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Drehpunkt Kultur, 27/11/19 |
VON OLIVER SCHNEIDER |
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Korngold: Die tote Stadt, Bayerische Staatsoper, ab 18. November 2019
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München zieht spät nach |
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Erst die dritte Produktion von Erich Wolfgang Korngolds Oper Die tote Stadt
in München überhaupt bringt dem Werk den verdienten Erfolg - dank Kirill
Petrenko am Pult des Bayerischen Staatsorchesters, einer mit dem Theater
Basel koproduzierten Inszenierung von Simon Stone mit Jonas Kaufmann und
Marlis Petersen.
Weder die Erstaufführung von Korngolds Toter Stadt
1922 in München noch ein Wiederbelebungsversuch 1955 im Prinzregententheater
brachten dem Wiener Wunderkind und Sohn des Musikkritikers Julius Korngold
die erhoffte Anerkennung. Antisemitische Anfeindungen vor und nach dem Krieg
sowie später eine gänzlich in eine andere Richtung vorangeschrittene
Tonsprache waren die Hauptgründe. Trotz oder gerade wegen Korngolds
Bedeutung als eigentlicher Vater der Filmmusik und seines Erfolges in
Hollywood. Unter anderem dank Peter Ruzicka in Salzburg erlebte der von den
Nazis vertriebene Korngold um die Jahrtausendwende endlich die fällige
Renaissance, denn Die tote Stadt stellt ebenso einen Meilenstein der
Operngeschichte dar wie Werke der Zweiten Wiener Schule.
Für Kirill
Petrenko war das Werk ein Herzenswunsch – und so, wie er das riesig besetzte
Bayerische Staatsorchester durch die Partitur führt, glaubt man ihm das aufs
Wort. Er lässt die Musik in allen ihren Facetten schillern und funkeln. Man
hört Spätromantisches in Puccini- und Straussanklängen, aber auch Ausflüge
ins Atonale. Gerade im zweiten Bild meint man – auch dank der über weiten
Strecken gelungenen Interpretation von Simon Stone in der Einstudierung von
Maria-Magdalena Kwaschik – im Kino zu sitzen. Gute Filmmusik wäre ohne die
Operngeschichte nicht möglich. Aber Petrenko lullt die Zuschauer nicht in
einen süßlich-fetten Klangrausch ein, sondern fächert wie gewohnt wunderbar
auf. Vor allem im Vorspiel zum dritten Bild, in dem die Musik Pauls Traum
der Liebesnacht mit der Tänzerin Marietta musikalisch nachvollzieht. Und
beim Münchner Generalmusikdirektor dürfen sich die Protagonisten selbst in
Korngolds Klangrausch mit seinen schnell wechselnden und überlagerten
Rhythmen geborgen fühlen. Trotz der hohen Anforderungen an ihre Stimmen.
Simon Stone löst das Werk – auf der Bühne, in den Kostümen und im Licht
von Ralph Myers, Mel Page und Roland Edrich – aus seiner örtlichen
Verankerung in Brügge. Die Korngolds haben das Libretto nach dem
spätsymbolistischen Roman Bruges-la-Morte des Belgiers Georges Rodenbach
verfasst. Gezeigt wird der nach dem Tod seiner Frau Marie in einem Kokon der
eigenen Erinnerungen zurückgezogen lebenden Paul als Zeitgenosse. Er lebt in
einem unscheinbaren Bungalow, bis er in der Tänzerin Marietta Marie
wiederzuerkennen meint und sie einlädt. Für sie werden im ganzen Haus Rosen
aufgestellt. Soweit die Realität. Doch dann beginnt der Traum, denn Paul
wird zwischen der seelisch tief verankerten Liebe zu seiner an Krebs
gestorbenen Frau – Stone zeigt sie als von der Chemotherapie Gezeichnete –
und der körperlichen Liebe zu Marietta hin- und hergerissen. Die
Raumstruktur des Bungalows löst sich auf der Drehbühne auf, Lichteffekte
deuten die Irrealität an. Paul wird von Doppelgängern verfolgt, bis hin zu
einer Prozession von Pauls, Maries und ihren nie gehabten Kindern.
In
den Bann ziehen stark filmisch geschnitten vor allem das erste und das
zweite Bild, in dem Marietta und ihre Theaterkollegen in einer Party, an der
der Alkohol in Strömen fliesst, die Auferstehung der toten Nonnen aus Robert
le diable von Giacomo Meyerbeer persiflierend in Pauls Schlafzimmer
nachspielen. Andrzej Filónczyk darf als Pierrot/Fritz einen der beiden Hits
der Oper sonor und vor allem wunderbar textdeutlich singen. Das dritte Bild
fällt trotz der effektvollen Prozession der Paul-, Marie- und Kinderklone
(gut vorbereitet von Stellario Fagone die Chöre des Hauses) von der Spannung
her ab, was wohl auch an dem etwas abrupten Ende an sich liegt. Paul
verlässt mit seinem Freund Frank sein gemeinsames Haus mit Marie und beginnt
vielleicht – das bleibt offen – ein neues Leben. Zum Zeichen verbrennt er
Maries Perücke, die er wie Reliquie aufbewahrt hat.
Jonas Kaufmann in
der Parte des Paul schien zu Beginn der besuchten zweiten Vorstellung etwas
nervös zu sein, weshalb seiner Stimme in der hoch gelegenen Partie die
letzte Freiheit in der Tonproduktion fehlte. Doch der Knoten löste sich
rasch. Darstellerisch füllt er den pathologisch Trauernden von der ersten
bis zur letzten Sekunde kongenial aus, genau wie Marlis Petersen in der
Rolle der Marietta und der Marie, für die sie unterschiedliche Stimmen
einsetzt. Ihr bekanntes Stück Glück, das mir verblieb muss sie karaokeartig
für Paul ins Mikrofon singen. Jennifer Johnston ist als Pauls Haushälterin
Brigitta eine solide Stichwortgeberin.
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