Online Merker, 30.9.2020
Sieglinde Pfabigan
 
Liederabend, Wiener Staatsoper, 29. September 2020
WIEN/ Staatsoper: SOLISTENKONZERT JONAS KAUFMANN / HELMUT DEUTSCH
 
Das Programm dieses Einspringer-Konzerts (nach der Corona-bedingten Absage von Agnes Baltsa) war auf Vorschlag des Pianisten im wesentlichen jenes der im letzten Quartal entstandenen Tonaufnahme, wie uns der Sänger zu Beginn erklärte. Die auf den ersten Blick recht bunt zusammengewürfelten Lieder unterschiedlichster Komponisten fügten sich aber sehr wohl sinnvoll aneinander. So sehr, dass Jonas Kaufmann dem Publikum nahelegte, nicht an beliebigen Stellen zu klatschen. Dass es trotzdem ein paarmal geschah, wurde mit einem Lächeln quittiert.

In vollkommen entspannter Atmosphäre, als seien Freunde mit Freunden zusammen, nicht nur auf dem Podium, sondern auch dies- und jenseits der Rampe, lief ein erstaunlich lebendiger zweistündiger Abend (mit einer Pause) ab, der Jonas Kaufmann als erstaunliches Phänomen zeigte. So ganz ohne Orchester, aber getragen und inspiriert von dem phänomenalen Liedmeister Helmut Deutsch am Flügel – nach jahrzehntelanger Zusammenarbeit des ehemaligen Lehrers mit dem ehemaligen Schüler – kamen die vokalen Besonderheiten des Tenors so trefflich zur Geltung wie wohl in nur wenigen Opernpartien. Dies sei vorweg zu erläutern versucht.

Die Tatsache, dass Kaufmann im Grunde kein betörendes Tenortimbre offerieren kann, aber faktisch alles singt, Dramatisches wie Lyrisches, deutsches, italienisches, französisches, slawisches Repertoire…klassisches Liedrepertoire, Wiener Lieder, Konzerte jeder Art, und dass seine kräftige Mittellage ebenso stabil ist wie alle verlangten Höhen, dass er suggestiven Sprechgesang ebenso bietet wie Lieder in feinstem pianissimo dargeboten werden, verhindert, dass man ihn in ein Fach „einordnet“. Aber gerade das machte diesen Liederabend so reizvoll.

Nachdem er sich mit Schuberts „Musensohn“ („Durch Feld und Wald zu schweifen“) und Beethovens „Zärtlicher Liebe“ („Ich liebe dich, so wie du mich…“ ) munter eingesungen hatte, kamen in jeder der folgenden Gesangsnummern andere stimmliche Qualitäten zum Zug, wobei zwei Dinge immer gleich blieben: die Textverständlichkeit und eine unforcierte Singweise. Von Beethovens „Adelaide“ über Mozarts „Veilchen“, Friedrich Silchers „Ännchen von Tharau“, Mendelssohns „Gruss“ („Leise zieht druch mein Gemüt liebliche Geläute…“) oder „Auf Flügeln des Gesanges“, Schumanns „Widmung“ („Du meine Seele, du mein Herz...“), Liszts „Es muss ein Wunderbares sein“, Griegs „Ich liebe dich“, Carl Bohms „Still wie die Nacht“, Zemlinskys „Selige Stunde“ und als Abschluss vor der Pause „Richard Strauss‘ „Zueignung“ – deren Schlussworte „habe Dank“ sicher von allen Seiten mitempfunden wurden – es war allseits ein Geben und Nehmen. Wenn auch Kaufmann im 2. Teil des Abends mit Schuberts „Forelle“, dem „Jüngling an der Quelle“ und „Wanderers Nachtlied“ noch mehr Gefühl und Charme versprühte, so ließ sich freilich nicht leugnen, dass man die romantischen Naturschwärmereien und vornehmlich Liebesgesänge schon von Tenören mit betörenderem Timbre gehört hat. „Es war als hätt der Himmel die Erde still geküsst…“ mit der am Ende ihre Flügel weit ausspannenden Seele …war bei Jonas Kaufmann rein vom Stimmklang her gar nicht so berückend, die damit ausgedrückten Empfindungen aber kamen dennoch unmissverständlich herüber. Ob Kaufmann mit Gustav Mahler sich als „der Welt abhanden gekommen“ deklarierte oder – auch in den 6 Draufgaben ganz diesseitig sich verbal und vokal, unterstützt durch Mimik und kleine Gesten, mitunter scherzhaft präsentierte – seine Darbietungen waren immer lebendig und allein schon vom Text her ansprechend.

Da man ja bei diesem Künstler viel diskutiert, was ihm stimmliich „liegt“ oder „nicht liegt“ und immer wieder Fachgrenzen, die einzuhalten wären, zur Sprache bringt, so möchte ich aus diesem Liederabend folgendes Resumé ziehen: Er ist zuerst und zuletzt ein deutscher Sänger und kann auf diesem Sektor faktisch alles singen – vom Florestan über den Lohengrin, Stolzing und Parsifal bis zum Straussischen Kaiser und Bachus. Ich erinnere ich mich so sehr gut an sein Wiener Staatsoperndebut als Tamino, von dem ich hell begeistert war, und ich sehne mich nach seinem Tristan, den er hoffentlich, wie geplant, bei den nächstjährigen Münchner Opernfestspielen singen wird. Und natürlich alle Lieder inclusive den sehr erfolgreich präsentierten, authentisch dargebotenen Wiener Liedern. Bei musikalischen Ausflügen nach Frankreich, Russland oder Tschechien sehe ich kein Problem. „Ma in Italia …son gia ...“ naja, es müssen ja nicht unbedingt „mille tre“ werden, aber eine engere Auswahl von Rollen wäre wohl ratsam. War sein Ausflug in Puccinis Amerika („Fanciulla del West“) ein voller, berechtigter Totalerfolg, so stellen sich beim Cavaradossi, Don Carlo, André Chenier oder in der „Forza del destino“ Zweifel ein, ob das der Stimme guttut, und – von Otello gar nicht zu reden. Es geht da gar nicht um die Kraft, sondern um die mediterrane Glut, Spontaneität und Explosivität, die seiner Stimme nicht guttut. Darunter leidet die Stimmqualität, auch rein vom Klang her.

Dieser Liederabend jedenfalls offenbarte die unzähligen Ausdrucksmöglichkeiten von Jonas Kaufmann in perfekter Weise. Dass dazu Helmut Deutsch, schon allein durch die gemeinsame Einstudierung der meisten Lieder, Beträchtliches beigetragen hat, steht außer Frage. Dieser „Flügelmann“ bietet den Sängern eine klangliche, dynamische und geistig-seelische Basis, als bestünde die Welt nur aus Klängen, in die man sich betten kann, die einen tragen, inspirieren, erregen, beruhigen und – zu sich selbst führen.

Ein schöner und lehrreicher Abend vor vollem Haus (soweit erlaubt), der besagte „Schule“ zu einem Freudenort machte.








 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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