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Online Merker, 18.04.2021 |
Renate Wagner |
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Wagner: Parsifal, Wiener Staatsoper, 18. April 2021
(Stream, Aufzeichnung vom 11. April 2021)
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WIEN / Staatsoper – Stream: PARSIFAL |
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Regisseure haben ihre Vorstellungen, das bringt ihr Beruf so mit sich. Sie
haben womöglich auch – auf Grund ihrer Biographie, ihrer Erfahrungen, ihrer
persönlichen Verletzungen – ihre Zwangsvorstellungen. Wenn ein in Russland
vielfach verfolgter Künstler das „Gefängnis“ als Realität und Metapher nicht
aus dem Kopf bekommt, ist das begreiflich. Wenn er diese Welt (zu der auch
noch die Medien als verheerende Macht kommen) über „Parsifal“ gießt oder
stülpt (wie man will) – dann muss sich ein Publikum nicht ohne Mühe damit
auseinandersetzen, was es sieht.
Nun, die Wiener Opernfreunde sind
„Parsifal“-geschädigt, Da hat doch Christine Mielitz versucht, in der
Gralsburg Urinale zu postieren (es ist dann dank Ioan Holenders Eingreifen
nur eine schäbige Waschanlage daraus geworden), da hat Alvis Hermanis (für
die teuerste Kürzest-Produktion, die es je gab) ein Wiener Irrenhaus in
Jugendstil-Gold getaucht. Und nun ist man in einem „französischen“
Gefängnis, wie betont wird (warum französisch?), und man weiß nicht ganz,
warum.
In dem durch und durch seltsamen „Fall Parsifal“ (Tiefpunkt:
die imbezilen Karikaturen), mit welchem der ORF auf das Großprojekt
einstimmen wollte, behauptete Regisseur Kirill Serebrennikov – skypig oder
zoomig zugeschaltet – , dass ohnedies niemand die Handlung von „Parsifal“
verstehen würde. Na hoppla, ganz so ist das nicht, man begreift das Original
recht gut, selbst in einer konservativen Inszenierung (wie Karajan den
Karfreitagszauber einst in Salzburg in einer Blumenwiese versinken ließ).
Man muss absolut nicht „heutige“ Menschen aus Wagners ohnedies mythisch
gemeinten Figuren machen, damit irgendetwas klar wird. Erlösung besteht
darin, dass die Gefangenen aus dem Gefängnis hinaus gehen dürfen? Gewiß,
wenn man es so sieht, mag es stimmen. Aber hat das etwas mit „Parsifal“ zu
tun?
Diese Frage stellt sich in unserer Welt nicht mehr, damit müssen
wir uns abfinden. Regisseuren von heute ist es langweilig, die alten Stoffe
aus sich heraus zu begreifen. Und weil sie längst gemerkt haben, dass
absolut niemand ihnen etwas verbietet, können sie alles machen, selbst
Biogasfabriken oder Lampenschirmherstellung für Wagner. Da ist das Gefängnis
wenigstens noch… was? Auch nicht schlimmer als die Sandler-Bude, in die
Dmitri Tcherniakov die Gralsritter in Berlin verbannt hat? Man kann machen,
was man will.
Wie weit bringt man nun die Regie-Idee mit dem Original
zusammen? Wenn der Gralskelch unvermutet aus einem Paket für einen
Gefangenen kommen muss, damit er überhaupt da ist (und im Gefängnis kaum
etwas bedeutet – der Gang zum Gral ist hier wohl ein Hof-Spaziergang), wenn
es keine Lanze gibt (von der immer so real gesungen wird) und auch keine
Blumenmädchen (die Sekretärinnen und Putzfrauen, wie von Marthaler oder
Wittenbrink entsprungen, wirken ja doch parodistisch), und wenn man nicht
weiß, wie Parsifal (gar einen Schwan jagend!) eigentlich ins Gefängnis
kommt. Immerhin hat er Tätowierungen am Handrücken, weist ihn das nicht als
Insassen aus? Und der soll die Erlösung bringen?
Und eine
fotografierende Journalisten-Kundry ist die weise, leidende Frau des
Geschehens? Einmal ganz abgesehen davon, dass nichts, was der Text
vermittelt (von der Musik reden wir nicht, die ist geschmeidig), auch nur im
geringsten stimmt… Hört man genau hin und sieht man genau zu, bleibt
permanent die Frage: Wovon reden die eigentlich?
