Beethoven: Fidelio, Royal Opera House London, ab 1. März 2020
|
Behauptete Gegenwart |
|
Im Beethoven-Jahr steht auch seine einzige Oper „Fidelio“ zur Debatte und
gehäuft auf den Spielplänen der wichtigen Opernhäuser. Sonst ist Ludwig van
Beethovens Schmerzenskind mit den vier Ouvertüren, drei Fassungen, den
gescholtenen Dialogen und der holperigen Dramaturgie allerdings nicht gerade
ein Liebling des Repertoires. Zu groß sind die Schwächen in der Konzeption,
nahezu unheilbar auch die Brüche zwischen den betulichen
Spieloper-Genreszenen des ersten Teils und dem heroischen Pathos des zweiten
Teils. Mit anderen Worten: „Fidelio“ stellt Regisseure vor größte Probleme.
Mit Tobias Kratzer hat man am Royal Opera House Covent Garden in London
nun einen eigentlich furchtlosen Regisseur engagiert, der im vergangenen
Jahr in Bayreuth auf dem Grünen Hügel mit sprühenden Ideen Richard Wagners
„Tannhäuser“ mit Drag Queen und Oskar-Matzerath-Lookalike herrlich
selbstironisch dekonstruierte. Wer sich so produktiv mit Wagner anlegt, dem
müsste auch zu Beethovens schwieriger Oper etwas einfallen, sollte man
meinen. Um es vorwegzunehmen: Es fällt ihm etwas ein, aber viel zu wenig.
Kratzer kapituliert vor der Spieloper und weiß sich nicht anders zu helfen,
als sie mehr oder weniger präzis nachzuerzählen, und das auch noch in der
abgestandenen Bühnenästhetik des mittleren 20. Jahrhunderts.
Bevor es
losgeht, ist auf dem großen Vorhang von Covent Garden ein Live-Video
projiziert, das den Zuschauerraum spiegelt. Die Zuschauer sehen also sich
selbst, manche glauben das nicht und fangen an zu winken, um sich im Video
zu entdecken. Über dem Video prangen auf dem Vorhang die Worte: „Liberté,
Égalité, Fraternité“, die Parole der französischen Revolution. Dann geht der
Vorhang hoch und gibt den Blick frei auf einen mit naturalistischen Details
gespickten grauen Gefängnishof (Bühne: Rainer Sellmaier). Kratzer verlegt
die Handlung in die Zeit des Terrors nach dem Ausbruch der französischen
Revolution, auf dem Hof laufen aufgescheucht Leute durcheinander, hinter
einer Mauer sind offenbar Köpfe gerollt, die von zotteligem Personal feixend
in Körben hereingetragen werden, derweil die zu den Geköpften dazugehörigen
Frauen dezentes Entsetzen äußern. Dann folgen die ersten Opernszenen, das
umständliche Duett zwischen Marzelline und Jaquino läuft vorschriftsgemäß
und überraschungsfrei ab, überwiegend gestaltet mit der Körpersprache und
den Verhaltensklischees einer vergangenen Opernzeit. Das ändert sich auch
wenig, wenn Leonore alias Fidelio auftritt, dann auch Rocco, der
Gefängniswärter, der sich um die ökonomisch sinnvolle Verehelichung seiner
Tochter Marzelline sorgt. Ein bisschen mehr Schwung kommt in die immer noch
ungebrochen nostalgisch bebilderte Sache erst, als der Bösewicht Pizarro die
Szene entert. Da kommt auch Antonio Pappano am Pult des Royal Opera House
Orchestras endlich in Schwung, der bisher wenig Biss zeigte und ziemlich
pauschal blieb. In der großen Chorszene am Ende des ersten Teils kommt dann
noch ein veritables Pferd auf die Bühne, bevor man etwas ratlos in die Pause
geht.
