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Oper!, Januar 2020 |
Ulrich Ruhnke |
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Korngold: Die tote Stadt, Bayerische Staatsoper, ab 18. November 2019
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Aufgetürmter Wahnsinn |
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Jonas Kaufmann und Marlis Petersen machen aus Korngolds Toter
Stadt ein Meisterwerk, Kirill Petrenko schafft dazu den perfekten Klang,
und die Regie von Simon Stone erweist sich als Volltreffer. |
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Es lässt sich nicht leugnen, Psychosen sind in. Sind leicht zu bekommen und
fast überall zu finden, besonders oft in der Oper. Wer der großen
Vokaltheatermutter verfallen ist, darf per se als besonders gefährdet
gelten. Kein Wunder also, dass sich jeder zweite Opernvorhang über einer
Psychostory hebt. Die Opernschaffenden reden halt am liebsten von sich
selbst, auch wenn es zum Stück eigentlich ganz unpassend ist. Alternative
Werkzugänge scheinen schwerer zu fallen. Zuletzt hatte Barrie Kosky ein
besonders schillerndes Psychosen-Prachtexemplar auf die Bühne der
Bayerischen Staatsoper gebracht, als er in Prokofjews Feurigem Engel die
arme Renata und ebenso das Luxushotelzimmer, in dem diese sich befand,
verrücktspielen ließ. Mit plötzlich brennenden Wänden, herabfahrenden Decken
und fischmäulig nach Luft schnappenden Liftboys, die sich als tattooübersäte
Muskelmannschaft in Abendkleidern als sexuelle Wahnfantasie entpuppten. Was
Renatas ja doch eigentlich eher seelisches Problem reduzierend auf der Ebene
der Psyche fixierte, funktioniert in der Inszenierung der Toten Stadt von
Simon Stone, ebenfalls für die Bayerische Staatsoper, exzellent. Im
Psychostrudel kreiseln die Bungalowräume von Ralph Myers immer mal wieder
anders gereiht oder gar aufeinander getürmt zwar beständig vor unseren
Augen, doch eigentlich im freien Fall in Richtung Nullpunkt: Pauls
Wendepunkt. Der ins morbide flandrische Brügge gezogene Witwer kommt über
den Tod seiner Frau nicht hinweg, sieht in der Tänzerin Marietta die
Wiedergängerin seiner verstorbenen Marie, gleicht die Lebende der Toten
immer mehr an, bis er sie erwürgt – und aus seinem Albtraum verändert und
geheilt erwacht.
Die Kranken- und Genesungsgeschichte des bei ihrer
Uraufführung erst 23-jährigen Komponisten Erich Wolfgang Korngold und seines
unter dem Pseudonym Paul Schott als Librettist fungierenden überehrgeizigen
Genievaters Julius Korngold ist unverkennbar ein Kind ihrer Zeit und seines
Geburtsorts Wien, in dem Sigmund Freud damals schwer für Furore sorgte.
Hinter der hochgeschlossenen Sittsamkeit hatten sich die inneren Probleme
der Menschen bis zum Überlaufen angesammelt und die schwüle Atmosphäre des
Symbolismus ausreichend Spannung aufgebaut, die sich entladen wollte.
Regisseur Stone zeigt uns in München, dass es auch ohne das im Original
atmosphärisch entscheidend mitspielende brüchig-marode Brügge geht.
Ursprünglich 2016 als die erste seiner seitdem zunehmend kruder geratenen
Opernarbeiten für das Theater Basel entworfen, wurde diese starke
Inszenierung nun erfolgreich nach München transferiert. Nicht zuletzt dank
der Regiemitarbeiterin Maria-Magdalena Kwaschik, die für Stone die Stellung
hielt, während er die meiste Zeit mit Filmdrehs für Netflix beschäftigt war,
gelang eine für die größere Bühne und die neuen Sänger hergestellte
Maßanfertigung, an deren makelloser Passform auch die Protagonisten
entscheidend mitgewirkt hatten.
Jonas Kaufmann als Paul und Marlis
Petersen als Marie/Marietta haben sich die Inszenierung auf ihre übergroßen
Persönlichkeiten zugeschnitten, ohne sie dadurch zu minimieren. Eine
Glanzleistung, die selbst im hochpolierten, hell ausgeleuchteten
Alles-in-Weiß-Ambiente des Bühnenbilds für dauerhaft dunklen Abglanz
menschlicher Abgründigkeiten und packende Einblicke in eben diese sorgte.