Auch hier hat die
„Parsifal-Frage“ etwas irritiert, wenn Elina Garanca im Interview meinte, es
sei nicht wichtig, dass Kundry hier Journalistin sei, sie könnte genau so
gut Krankenschwester sein. Was bedeutet das? Dass ohnedies egal ist, wer was
verkörpert? Dass Klingsor als „Chefredakteur“ eigentlich gar keine Funktion
mehr hat und Kundry nicht existenziell aufschreit, sondern weil er offenbar
heißen Kaffee über sie verschüttet hat? Wo endet die Willkür, wo beginnt die
echte Sinnhaftigkeit?
Egal, man lasse sich darauf ein, was man sieht.
Gefängnis mit vielen Gittern zuerst, die Ritter und Knappen als Wärter,
Alltag der Häftlinge (unschön). Gefängnis offenbar mit Speisesaal der
Gefangenen zuletzt, dazwischen Redaktion (wo dann gelegentlich ein
Riesenkreuz herum geschleppt wird – warum? Nicht fragen!) …
Dazu
Elemente der „Parsifal“-Handlung in eine Rückblende gepresst. Das verdammt
den Hauptdarsteller dazu, während des ersten und zweiten Akts die meiste
Zeit, Kopf in die Hände gestützt, verzweifelt an der Rampe zu sitzen und
sich zu erinnern. Manchmal will er eingreifen, was nicht gelingen kann, aber
singen muss er (glücklicherweise) immer, während ein hübscher Jüngling an
seiner Stelle herumstakst.
Kundry wandelt sich von der Karrierefrau
im chic-verführerischen schwarzen Hosenanzug zum im Gefängnis gelandeten
Prekariatsgeschöpf – man büßt in zu großem Pullover und Wollmütze. Amfortas
und Gurnemanz fühlen sich in den Hintergrund gedrängt. Dafür laufen über der
Szene Videos, ohne die es heutzutage nicht mehr geht, vordringlich
Gefängnisszenen. Wird man einmal (so Gott und die Impfungen es wollen) live
in der Oper sitzen, wird man es mit dem Blick „über“ die Bühne leichter
haben, der Ablenkungseffekt wird allerdings noch größer sein als bei der
Fernseh-Fassung mit ihren gelegentlichen Schnitten hin und her. Tatsächlich
ist die endlose Berieselung mit Videos, deren Zusammenhang wohl nur der
Regisseur selbst kennt, für die Zuschauer, die einfach nur düstere Bilder,
sehen, so verwirrend wie belastend.
Was sieht man also? Der alte
Parsifal erinnert sich schmerzhaft. Im Gefängnis geht es ausgesprochen
grauslich zu. Was der Jüngling da will und was man ihm auferlegt – in diesem
Zusammenhang unbegreiflich. Auch, wie er in die Zeitungsredaktion gelangt.
Und was dieser ungeheure Erlösungsakt bedeuten kann. zumal Parsifal nach dem
offenbar doch nicht so seligen Ende wieder ganz allein und sehr bedrückt da
sitzen muss.
Nun ist all das in ganz, ganz echte, tiefe, sog- und
rauschhafte Wagner-Musik getaucht, für die Philippe Jordan sorgt, der
übrigens hörbar ökonomisch mit der Musik; ihren Steigerungen und Effekten
umgeht. Allerdings – wenn man nichts von der Geschichte weiß (ich gehe jetzt
von Frischlingen aus, nicht von Leuten, die das Original ja doch verstehen),
kann das irgendwie eine ganz spannende Handlung sein, wenn man auch nur
teilweise versteht, was sich der Regisseur ausgedacht hat (wie viele echte
Mütter, an die sich Parsifal reuig erinnert, werden da auf die Bühne
geschickt?). Kommentare zum Glauben, zum Buddhismus oder zur Pandemie, von
denen man immer wieder mal gelesen hat, entdeckt man eigentlich nicht. Man
stolpert nur dauernd darüber, was nicht zusammen passt…
Andererseits
muss man sich selbst – was bleibt einem Zuschauer schon übrig – mit dem
auseinandersetzen, was man geboten bekommt. Und das ist eine Welt für sich,
die sich vom Original abgekoppelt hat und ihre eigene Geschichte erzählt.
Und was immer man Herr Kirill Serebrennikov bezüglich seiner Interpretation
entgegen halten will: „Theater“ kann er.
