der Freitag, Ausgabe 47/2019
Wolfgang Herles
 
Korngold: Die tote Stadt, Bayerische Staatsoper, ab 18. November 2019
Erst klang das nicht avantgardistisch genug
 
Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“ feiert in München einen tonalen Triumph
 
Als Erich Wolfgang Korngolds Oper 1922 in München erstmals gegeben wurde, pfiffen im Publikum Nazis. Der jüdische Komponist aus Wien beschwerte sich über Kränkungen auf „meinem (Haken-)Kreuzweg“. Die tote Stadt des erst 23-Jährigen zählt zu den erfolgreichsten Opern der Weimarer Republik – aber auch zu jenen, die es nach dem Krieg lange schwer hatten mit der Wiederentdeckung. Sie klang nicht modern und avantgardistisch genug. Das ist richtig und falsch zugleich. Auch die Opernhits Giacomo Puccinis wie dessen Turandot (1926) klingen nicht gerade wie Werke des zwanzigsten Jahrhunderts. Der Italiener hielt Korngold für das größte Talent der deutschen Musik.

Korngolds Musik bleibt tonal. Große Arien, betörende Schmachtfetzen, Figuren, die sich ihre Seele aus dem Leib singen. Sie widerlegen das vor allem von Richard Wagner verbreitete antisemitische Klischee, die Musik jüdischer Künstler käme nicht aus dem Herzen. Korngolds Oper ist keine Erlösungsromantik, sondern pure Psychologie aus dem Wien Sigmund Freuds.

Trauerarbeit ist Traumarbeit
Paul kommt über den Tod seiner Frau nicht hinweg. Nah am Wahnsinn verfällt er einer Frau, die der Verstorbenen gleicht. Marietta aber will nicht als Wiedergängerin einer Toten geliebt werden. Das hat Simon Stone, der sehr angesagte australisch-schweizerische Regisseur, faszinierend ins Bild gesetzt. Das modern puristische Eigenheim Pauls gerät buchstäblich zum unentrinnbaren Labyrinth auf kreiselnder Bühne (Bühnenbild: Ralph Myers). Vervielfacht taucht die Tote in allen Zimmern auf, auch der einstige und der jetzige Paul begegnen einander.

Ursprünglich sollte die Oper nicht Die tote Stadt heißen, sondern Der Triumph des Lebens. Klingt wie das schiere Gegenteil – ist es aber nicht. Das Libretto, hinter seinem Pseudonym Paul Schott verbirgt sich Korngolds Vater, ein bekannter Kritiker, dramatisiert den berühmten symbolistischen Roman Das tote Brügge des Belgiers Georges Rodenbach, der die nebelverhangene, stockkatholische Stadt zur eigentlichen Hauptperson macht. Dort ist Paul lebendig begraben. Die düsteren Glocken, die frommen Frauen, die Prozessionen kommen auch in der Oper vor. Aber die endet im Gegensatz zum Roman mit nur einem fantasierten Mord. Der ist der Beginn des neuen Lebens. Trauerarbeit ist hier Traumarbeit. Er hat sich der Toten entledigt und verlässt die tote Stadt.

Wunderbar kontrastiert der springlebendige, helle Sopran der Marlis Petersen – eine gefeierte Königin der Nacht – mit dem baritonalen Schmelz des leidenden, sich quälenden Paul (Jonas Kaufmann). Hier werden Stimmen tatsächlich zu Charakteren. Standing Ovations.

Korngold landete 1934 auf der Flucht vor den Nazis in Hollywood und fand dort mehr als nur ein Auskommen. Er baute das damals übliche Filmorchester zu voller symphonischer Stärke aus und gewann kurz hintereinander zwei Oscars. Auch Opernbesuchern, die das nicht wissen, drängt sich der Eindruck auf: Der satte Orchestersatz vor allem in den Zwischenspielen klingt wie beste Filmmusik. Sie passte fraglos zu einen Psychothriller Alfred Hitchcocks, etwa zu Vertigo – Aus dem Reich der Toten, einer ganz ähnlichen Geschichte. Wenn aber Kirill Petrenko am Pult diese Oper erblühen lässt, sitzt niemand im falschen Film.



 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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