|
|
|
|
|
Die Presse, 19. April 2021 |
VON WALTER WEIDRINGER |
|
Wagner: Parsifal, Wiener Staatsoper, 18. April 2021
(Stream, Aufzeichnung vom 11. April 2021)
|
Dieser Parsifal trägt das Gefängnis in sich |
|
Staatsoper. Jordan, Kaufmann, Garanca: Alles neu bei Wagners
Bühnenweihfestspiel. Regisseur Kirill Serebrennikov verbannt den Mythos in
die Köpfe und erzählt von der bösen Macht der Medien, wo er die Politik
meinen müsste.
Ein paar berührende Momente gibt es dann doch
in Kirill Serebrennikovs Inszenierung. Momente, in denen eine Theaterpranke
spürbar wird, ein szenischer Wille, der sich von selbst aufgestellten
konzeptuellen Schranken befreit. Da scheinen sich die Zeitebenen zu
vermischen und zu begegnen, wenn der reife, sängerisch glaubwürdig müde
beginnende Parsifal Jonas Kaufmann sein jugendliches Selbst umarmen will,
das Nikolay Sidorenko den ganzen Abend über ausdrucksstark mimt - aber dann
verweigert der Bursche. Liebe und Verständnis für das einstige Ich,
abgelehnt: Generationenkonflikt innerhalb einer einzigen Figur. Oder am
Ende, wenn der Schwan wieder lebendig wird und lächelt - jener Schwan, den
Parsifal einst getötet hat.
Hier, in diesem Kerker irgendwo zwischen
Grauem Haus und Gulag, das die Gralsburg vorstellt, ist er nämlich kein
Tier, sondern ein junger Mithäftling. Und Parsifal bleibt allein sinnend
zurück - nachdem er die Gemeinschaft im aufgelassenen Gefängnis auflöst und
in eine ungewisse Zukunft entlässt, aber doch eine in Freiheit und
Zuversicht. Der auferweckte Schwan scheint zu versprechen, dass sich etwas
zum Besseren wenden könnte, dass alte Fehler wieder gutzumachen wären. Wenn
Bogdan Roscic den „Fehler" der vorangegangenen „Parsifal"-Inszenierung an
der Staatsoper ausmerzen wollte, in der Alvis Hermanis 2017 kurzerhand
Richard mit Otto Wagner, Steinhof und Psychiatrie vermengt hat, dann ist ihm
das nur nach Punkten gelungen. Und selbst wer Serebrennikov das Scheitern
auf höherem Niveau konzediert, fühlt doch allzu viel an Unaufgelöstem,
besonders im Mittelakt.
Musikalisch weiß man sich auf der sicheren,
wenn auch nicht durchwegs überwältigenden Seite. Philippe Jordan behält
kühlen Kopf angesichts der magischen Klangwelten, durchleuchtet den von der
Bayreuther Akustik beeinflussten Mischklang, lässt manches etwas kantiger,
schärfer tönen, wo andere das diffus Verschmelzende im Sinn haben. Das
Staatsopernorchester reagiert neugierig und wachsam, kann sich aber nicht
ganz freispielen. Dennoch stehen Klang und Tempi in gutem Verhältnis, nichts
wirkt verschleppt oder gehetzt.
Etwa die Erzählungen des Gurnemanz:
Georg Zeppenfeld gelingt es wie einem klugen. Liedsänger, das Balsamische
mit dem Prägnanten zu verbinden, die Kantilene eins werden zu lassen mit dem
pointierten Sinn. Eine nicht unerschöpfliche, aber gesunde und nobel
eingesetzte Bassstimme. Sie strahlt auch dann Würde aus, wenn die Figur in
Kapuzenpulli und Jacke seinen Mithäftlingen als Tätowiermeister dient, ihnen
die heiligen Gegenstände wie Gral und Speer in die Leiber sticht und über
diese Symbole eine Wertegemeinschaft erschafft.
Garancas Kundry: Zu
kühl, kontrolliert Es soll einem wohl auch wehtun, diese der Welt
abhandengekommene Männergesellschaft im Häfen zu sehen, mit Rittern und
Knappen als Wachpersonal - auch wenn der Staatsopernchor mit voller, aber
differenzierter Kraftentfaltung fast an der Rampe singen darf. Absurd ist es
nicht, weil Wagner die Gralswelt bei allem hehren Streben nach Idealen sehr
wohl als reformbedürftig, innerlich morsch und mit einem gefallenen Helden
an der Spitze darstellt.
Für seine Wunde sorgt Amfortas hier selbst.
Als prominentester Häftling fügt er sie sich suizidal immer wieder zu. Die
Rolle einem belkantesk geschulten Bariton wie Ludovic Tezier anzuvertrauen,
ist verständlich, und er löst die Erwartungen ein. Einige vehemente Akzente
im Vortrag all der hochanständig bewältigten Schmerzenskantilen täuschen
aber nicht darüber hinweg, dass die höheren Leidens- und
Ausdrucksdimensionen noch fehlen. Sie wünschte man sich an einem Feiertag,
wie eine Wagner-Premiere an der Wiener Staatsoper auch vokal einer sein
müsste. Diese Einschränkung trifft auch auf die erste Kundry von Elina
Garanca zu - hier eine Journalistin, die von den Häftlingen und ihren
Tattoos Fotoreportagen macht. Freilich klingt die Partie aus ihrer Kehle
besonders sonor und auch schön. Sie singt sie mit imponierender Kontrolle
innerhalb ihrer Mittel, die sie ins Dramatische ausweitet. Doch gerade um
die entscheidenden Nuancen überwiegt dann dieser Eindruck kühler Kontrolle.
Urteufelin, Höllenrose, auch Verführerin: Für all das fehlt etwas. Auch die
Inszenierung verlangt es der Figur nicht ab, weil sie in ganz unmythischer
Diesseitigkeit gezeigt wird.
Gerade das Verführungsbrimborium gegen
Klischee und Erwartung, schraubt. Die durchwegs sauber singenden
Blumenmädchen sind die Raumpflegerinnen, Redakteurinnen und Stylistinnen
jenes Hochglanzmagazins, für das Kundry arbeitet und das unter der Leitung
des Medienzaren Klingsor steht. Der junge Parsifal, aus dem Gefängnis
entlassen, stolpert hier zum Fototermin hinein, um sich in sexy Posen
ablichten zu lassen. Amfortas, ein früherer Konkurrent Klingsors, war
vielleicht mutig gegen die Mächtigen aktiv, aber anfällig für Kundrys
erotische Waffen und damit leichte Beute. Das klärt sich im dritten Akt auf
wenn die rätselhafte Frau offenbar selbst der Speer ist, der die Wunde
allein schließen kann - in Form der Versöhnung mit der Ex.
Wolfgang
Koch als Klingsor ist in der Diktion das dunkle Gegenstück zu Amfortas. Er
kommt aus jener anderen Wagner-Tradition, die bei den Bösewichten das
prägnant artikulierte Wort über die genauen Tonhöhen stellt. Aber dass er
mit lässig über die Schulter gehängtem Sakko in das Büro schlendert, wo
Kundry Parsifal mit einer Pistole bedroht, aber dann doch den Chef abknallt?
Die Politik, nicht die Medien wären hier der logischere Gegner gewesen.
Erstaunlich, dass zuletzt Kaufmann als starker und zugleich gebrochener
Parsifal tiefen Eindruck hinterlässt nachdem er sich auch vokal imposant
gesteigert hat Die von ihm erkämpfte Freiheit: Genießen werden sie
allenfalls die anderen. |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|