Das Drama naht
Nun gut, es ist ja fast in allen
„Fidelio“-Aufführungen so, dass man erleichtert ist, wenn der
Biedermeier-Teil abgehakt ist und das Drama naht. Zumal der zweite Teil
nicht nur bereits mit dem Vorspiel eine ganz andere Dimension öffnet, er
bietet auch endlich den von allen Beteiligten gespannt erwarteten Auftritt
jenes Florestan, um den es die ganze Zeit geht und der nicht selten in
Gestalt des ihn darstellenden Tenors ein Star ist. Und der sich mit dem
gefürchteten „Gott! Welch Dunkel hier“ ziemlich unbarmherzig exponieren
muss. Jonas Kaufmann ist in London Florestan, in der Premiere ließ er sich
erkältet ansagen, in der zweiten Vorstellung scheint er genesen.
Die
Bühne ist nun leer, vor einer kalten weißen Wand mit klassizistischer Tür
sitzt eine heutig und vorwiegend schwarz gekleidete Menschenmenge im
Halbkreis, in ihrer Mitte eine Art felsige Insel, auf der der langhaarige
Florestan angekettet liegt. Auf der weißen Wand flimmern Close-ups Einzelner
aus der Menge, die das Geschehen mehr oder weniger bewegt verfolgen, aber
wie Kinogänger Voyeure bleiben, auch mal einen Keks verzehren und einen
Schluck aus der Wasserflasche nehmen. Rocco und Leonore tragen weiterhin
ihre Kostüme des 18. Jahrhunderts und als die Situation zwischen der bald
enttarnten Leonore, Florestan, Rocco und dem Bösewicht Pizarro im Kerker
schließlich eskaliert, fällt plötzlich ein erlösender Schuss, der Pizarro
trifft. Diesen Schuss feuert sozusagen die Trompete ab, die die Ankunft des
Deus ex machina Don Fernando ankündigt. Und zwar in Gestalt der Marzelline,
die im zweiten Teil eigentlich gar nichts mehr zu tun hat und bei Kratzer
mit Pistole und Trompete deutlich aufgewertet wird. In der finalen Szene
wendet sich dann scheinbar noch alles zum Guten, wenn die Kinobesucher – der
Chor – endlich aus ihrer Passivität aufschrecken und das Militär entwaffnen.
Und wenn Don Fernando sich als heutiger Mensch aus der Menge schält.
Kratzers Konzept bleibt insgesamt jedoch seltsam defensiv und harmlos, den
Biedermeier-Teil des Werks geht er gar nicht an, es sei denn, man wolle
diese Passivität als Parodie werten. Passend zum mangelnden Schwung des
Konzepts will auch die musikalische Seite des Projekts nicht richtig Funken
schlagen. Pappano schlägt insgesamt zu maßvolle Töne an, auch klappert es in
der Balance zwischen Graben und Bühne. Jonas Kaufmann singt souverän und
scheint wieder im Vollbesitz seiner stimmlichen Kräfte, er spielt auch
überzeugend und das bronzene Timbre seiner Stimme fasziniert nach wie vor.
Publikumsliebling aber ist die ihn an Statur überragende Lise Davidsen, die
ihre Leonoren-Partie mit durchdringendem Sopran-Strahl hochdramatisch
anlegt. Davidsens Stimme besitzt viel gesundes Metall und kernige Substanz,
aber es fehlen weiche Töne, Nuancen und Schmelz. Amanda Forsythe ist eine
ziemlich soubrettige Marzelline, von der man sich mehr lyrisches Legato
wünschen würde, Georg Zeppenfeld ist ein sonorer, von der Regie recht
eindimensional gezeichneter Rocco, Simon Neal ein stimmlich furioser Don
Pizarro, von Kratzer als Robespierre-Wiedergänger gezeigt. Großer Applaus im
ausverkauften Haus. Bei den Live-Kinoübertragungen ab 17.3. sieht man ja
noch unter Umständen Feinheiten der Regie, die für das Opernhaus-Publikum
unsichtbar bleiben.
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|