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Tiroler Tageszeitung, 28.09.2020 |
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Verdi: Don Carlos, Wiener Staatsoper, ab 27. September 2020
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Selige Rückkehr des Buh-Bravogefechts an der Staatsoper |
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Endlich wieder Buh- und Bravogefechte! Endlich darf Opernregie wieder
Herzensthema der Wiener Streitkultur sein - eine von vielen Wohltaten, die
die Wiener Staatsoper Sonntagabend mit der Wiederaufnahme von Peter
Konwitschnys „Don Carlos“ ihrem maskierten und im Mindestabstand verteilten
Publikum angedeihen ließ. Jonas Kaufmanns Verdi-Debüt am Ring wurde freilich
einhellig bejubelt, wobei der Startenor in diesem furiosen Ensemble keine
One-Man-Show ablieferte.
Zu stark waren dafür seine Bühnenpartner,
von denen viele zum ersten Mal am Ring gastierten. Insbesondere Igor
Golovatenko als Rodrigue und Eve-Maud Hubeaux als Eboli begeisterten mit
großen, farbigen Stimmen und dichter Bühnenpräsenz, als Elisabeth stellte
sich Malin Byström vor, von der man sich neben ihrem formschönen, schlanken
Sopran mehr Glut und Herzhaftigkeit gewünscht hätte.
Jonas Kaufmann
spielte in der Rolle des Carlos nicht nur die dramatischen Stärken seines
vielschattierten Gesangsorgans aus, sondern rief sich auch als
Charakterdarsteller in Erinnerung, der lieber einen psychisch instabilen
Monarchenspross mit Wachstumspotenzial darstellt, als einen langweiligen
Heroen. Und zwischendurch gerne einen durchaus vielversprechenden
Komödianten.
Konwitschnys kontroversielle Bebilderung der
Ballettmusik durch eine slapstickartige Szene aus der Spießbürgerhölle,
stieß bei Teilen des Publikums auch bei der zweiten Wiederaufnahmeserie der
Produktion aus 2004 verlässlich auf lautstarke Ablehnung, was minutenlange
Gegenbravos und insgesamt vor allem allgemeine Erheiterung auslöste.
Mit diesem Zwischenspiel, „Ebolis Traum“, verpasst Konwitschny dem
fünfstündigen Abend eine schallende dramaturgische Watsche - was freilich
nur unterstreicht, wie wirkungsvoll, stimmig und auf dem Punkt er alles
rundherum inszeniert hat. Die von Johannes Leiacker kreierte Bühne mit ihrem
gnadenlosen weißen Kubus und den allgegenwärtigen kleinen Türen, die von
jedem Ein- und Austretenden eine Verneigung fordern, bietet über Stunden
Ausstellungsfläche für minutiöse Personenführung.
Kongenialer Partner
war Konwitschny bereits bei der Entstehung der Produktion Bertrand de Billy,
der gestern seine offizielle Rückkehr an die Staatsoper nach dem Zerwürfnis
mit dem ehemaligen Direktor, Dominique Meyer, feierte. Tatsächlich war de
Billy bereits in der Vorwoche wegen coronabedingter Umdispositionen bei
„L‘elisir d‘amore“ eingesprungen - einen richtigen Wiedereinstand gab es nun
ausgerechnet mit jenem Werk, das de Billy hier am Ring zur
De-facto-Uraufführung gebracht hat. Denn er rekonstruierte 2004 die
wesentlich längere ursprüngliche Fassung der Oper in jahrelanger
Beschäftigung und fügte aus der komplizierten Werkgeschichte wieder jene
Teile ein, die schon vor der Uraufführung 1867 gestrichen wurden.
Mittlerweile wird die so entstandene ursprüngliche Fassung, die mit den
längeren Duetten insbesondere zwischen Carlos, Posa und Phillippe nicht
zuletzt den politischen Kern des Werks betont, wieder vermehrt gespielt.
Für den seit 2014 vom Ring ferngebliebenen de Billy und das
Staatsopernorchester war es ein glückhaftes Wiedersehen. Mit Höhe- und
Gipfelpunkten hat Verdi seinen „Don Carlos“ fast schon ermattend überreich
beschenkt, doch aus dem Graben klingt das so zielgerichtet navigiert, so
abwechslungsreich wogend und so klug in Einklang gebracht mit den Stimmen,
dass auch in dieser Langfassung kaum Längen entstehen. Zwei Pausen gab es
trotzdem, freilich mit Mund-Nasen-Schutz und unter strenger
Coronasittlichkeitskontrolle des Publikumsdienstes. Übrigens: Die
Aerosol-Konzentration beim Buh- und Bravorufen könnte ein lohnendes
Studienobjekt für die Epidemiologie sein.
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