Abendzeitung, 30.6.2021
Robert Braunmüller
 
Wagner: Tristan und Isolde, Bayerische Staatsoper ab 29.6.2021
"Tristan und Isolde" im Nationaltheater: Wassereinbruch in der Hotelsuite
 
Richard Wagners "Tristan und Isolde" mit Anja Harteros, Jonas Kaufmann und Kirill Petrenko im Nationaltheater.

Dreimal steigert sich das Sehnsuchtsmotiv, ehe sich die Spannung in einer Cello-Kantilene entlädt.

Petrenko und das Bayerische Staatsorchester: Knistern von Anfang an
Es hat schon viele große Aufführungen von Wagners "Tristan und Isolde" gegeben, in denen sich Dirigent und Orchester in den ersten Takten eingegroovt haben.
Bei Kirill Petrenko und dem Bayerischen Staatsorchester ist das nicht der Fall. Hier knistert es von Beginn an, weil jedes Detail ausgefeilt ist und der Dirigent jede Nuance überlegt, ohne dass dies pedantisch wirken würde. Dann steigert Petrenko die Sehnsucht im steten Wechsel von Streichern und Bläsern langsam im Wechsel von Heiß und Kalt zu einer ersten Ekstase.
Orchestral beeindruckende und genaue Aufführung der schwierigen Partitur Der erste Akt gelang mit stets vorwärts drängenden Tempi exemplarisch, der zweite mit seinen fast impressionistischen Klangwirkungen im Duett ebenfalls. Danach war mehr Rücksicht auf die Sänger erforderlich. Die finstere Todesmusik beim großen Sterben nach Tristans Tod erklang in düsterer, bis zur kontrollierten Brutalität gesteigerter Pracht.

Die Rückkehr der großen Besetzung
Seit Leonard Bernsteins konzertantem Münchner "Tristan" gab es wohl keine so ausgefeilte, orchestral beeindruckende und genaue Aufführung dieser schwierigen Partitur. Mehr geht kaum, und insofern war es richtig, diese Oper als Finale dieser herausragenden Zusammenarbeit zwischen Kirill Petrenko und dem Staatsorchester aufzusparen.
Anja Harteros: Sarkasmus und die Ironie der verletzten Isolde fein gestaltet Aber "Tristan und Isolde" will auch gesungen sein. Anja Harteros wird zwar nie eine hochdramatische Sopranistin mit trompetenhaft gleißenden Spitzentönen werden. Aber ihr gelingt, was allen ihren Kollegen versagt bleibt: Sie kann den Sarkasmus und die Ironie der verletzten Isolde mit der Erfahrung und Genauigkeit einer Lied-Sängerin gestalten. Der Rest der Partie wirkte etwas monochrom und angespannt, im Liebestod verhinderte eine starke Nervosität das große Fluten der Stimme.

Jonas Kaufmann: Sein Tristan bleibt eine Mutprobe
Auch Jonas Kaufmann ist kein idealer Tristan. Die baritonale Färbung seines Tenors kommt der Rolle zwar entgegen. Aber nach dem Duett im zweiten Akt wurde er übervorsichtig. Das Solo "O König, das kann ich dir nicht sagen" enttäuschte gestalterisch, und im dritten Akt riskierte der Sänger nichts. Das ist menschlich verständlich, aber ein zum Schnupfen heruntergeregelter Fieberwahn geht an Wagners Extremismus vorbei. Kaufmanns Tristan bleibt eine Mutprobe: Er hat sie bestanden, aber nicht mit Bravour. Kaufmann wäre im Interesse seines übrigen Repertoires gut beraten, die Rolle nur ausnahmsweise zu singen.

Der Rest war ordentliches Ensembletheater: Wolfgang Koch sang den Kurwenal ein wenig ruppig. Mika Kares lieh dem Marke viel balsamisches Bass-Material, ein großer Gestalter ist er (vorläufig) nicht. Okka von der Damerau hat sich vom Mezzo in Richtung Sopran weiterentwickelt. Das stört im ersten Akt nicht, doch die Brangäne-Rufen im Liebesduett profitieren davon kaum.

Eine Inszenierung gab es auch. Krzysztof Warlikowski hat zuverlässig bewiesen, ein Spezialist für komplexe Liebes- und Sexbeziehungen zu sein. Sigmund Freuds Sofa und die großbürgerliche Machtarchitektur siedeln die Geschichte im Umfeld von Ibsens Lebenslüge an. Der intrigante Greis, der offenbar Melot zuarbeitet, wird einem womöglich noch in einem Alptraum besuchen.

Regie arbeitet mit Videos: Was projiziert wird, ist so überflüssig wie lange nicht
Aber Regie sollte sich nicht im Casting von Nebendarstellern und einer straff choreografierten Drehung von vier Sesseln um 180 Grad erschöpfen. Irgendwann vergeht einem auch die Lust, das Rätsel der beiden lebenden Schaufensterpuppen zu lösen. Für die Videos fährt eine Wand sehr unelegant aus dem Schnürboden herunter. Was projiziert wird, ist so überflüssig wie lange nicht. Auf dieser zweiten Ebene begehen Tristan und Isolde Selbstmord, ehe dann ihr hochpreisiges Hotelzimmer überschwemmt wird und sie sich, auf einer höheren Ebene erwachend zulächeln.

"Tristan und Isolde": Begeistertes Premierenpublikum
Das hat weder als Bildwirkung noch als Interpretation einen Neuigkeitswert. Es mag sein, dass Kaufmann in späteren Vorstellungen noch seine Zurückhaltung aufgibt, die im dritten Akt auch den Dirigenten und das Orchester ausbremsen. Das Premierenpublikum klatschte Petrenko und das Orchester in den siebten Opernhimmel, Harteros und Kaufmann durften auf niedrigeren Wolken Platz nehmen, Warlikowski wurde verdientermaßen das Fegefeuer zugeteilt. Und dank der Schachbrettsitzordung und dem roten Prominenten-Teppich vor dem Nationaltheater war es fast eine normale Festspieleröffnung.





 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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