Die Wiener Staatsoper konnte
mit diesem Abend nicht nur medial prunken weil man den berühmten Regisseur
wenigstens im übertragenen Sinn aus seinem Gefängnis befreit und ihm eine
Bühne im Westen gegeben hat. Sondern, weil man zwei der berühmtesten Sänger
unserer Zeit auf die Bühne brachte, und Startheater ist kein leerer Wahn,
denn Startum bekommt man nicht geschenkt, es ist mit Höchstleistungen
verbunden. Die in diesem Fall geliefert werden.
Nicht, dass man sich
in der Opernwelt im allgemeinen daran stoßen würde, wenn das Äußere eines
Sängers nicht mit dem Vorgaben einer Rolle zusammen passt (man denke an
Botha im grünen Anzug einst in einem Salzburger „Parsifal“), aber vielleicht
hat dieses Konzept auch damit zu tun, dass Jonas Kaufmann nur bei seinen
allerverblendetsten Fans als „junger Tor“ durchginge – so ist die
Rückblenden-Situation mit dem reifen Mann eine sehr gute Lösung. Zumal die
Stimme nichts schuldig bleibt. Gewiß, die Rolle ist nicht groß, aber sie
verlangt jene Präsenz, die Kaufmann – im deutschen Fach halt doch sehr gut
aufgehoben – bringt. Dass man auch Wagner „schön“ singen kann, ist bekannt,
er trägt prächtig disponiert seinen Teil dazu bei. Im übrigen spielt er
tapfer, was der Regisseur ihm abverlangt, heute vergisst auch kein
Spitzensänger, dass die wahren Stars die Regisseure sind und man sich besser
nicht wehrt… Sein jugendliches Alter Ego, ein typischer Boy mit Hood (die
Kapuzenjacke, unter der sich Jugendliche gern verstecken), ist Nikolay
Sidorenko.
Elina Garanca hat manches, was sie als neue Rollen
ankündigte (Dido, Amneris), in letzter Minute abgesagt (beide Male war die
Pariser Oper betroffen), immerhin, nach der Carmen die Dalila, dazu Eboli
und Santuzza gesungen, sie hat im französischen und italienischen Fach ihr
Repertoire erweitert. Die Kundry war allerdings die größte Herausforderung,
und es ist ein Glücksfall geworden. Ihr immer heller, also höhenfreudiger
Mezzo hat mit den zweieinhalb Oktaven der Rolle keine Schwierigkeiten, aber
sie hat die Mitte verbreitert, an der Tiefe gearbeitet, und das Timbre ist
signifikant deutlicher geworden. Sie kann die Rolle mit der ganzen Kraft,
die sie erfordert, singen, und sie scheint mit geradezu provokanter Lust zu
spielen, was sie da zeigen soll – vor allem die mutwillige Blondine hinter
dem Laptop, die sich an den jungen Parsifal heran macht und ihn gleichzeitig
mit einer Pistole bedroht…
Georg Zeppenfeld ist ein Gurnemanz der
anderen Art, nicht der weise alte Herr mit pastoser Röhre, wie so oft,
sondern einer, der schlankstimmig, schön und oft geradezu hell klingend,
eher undefinierbar im Gefängnis waltet, allerdings schon einiges von seiner
gewohnt gewaltigen Wirkung (vor allem im ersten Akt) einbüßt. Eine
Besetzung, die ein wenig gegen den Strich gepolt ist, ebenso wie der
Amfortas des Ludovic Tézier, der ausdrucks- und kraftvoll zu artikulieren
vermag, aber kein Leidensfürst üblichen Zuschnitts ist, sondern in
erschütternder Armseligkeit (sich selbst Tee kochend) eher im Hintergrund
bleibt, wie auch Titurel aus dem Lautsprecher (Stefan Cerny), aber das
passiert dem armen Mann in jeder Inszenierung. Und der entdämonisierte, wenn
auch brutale Klingsor? Auch Wolfgang Koch verliert in dieser Inszenierung,
die sich einzig auf die beiden Hauptdarsteller konzentriert, sein Gewicht.
Am Ende war es, sagen wir es ehrlich, wie immer. Man hat auf der Bühne
etwas gesehen – irgendetwas, das dem Kopf eines Menschen entsprungen ist,
dem Wagners „Parsifal“ ein geringeres (wenn überhaupt ein) Anliegen war als
seine eigenen Ideen.
„Weißt Du, was Du sahst?“ fragt Gurnemanz. Na,
ehrlich gestanden, nicht wirklich. Wie man das alles mit der Musik
zusammenbringt, die nebenbei läuft und eigentlich etwas ganz anderes
erzählt, das liegt an dem guten Willen des Betrachters. Aber, es sei
wiederholt: „Theater“ kann er, der Kirill Serebrennikov. |
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