Korngold: Die tote Stadt, Bayerische Staatsoper, ab 18. November 2019
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Mit Sex gegen die Psychose |
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Die tote Stadt von Erich Wolfgang Korngold wird mit Kirill Petrenko, Marlis Petersen und Jonas Kaufmann in München zu einem bewegenden Ereignis |
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(München, 22. November 2019) Das ist wirklich praktisch. Das Kostüm, das
Jonas Kaufmann im „Otello“ trägt, kann er auch in Korngolds „Die tote Stadt“
anziehen: mausgraue Hose mit Hosenträgern, weißes Hemd, graues Jackett. Ist
das die neue Nachhaltigkeit an der Bayerischen Staatsoper? Oder
kostümbildnerische Einfallslosigkeit? Kaufmann geht als Otello in diesem
Outfit von der Bühne und kommt als Paul wieder. Oder will uns das gar etwas
bedeuten?
So wie Otello ist auch Paul ein Getriebener. Doch nicht
rasende Eifersucht ist es, die ihn peinigt, sondern der Schmerz über den
Verlust seiner Frau. Er kann Marie nicht vergessen und will es auch nicht.
In seiner Wohnung hat er ihr einen eigenen Raum zum Andenken gewidmet, mit
hunderten von Fotos und Erinnerungsstücken und einem Altar. Paul versucht
sein Leben so weiterzuführen als wäre Marie noch am Leben – bis Marietta
auftaucht. Sie sieht Marie ähnlich (auch der Name ist ähnlich), und Paul
beginnt sich in sie zu verlieben, das heißt in ihren Körper. Paul wirft sich
in diese Beziehung hinein wie ein Ertrinkender. Als Marietta Paul mit den
Erinnerungstücken seiner Frau provoziert, rastet er aus. Er glaubt, sie
umgebracht zu haben. Doch in der nächsten Szene radelt Marietta
quietschlebendig davon so wie sie zu Beginn der Oper gekommen war.
Tatsächlich gab es nur eine flüchtige Begegnung zwischen den beiden – die
Affäre hat Paul halluziniert. „Halluzinatorische Wunschpsychose“ nennt das
Freud.
Korngold hat aus dieser Geschichte, deren Text er zusammen mit
seinem Vater, dem berühmten Wiener Musikpublizisten Julius Korngold,
geschrieben hat, 1920 eine dreiaktige Oper gestaltet. Ein von Freud und der
Psychoanalyse inspiriertes Psychodrama in drei Akten, das von Liebe, Tod,
Verlustschmerz, sexuellem Begehren und vom unerschöpflichen Lebensdrang des
Menschen handelt und das erstaunlich modern und zeitlos wirkt. Auch die
Musik hat etwas Zeitloses in ihrer genialischen Vermischung von Puccini,
Strauss, dem frühen Schönberg und musicalhaften, ja filmmusikhaften
Elementen – die freilich erst später „erfunden“ werden sollten.
Mehr
als Franz Schreker mit seinen verschroben-obsessiven
Musiktheaterkonzeptionen über Lust und Erotik, ist Korngold mit seiner
„Toten Stadt“ ein rundum überzeugendes und tief berührendes Musiktheater
gelungen, das zu Beginn der 20er Jahre große Erfolge feierte, bis die Nazis
die Karriere Korngolds abwürgten. Korngold emigrierte in die USA und wurde
einer der besten Filmkomponisten seiner Zeit (mit zwei Oscars
ausgezeichnet).
Die Münchner Neuproduktion dieser Oper mit Kirill
Petrenko am Pult, Marlis Petersen als Maire/Marietta und Jonas Kaufmann als
Paul ist vom ersten Ton bis zum letzten faszinierend, mitreißend – perfekt.
Petrenko lässt Korngolds vielfarbige und kernig akzentreiche Musik leuchten
und strahlen, zucken und bedrohlich grummeln, dass es eine einzige Freude
ist. Das klingt alles so unangestrengt und dennoch in jedem Detail stimmig
wie man es sich nur wünschen kann. Und das Staatsorchester präsentiert sich
in Bestform unter seinem ungemein gelöst wirkenden Noch-Chef.
Die
beiden Protagonisten sind gesanglich überragend. Marlies Petersen singt eine
kokette und enorm verführerische Schwester der Salome mit quirligem, dabei
immer klangschönem, schlankem Sopran. Und Jonas Kaufmann strahlt nicht
minder in dieser höhenreichen, überaus schwierigen Partie mit kräftigem
Tenorglanz (was schreibt Korngold hier nicht für fantastische Puccini-hafte
Kantilenen!). Und das Ganze dann auch noch bei großem körperlichen Einsatz,
denn so eine amour fou will ja auch glaubhaft dargestellt sein.
Simon
Stone setzt in seiner Regie auf Realismus und Natürlichkeit, was die beiden
Protagonisten auch wunderbar über die Rampe bringen. Die Bühne von Ralph
Myers stellt ein verschachteltes Wohnhaus dar. Mal sind die Räume neben, mal
übereinander geschichtet. Er versucht die psychische Verrücktheit oder
Entrücktheit Pauls optisch umzusetzen, indem Bühnenelemente ver-rückt
werden. Das ist anschaulich und einleuchtend, sieht aber auch ein wenig nach
Stadttheater aus (die Produktion ist so bereits in Basel zu sehen gewesen,
aber natürlich mit anderen Sängern). Egal, die Bühne ergänzt Sänger und
Musik sinnfällig und das ist ja durchaus nicht immer so an der Bayerischen
Staatsoper in München. Ein großer Abend!
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