Bis hin in die unendliche Traurigkeit einsamen Leidens. Es gehört zu den
einfachsten wie wirkungsvollsten und schlüssigsten Einfällen der Regie, der
im Original unerwähnt gelassenen Todesursache von Marie eine Diagnose
gegeben zu haben: Krebs. Die Locke, die Paul mit weiteren Erinnerungsstücken
von der Toten in einer Kammer wie in einem Schrein aufbewahrt, ist bei Simon
Stone die Perücke der durch die Chemotherapie haarlos gewordenen Marie. Auch
im Schluss, den die Regie leicht klischeehaft am Küchentisch (wo sonst)
spielen lässt, mit Paul beim Bier und beim Abschied nehmenden Verbrennen
eines Fotos der Verstorbenen, steckt viel Gefühl, aber auch frostige
Wahrheit. Wie weit darf Trauer gehen?
Stone entwickelt einen
Psycho-Thriller, der passend, aber als wohl kaum intendierter
Kollateral-Gewinn, auch auf das Filmkomponisten- Dasein anspielt, mit dem
der wegen seiner jüdischen Abstammung vor den Nazis in die USA geflohene
Korngold ab Mitte der 30er-Jahre in Hollywood bis hin zu zwei Oscars überaus
erfolgreich war. Die ihm aber von den atonalen Sittenwächtern des
Nachkriegsmusikdeutschlands nicht verziehen wurden. Auch wenn sich ganz
langsam eine größere, unverstelltere Offenheit gegenüber dem Komponisten
durchzusetzen scheint, seine Werke, sogar noch viel randständigere als Die
tote Stadt (z.B. Das Wunder der Heliane oder Violanta) wieder gespielt
werden, so sind die Vorurteile von damals dennoch fest in den Köpfen
verankert und die vorweg geschickten Warnhinweise aktuell besonders
besorgter Zeitgenossen angsteinflößend wie medizinische Beipackzettel:
Larmoyanz-Gefahr, Kitsch- Falle, selbstgefällige Schwere – bei Aufführung
sei das Werk in jedem Fall vor sich selbst zu schützen! Zu oft braucht es
derzeit noch einen Mutigen, der die Lanze bricht: Beim Wunder der Heliane an
der Deutschen Oper Berlin etwa war es der Regisseur Christof Loy, der sich
das Werk wünschte, in München war es Jonas Kaufmann, der als Paul zugleich
sein Rollendebüt gab.
Doch wie im echten Leben reicht es schon, wenn
man das Geschöpf so nimmt, wie es ist, und ihm mit gutem Willen und
Vertrauen entgegentritt. Kirill Petrenko macht das auf die ihm ganz
unnachahmliche Art des Balancehaltens zwischen musikalisch-romantischer
Funkelkette, rauschhaftem Discolichtertempo und tiefenanalytischem
Röntgenstrahl. Letzteres, das muss man sagen, nutzt er am liebsten. Es ist
sein Stil, bei nach heutigem Verständnis vielleicht noch nicht ganz
unbeschmutzt zu genießenden Werken möglicherweise auch willkommene Masche.
So oder so, die Aufführung ist rund, dazu gemacht zu allererst durch die
Sänger und ihren fast ungebändigten Einsatz. Jonas Kaufmann spielt und singt
den Paul wie einen Getriebenen und verschmilzt dabei so sehr mit der Partie,
dass er die Figur nicht anders als in jeder Sekunde, in jedem Ton, in jeder
Stimmung und Stimmfarbe beglaubigt. Die heiklen Passaggi, die schwierige
Höhe – das alles meistert er absolut staunenswert. Nicht anders Marlis
Petersen, auch sie durchmisst die stimmlichen Ansprüche der Partie
vielleicht nicht immer mit den schönsten Tönen, gleichwohl völlig souverän.
Und spielen, das kann sie sowieso. Nur, ausgerechnet, der junge Bariton
Andrzej Filończyk liefert als Frank/Fritz sein hitverdächtiges Lied etwas
blässlich ab. Dem Ganzen allerdings tut’s keinen Abbruch. Hingehen!
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