztof Warlikowski
gelingt der nachts in einem Garten spielende zweite Aufzug am besten. Hier
ereignet er sich ebenfalls im Einheitsbühnenbild eines massiv
holzvertäfelten Art-Deco-Foyers, dessen Wände sich links und rechts nach
vorne wölben. Tristan und Isolde reden, respektive singen bekanntlich
hauptsächlich philosophisch aneinander vorbei, obwohl sie so sehr ihre
Vereinigung verbal bekräftigen. Hier berühren sie sich nicht, ja nähern sich
kaum – wie schon in Heiner Müllers „Tristan“ einst in Bayreuth. Doch dann
kommt der Moment, in dem Tristan nach dem langen, anklagenden und doch so
freundschaftlich zugewandten und um Verstehen ringenden Monolog Markes (Mika
Kares) Isolde küsst – auf die Stirn! Und sich sogleich in das Schwert Melots
stürzt.
Im dritten Aufzug sitzt Tristan an einer langen Tafel wie
Christus beim letzten Abendmahl mit jeder Menge männlicher Puppen, als wär’s
der Speisesaal im Waisenhaus. Rechts auf der Chaiselongue liegt mal Tristan,
mal seine virtuelle Kopie, die aussieht wie die Jungs am Tisch und die man
schon im Vorspiel zu sehen bekam, samt Isolde-Double. Leider wird das nicht
wirklich theatralisch eingelöst, sondern bleibt bloße Behauptung. Wie auch
im ersten Aufzug sich immer mal mehr, mal weniger Rätselhaftes ereignet.
Denn Warlikowski inszeniert stets die Vorgeschichte und psychische
Versehrung der Protagonisten mit: So ist der junge Seemann, der Isolde
gleich nach dem Vorspiel ironisch verspottet, ein ebenfalls versehrter, an
den Augen verletzter junger Mann, den Brangäne verarztet, während Isolde
erzählt, wie sie einst Tantris alias Tristan pflegte.
Gelungen dann
freilich die optisch vergegenwärtigte Wirkung des Liebestranks, den beide
als Todestrank trinken. Da explodieren die Blumen auf der Zwischenwand
psychedelisch, ergreifen Besitz von der ganzen Bühne und verwandeln sich in
ein irisierendes, alles überspülendes Feuermeer. Schön auch der Moment
zuvor, wenn Isolde Tristan zwingt, ihr in den edel bestickten Mantel zu
helfen, sie seine Hände berühren will, er zurückweicht und auch noch
widerwillig die Perlenkette anlegen muss. Leider sind solche Momente rar und
müssen entschädigen für manchen Leerlauf, den die SängerInnen
unterschiedlich gut füllen können. Denn auch Brangäne (fast mit dramatischem
Sopranglanz und doch gewichtigem Mezzo: Okka von der Damerau) und der etwas
angestrengt wirkende Wolfgang Koch als Kurwenal sind mehr oder minder sich
selber überlassen.
Anja Harteros singt mit glühender Emphase,
leuchtenden Höhen, aber nicht immer ganz fokussiert, sondern immer ein wenig
außer sich eine mit Einschränkung überzeugende Isolde. Klanglich ganz anders
Jonas Kaufmann: souverän, aber stets mit baritonal gedeckelter, wenig
obertonreicher Stimme, die es manchmal schwer hat, durchs Orchester zu
kommen, zumindest auf einem Platz in Reihe 11. Aber er teilt sich die
übermenschlich anstrengenden Fiebervisionen des dritten Akts gut ein und
kann auch ganz am Ende noch singen und nicht nur singsprechen. Beide werden
wachsen an ihren Partien wie auch Mika Kares als Marke, der seinen Monolog
schon bemerkenswert prägnant und differenziert bietet, aber noch Facetten
des Ausdrucks dazu gewinnen wird.
Anfangs wirkte das Bayerische
Staatsorchester noch etwas gebremst und gehemmt, was aber auch an der
eminent störenden FFP2-Maske gelegen haben mag, obwohl doch alle geimpft,
getestet oder genesen sein mussten, um überhaupt ins Haus zu dürfen. Ab dem
zweiten Aufzug musizierte auch das Orchester unter Petrenko zunehmend
befreit. Die Klangmischungen und feinen Instrumentalsoli wurden immer
exquisiter, aber auch die expressiven Ausbrüche immer gewaltiger, bis hin
zum sich immer höher schraubenden Liebestod, dessen Wirkung eigentlich nie
verpufft.
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|